Anmerkung von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Hermann Plagemann, Plagemann Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Frankfurt am Main
Aus beck-fachdienst Sozialversicherungsrecht 25/2016 vom 9.12.2016
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Sachverhalt
Die Beteiligten streiten um die Anerkennung des Ereignisses vom 19.10.2012 als Arbeitsunfall. Der Kläger befuhr am 19.10.2012 mit seinem Motorrad zu dem Zwecke einzukaufen eine Straße in Kamen, als ihm ein Fahrradfahrer die Vorfahrt nahm. Bei dem folgenden Ausweichvorgang stürzte der Kläger und zog sich u.a. Luxationen beider Schultergelenke zu. Der beklagte Unfallversicherungsträger lehnt es ab, dieses Ereignis als „Arbeitsunfall“ i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 13a SGB VII anzuerkennen. Der Kläger habe nur in Anbetracht eines drohenden Zusammenstoßes eine Vollbremsung eingeleitet, um einen Zusammenstoß zu vermeiden. Dabei habe er in Sekundenbruchteilen gehandelt, so dass Zweifel daran bestünden, dass er dabei bewusst an mögliche Unfallfolgen für den Radfahrer gedacht habe. Zudem habe für den Kläger eine annähernd gleiche Gefahr bestanden. Gegen den ablehnenden Widerspruch richtet sich die Klage des Klägers.
Entscheidung
Das SG gibt der Klage statt. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 13a SGB VII sind solche Personen versichert, die bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr Nothilfe leisten oder einen anderen aus erheblicher gegenwärtiger Gefahr für seine Gesundheit retten. Der Kläger hat, indem er seinem potentiellen Unfallgegner ausgewichen ist, diesen aus erheblicher Gefahr für dessen Gesundheit gerettet. Der Umstand, dass die Rettungshandlung nicht mit zeitlichem Vorlauf geplant vorgenommen wurde, sondern der Kläger in Sekundenbruchteilen gehandelt hat, begründet keine andere Bewertung. Auch eine spontane Rettungstat unterfällt dem Tatbestand des § 2 Abs. 1 Nr. 13a SGB VII. Dies hat das BSG schon mit Urteil vom 30.11.1982 (NJW 1984, 325) zu der Vorgängervorschrift des § 539 Abs. 1 Nr. 9a RVO entschieden. Diese Entscheidung erscheint sachgerecht, weil es Gefahrensituationen geradezu immanent ist, dass sie überraschend auftreten und für die Rettungsentscheidung keine lange Überlegung dulden.
Praxishinweis
Das Gericht betont abschließend, dass der Versicherungsschutz nicht deshalb entfällt, weil der Kläger mit seiner Ausweichhandlung nicht allein den betroffenen Radfahrer, sondern auch seine eigene Person habe retten wollen. Schon wegen des in Rede stehenden Gewichts eines Motorrads einerseits und eines Fahrrads andererseits überwiegen die Gründe für die Annahme, dass der Kläger mit seinem Motorrad überhaupt nicht gestürzt wäre, wenn er geradeaus in das Fahrrad hineingefahren wäre. Für die Kammer bestehe kein vernünftiger Zweifel daran, dass bei einem Zusammenstoß hier die Gefahr für den Unfallgegner ungleich größer gewesen wäre, eine schwerwiegende Verletzung zu erleiden, als für den Kläger.