BSG: Bemessungszeitraum für Elterngeld selbständig Tätiger ist der letzte abgeschlossene steuerliche Veranlagungszeitraum vor der Geburt des Kindes

BEEG §§ 2b II, IIIc, IIId, 4 III; EStG § 4a

1. Der Bemessungszeitraum für Elterngeld auf Grundlage sog. Mischeinkünfte richtet sich gem. § 2b Abs. 3 BEEG nach dem abgeschlossenen steuerlichen Veranlagungszeitraum vor Geburt des Kindes (Bemessungszeitraum).

2. Eine teleologische Reduktion des § 2b Abs. 3 Satz 1 BEEG ist nicht zulässig.

3. Ein Vorlageverfahren nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG ist mangels Verfassungswidrigkeit des § 2b Abs. 3 Satz 1 BEEG nicht erforderlich. (Leitsätze der Verfasserin)

BSG, Urteil vom 27.10.2016 - B 10 ER 4/15 R, BeckRS 2016, 74905

Anmerkung von 
Rechtsanwältin Stella Keil, Plagemann Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Frankfurt am Main

Aus beck-fachdienst Sozialversicherungsrecht 03/2017 vom 17.02.2017

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Sachverhalt

Die Klägerin begehrt höheres Elterngeld unter Berücksichtigung ihrer im Jahr 2013 erzielten Einkünfte aus selbständiger Nebentätigkeit. Am 18.11.2013 wurde ihr Sohn geboren. Die Beklagte legte für die Berechnung gem. § 2b Abs. 2 BEEG die Einkünfte gemäß Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2012 zugrunde, der einen Verlust von 1.369 EUR auswies. Im Jahr 2013 verdiente die Klägerin 10.926,43 EUR im Rahmen ihrer selbständigen Tätigkeit.

Das SG Stade weist die Klage auf höheres Elterngeld unter Berücksichtigung positiver Einkünfte zurück, da die Beklagte seiner Ansicht nach den Bemessungszeitraum gem. § 2b Abs. 3 Satz 1 BEEG richtig angewendet hat. Das LSG hebt den Gerichtsbescheid auf, da die strenge Orientierung am Wortlaut des § 2 BEEG zu sachwidrigen Ergebnissen führe und weder die gesetzgeberischen Zielvorstellungen noch die verfassungsrechtlichen Vorgaben berücksichtigt. Dabei bezieht es sich auf das Urteil des BSG vom 03.12.2009 (NJW 2010, 3800). Die Grenze zu erheblichen Nachteilen sei jedenfalls dann überschritten, wenn sich bei Heranziehung des 12-Monats-Zeitraums vor dem Geburtsmonat ein mehr als 20 % höherer Elterngeldanspruch ergebe. Eine teleologische Reduktion ist daher erforderlich, um eine unzumutbare Härte zu vermeiden.

Der Beklagte macht mit seiner Revision geltend, dass die gesetzliche Regelung i.S.d. Verwaltungsvereinfachung eindeutig ist und keine Ungleichbehandlung von Einkünften aus selbständiger und nichtselbständiger Tätigkeit vorliegt.

Entscheidung

Das BSG gibt der Revision statt: Es liegen keine Anhaltspunkte vor, von dem Bemessungszeitraum des § 2b Abs. 3 Satz 1 BEEG i.V.m. § 4a Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Satz 1 EStG, d.h. dem Kalenderjahr 2012, abzuweichen. Die Idee des Gesetzgebers sei es – gerade im Hinblick auf Mischeinkünfte – gewesen, den jeweiligen steuerlichen Gewinnermittlungszeitraum als Bemessungszeitraum für die Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit heranzuziehen. Das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel der Verwaltungsvereinfachung ließe gerade keine teleologische Reduktion in diesem Sinne zu.

Aufgrund abweichenden Wortlauts und Systematik des § 2b Abs. 3 BEEG könne laut BSG auch nicht die Entscheidung vom 03.12.2009 (a.a.O.) herangezogen werden.

Auch hat das BSG keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Es sieht keinen Verstoß gegen Art. 3 GG aufgrund der unterschiedlichen Behandlung von Einkünften aus nur nicht selbständiger Tätigkeit und Einkünften aus nur selbständiger Arbeit oder sog. Mischeinkünften. Die Verwaltungsvereinfachung, die allen Elterngeldberechtigen zugutekommt, hat Vorrang vor einzelnen Härtefällen. Vergleichsberechnungen, die bei einer 20-prozentigen Differenz ein anderes Berechnungsmodell begründen würden, konterkarieren gerade die gewünschte gesetzgeberische Lösung. Jedenfalls erkennt das BSG im Fall der Klägerin keine besonders schwerwiegende Härte und zählt diese auch nicht zu einer nennenswerten Gruppe vergleichbarer Fälle, die die Befugnis des Gesetzgebers zur Typisierung in atypischen Sonderfällen überschreiten würde.

Praxishinweis

1. Die Argumentation des BSG, es handele sich bei der Klägerin lediglich um einen Einzelfall, der nun einmal das Nachsehen hat, überzeugt nicht. Der Aufsatz „Verfassungs- und europarechtliche Probleme bei der Berechnung von Elterngeld – zugleich Anmerkung zu LSG Niedersachsen-Bremen vom 25.02.2015 – L 2 EG 4/14 – von Graue/Diers (NZS 2015, 777) beleuchtet sorgfältig und umfassend die Problematik und erläutert, dass besonders die Gruppe der Berufsanfänger von den Gesetzesänderungen zur Verwaltungsvereinfachung negativ betroffen ist.

2. Nach dem BSG vom 21.06.2016 (BeckRS 2016, 73857) gehören auch Gewinnanteile aus einer OHG zu dem auf die Leistungen nach dem BEEG anrechenbaren Einkommen. Dabei ist unerheblich, ob der Elterngeldberechtigte während des Elterngeldbezugs einer (selbständigen) Tätigkeit für die OHG nachgegangen ist.

3. Nach dem LSG Bayern vom 07.12.2016 (BeckRS 2016, 113072) errechnet sich gem. § 2d Abs. 3 BEEG das elterngeldrechtlich relevante Einkommen von Beteiligten aus einer Personengesellschaft nicht mehr anhand des sich aus dem Steuerbescheid ergebenden Jahresgewinns, sondern aus der Gewinnermittlung gem. § 4 Abs. 3 EStG.

Redaktion beck-aktuell, 21. Februar 2017.