BGH: Entferntester Ort des Gerichtsbezirks maßgeblich für Erstattungsfähigkeit der Reisekosten eines auswärtigen Rechtsanwalts

ZPO § 91 II 1

Eine Partei, die einen außerhalb des Gerichtsbezirks ansässigen Rechtsanwalt beauftragt, ohne dass die in § 91 II 1 Hs. 2 ZPO vorausgesetzte Notwendigkeit bestanden hat, kann vom unterlegenen Prozessgegner – bis zur Grenze der tatsächlich angefallenen Kosten – diejenigen fiktiven Reisekosten erstattet verlangen, die angefallen wären, wenn sie einen am entferntesten Ort des Gerichtsbezirks ansässigen Rechtsanwalt beauftragt hätte. (von der Schriftleitung bearbeiteter Leitsatz des Gerichts)

BGH, Beschluss vom 04.12.2018 - VIII ZB 37/18, BeckRS 2018, 32883

Anmerkung von
Rechtsanwalt Dr. Hans-Jochem Mayer, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Bühl

Aus beck-fachdienst Vergütungs- und Kostenrecht 01/2019 vom 04.01.2019

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Sachverhalt

Die Beklagten waren im Bezirk des LG Stade wohnhaft. Sie beauftragten in einem gegen sie vor diesem LG geführten Verfahren einen außerhalb des Gerichtsbezirks ansässigen Rechtsanwalt in Celle mit ihrer Vertretung. Die Klage wurde abgewiesen und dem Kläger wurden die Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Mit ihrem Kostenfestsetzungsantrag machten die Beklagten ua Reisekosten ihres Prozessbevollmächtigten in Form von Fahrtkosten von Celle nach Stade sowie Tage- und Abwesenheitsgelder jeweils für sechs Gerichtstermine geltend.

Das LG Stade setzte die vom Kläger an die Beklagten zu erstattenden Kosten auf insgesamt 14.953,78 EUR fest. Dabei sah es an Stelle der geltend gemachten (tatsächlichen) Reisekosten lediglich die (fiktiven) Fahrtkosten vom Wohnort der Beklagten zu 1 zum LG Stade als erstattungsfähig an, da die Beauftragung eines außerhalb des Gerichtsbezirks ansässigen Rechtsanwalts durch die innerhalb des Bezirks wohnhaften Beklagten nicht notwendig gewesen sei. Entsprechend wurden die Tage- und Abwesenheitsgelder gekürzt sowie die Reisekosten für einen kurzfristig abgesagten Termin gänzlich abgesetzt. Die hiergegen von den Beklagten eingelegte sofortige Beschwerde, mit welcher sie (fiktive) Reisekosten für sechs Termine unter Zugrundelegung der Entfernung zwischen dem Gerichtsort und dem hiervon am weitesten entfernten Ort innerhalb des Bezirks des LG Stade iHv weiteren 324,10 EUR geltend machten, hatte keinen Erfolg. Mit ihrer vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgen die Beklagten ihr Kostenfestsetzungsbegehren erfolgreich weiter.

Entscheidung: Tatbestandsmerkmal der Notwendigkeit in § 91 II 1 Hs. 2 ZPO einschränkend auszulegen; Reisekosten innerhalb des Gerichtsbezirks stets erstattungsfähig; weitest entfernt gelegener Ort innerhalb des Gerichtsbezirks maßgeblich

Die unterlegene Partei habe die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit diese zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren (§ 91 I 1 ZPO). Hierzu zählten stets die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts (§ 91 II 1 Hs. 1 ZPO) und damit grds. auch Reisekosten in Form von Fahrtkosten (VV 7003 f. RVG) sowie Tage- und Abwesenheitsgelder (VV 7005 RVG).

Beauftrage die Prozesspartei einen außerhalb des Gerichtsbezirks ansässigen und auch dort wohnenden Rechtsanwalt mit ihrer Vertretung, sei hinsichtlich vorgenannter Reisekosten gem. § 91 II 1 Hs. 2 ZPO zunächst die Notwendigkeit der Hinzuziehung dieses Prozessbevollmächtigten zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung zu prüfen. Nur wenn die Notwendigkeit bejaht werde, seien die tatsächlichen Reisekosten des auswärtigen Prozessbevollmächtigten zu erstatten. Dabei sei anerkannt, dass die Hinzuziehung im Regelfall dann notwendig sei, wenn die Partei ihren Wohnort bzw. ihren Sitz selbst außerhalb des Gerichtsbezirks habe und einen an ihrem (Wohn-)Sitz ansässigen Rechtsanwalt beauftrage. Demgegenüber fehle die Notwendigkeit regelmäßig, wenn die Partei ihren (Wohn-)Sitz innerhalb des Gerichtsbezirks habe und einen außerhalb des Bezirks ansässigen Rechtsanwalt mandatiere. So liege der Fall hier.

Diese fehlende Notwendigkeit der Beauftragung eines auswärtigen Rechtsanwaltes führe jedoch nicht – wie es der Wortlaut des § 91 I 1 Hs. 2 ZPO nahelege – zum vollständigen Ausschluss eines Anspruchs auf Erstattung von Reisekosten des Rechtsanwalts gegenüber dem unterlegenen Prozessgegner. Vielmehr könne die Partei grds. fiktive Reisekosten geltend machen. Umstritten sei, ob insoweit lediglich die fiktiven Reisekosten vom Wohnort bzw. vom Sitz der Partei zum Prozessgericht erstattungsfähig seien oder die obsiegende Partei die Erstattung derjenigen Reisekosten verlangen könne, die angefallen wären, wenn sie einen am entferntesten Ort innerhalb des Gerichtsbezirks ansässigen Rechtsanwalt beauftragt hätte. Nach dem BGH trifft die letztgenannte Antwort zu. Das Tatbestandsmerkmal der Notwendigkeit in § 91 II 1 Hs. 2 ZPO sei aus Gründen der Interessengerechtigkeit einschränkend dahingehend auszulegen, dass eine Partei, die ihren Wohnort oder Sitz innerhalb des Gerichtsbezirks habe, jedoch einen Rechtsanwalt außerhalb des Bezirks beauftrage, Reisekosten insoweit beanspruchen könne, als sie entstanden wären, wenn sie einen Rechtsanwalt mit Niederlassung am weitest entfernt gelegenen Ort innerhalb des Gerichtsbezirks mandatiert hätte.

Ebenso wie in dem durch den BGH bereits entschiedenen Fall einer außerhalb des Gerichtsbezirks ansässigen Partei (BeckRS 2018, 14136) spreche hierfür, dass einer Partei, die einen innerhalb des Gerichtsbezirks ansässigen Rechtsanwalt beauftrage, die entstandenen Reisekosten vom unterlegenen Prozessgegner – von Fällen des Rechtsmissbrauchs abgesehen – zu erstatten seien. Auf den (Wohn-)Sitz der Partei komme es in diesem Fall nicht an; eine Notwendigkeitsprüfung finde nicht statt. Dies folge aus einem Umkehrschluss aus § 91 II 1 Hs. 2 ZPO, der eine solche nur dann verlange, wenn ein außerhalb des Gerichtsbezirks ansässiger Rechtsanwalt beauftragt werde.

Praxistipp

Nachdem der BGH bereits die Konstellation entschieden hatte, dass eine vor einem auswärtigen Gericht klagende Partei einen an ihrem Sitz tätigen Rechtsanwalt beauftragt hat, dessen Hinzuziehung ausnahmsweise nicht notwendig war, weil bei Beauftragung des Rechtsanwalts bereits feststand, dass ein eingehendes Mandantengespräch für die Prozessführung nicht erforderlich sein wird (BGH BeckRS 2018 14136 mAnm Mayer FD-RVG 2018, 407309 und Anm. Schneider NJW 2018, 274), beschäftigte er sich in der berichteten Entscheidung mit der „klassischen Situation“, dass eine im Gerichtsbezirk ansässige Partei einen außerhalb des Gerichtsbezirks ansässigen Rechtsanwalt mit ihrer Vertretung beauftragt. In beiden Fällen hat sich der BGH auf den Standpunkt gestellt, dass vom unterlegenen Prozessgegner – bis zur Grenze der tatsächlich angefallenen Kosten – diejenigen fiktiven Reisekosten zu erstatten sind, die angefallen wären, wenn die Partei einen am entferntesten Ort des Gerichtsbezirks ansässigen Rechtsanwalt beauftragt hätte. Dies ist konsequent, weil die obsiegende Partei die Reisekosten eines an irgendeinem Ort im jeweiligen Gerichtsbezirk niedergelassenen oder wohnhaften Rechtsanwalts erstattet verlangen kann.

Redaktion beck-aktuell, 9. Januar 2019.