LSG Bayern: Selbständige Geistheiler sind unfallversichert

SGB VII § 2

1. Selbständige Geistheiler sind i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VII im Gesundheitswesen tätig und deshalb kraft Gesetzes in der gesetzlichen Unfallversicherung versichert.

2. Für die Klage eines Unternehmers gegen einen Bescheid, mit dem die persönliche Versicherungspflicht des Unternehmers in der gesetzlichen Unfallversicherung festgestellt wird, sowie gegen Beitragsbescheide in der gesetzlichen Unfallversicherung, die ausschließlich Beiträge für den Unternehmers selbst und nicht für dessen Beschäftigte festsetzen, ist das Verfahren gerichtskostenfrei nach § 183 Satz 1 SGG. (Leitsätze des Gerichts)

LSG Bayern, Urteil vom 30.11.2016 - L 2 U 106/14, BeckRS 2016, 114690

Anmerkung von 
Rechtsanwalt Prof. Dr. Hermann Plagemann, Plagemann Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Frankfurt am Main

Aus beck-fachdienst Sozialversicherungsrecht 04/2017 vom 03.03.2017

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Sachverhalt

Die Parteien streiten über die Versicherungspflicht der Klägerin in der gesetzlichen Unfallversicherung als selbständige Geistheilerin sowie die Festsetzung von Beiträgen.

Die 1942 geborene Klägerin bezieht seit Juli 2002 Altersrente und betreibt seitdem selbständig eine Praxis für „energetische Körperarbeit“. Schwerpunkte der von der Klägerin angebotenen energetischen Körperarbeit sind u.a. russische Heilweisen, Qigong sowie die Fernsitzung bzw. Geistheilung. Im Rahmen einer Therapie nach Herwig-Schön soll es möglich sein, eine Rückverbindung mit dem Energiekörper herzustellen, damit sich Traumata auflösen, ohne dass sich der Betroffene daran erinnern muss. Mit den russischen Heilweisen sollen mit mental energetischen Impulsen die Selbstheilungskräfte des Körpers stimuliert werden.

Nachdem die beklagte BG ihre Zuständigkeit gem. § 136 SGB VII durch Bescheid festgestellt hat, stellte sie die persönliche Versicherung der Klägerin als Unternehmerin fest (Bescheid vom 14.02.2013). Mit vier Beitragsbescheiden vom gleichen Tag setzte die Beklagte die Beiträge für das Jahr 2008 auf 126,52 EUR, für das Jahr 2009 auf 134,18 EUR und für die Jahre 2010 und 2011 fest.

Der dagegen eingelegte Widerspruch blieb erfolglos. Das SG wie die Klage ab. Die Klägerin sei gem. § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VII kraft Gesetzes versichert, weil sie selbständig im Gesundheitswesen tätig sei. Dagegen richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie geltend macht, dass sie die Tätigkeit in ihrem Unternehmen nicht beruflich, sondern nur gelegentlich ausübe. Der Überschuss der Einnahmen über die Ausgaben habe 2008 bis 2012 durchschnittlich nur 1.400 EUR pro Jahr betragen. Für Geistheiler habe das BVerfG mit Beschluss vom 02.03.2004 (NJW-RR 2004, 705) entschieden, dass Geistheiler nicht der Erlaubnispflicht nach dem Heilpraktikergesetz unterlägen. Die Tätigkeit der Klägerin sei deshalb nicht dem Gesundheitswesen zuzuordnen.

Entscheidung

Das LSG weist die Berufung zurück. Der angefochtene Bescheid der BG über die persönliche Versicherung der Klägerin als Unternehmerin ist rechtmäßig. Pflichtversichert nach § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VII sind Personen, die selbständig im Gesundheitswesen tätig sind. Im Gesundheitswesen tätig sind auch Geistheiler, jedenfalls dann, wenn bei der Gesamtbetrachtung auch andere Techniken der Heilung angeboten werden. Zum Gesundheitswesen gehören Tätigkeiten und Einrichtungen, welche die Beseitigung oder Besserung eines kranhaften Zustands oder die Pflege eines pflegebedürftigen Menschen bezwecken, ferner diejenigen, die den Zweck haben, die Gesundheit des Einzelnen oder der Allgemeinheit vor unmittelbar drohenden Gefahren zu schützen. Der Begriff „Gesundheitswesen“ ist weit zu verstehen. Dabei muss es sich aber um Verrichtungen und Tätigkeiten handeln, bei denen die Wahrung der Gesundheit den Hauptzweck bildet. Versichert sind z.B. Hebammen, Krankenschwestern, Masseure, Bademeister (medizinische, anders bei nicht-medizinischen Reinigungsbädern), Fußpfleger, sofern nicht reine Schönheitspflege betreibend, sämtliche medizinischen Heil- und Hilfsberufe.

Kein Argument gegen die Versicherungspflicht lässt sich aus dem Beschluss des BVerfG von 02.03.2004 ableiten. In dem dort entschiedenen Fall ging es um eine Tätigkeit des geistigen Heilens, bei der der Heiler versucht, die „Seele des Kranken zu berühren“ indem er mit Hilfe seiner Hände positive Energien auf das Zielorgan überträgt. Das BVerfG hat die Erlaubnispflicht nach dem Heilpraktikergesetz in diesem Fall weder für geeignet noch für erforderlich gehalten, um eine Gesundheitsgefährdung auszuschließen.

Praxishinweis

Der Versicherungsschutz scheidet auch nicht deshalb aus, weil die Klägerin keine Mitarbeiter hat, denn dieser soll auch und gerade selbständigen Kleinstunternehmen zugutekommen. Eine Versicherungsfreiheit nach § 4 Abs. 3 SGB VII besteht nicht. Die Klägerin gehört nicht zu dem Kreis der selbständig tätigen Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte und Psychologischen Psychotherapeuten bzw. Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeuten, Heilpraktiker und Apotheker.

Ausführlich befasst sich das Gericht auch mit der Höhe des hier festgesetzten Beitrags, der sich aus den Arbeitsentgelten der Gefahrklasse und dem Beitragsfuß errechnet. Das Gericht betont, dass bei der Beitragsfestsetzung auch berücksichtigt wurde, dass zugunsten der Klägerin eine Mindestversicherungssumme von 60 % der Bezugsgröße gemäß der Satzung einschlägig ist.

Das Gericht hat die Revision zugelassen.

Redaktion beck-aktuell, 8. März 2017.