BGH: Größe des Gerichtsbezirks für die Erstattung der Reisekosten eines auswärtigen Rechtsanwalts maßgeblich

ZPO § 91 II 1

Ist die Hinzuziehung eines auswärtigen Rechtsanwalts zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht notwendig im Sinne von § 91 II 1 Halbs. 2 ZPO, führt dies lediglich dazu, dass die Mehrkosten, die gegenüber der Beauftragung von bezirksansässigen Prozessbevollmächtigten entstanden sind, nicht zu erstatten sind. Tatsächlich angefallene Reisekosten des auswärtigen Rechtsanwalts sind deshalb insoweit erstattungsfähig, als sie auch dann entstanden wären, wenn die obsiegende Partei einen Rechtsanwalt mit Niederlassung am weitest entfernt gelegenen Ort innerhalb des Gerichtsbezirks beauftragt hätte. (Leitsatz des Gerichts)

BGH, Beschluss vom 09.05.2018 - I ZB 62/17, BeckRS 2018, 14136

Anmerkung von
Rechtsanwalt Dr. Hans-Jochem Mayer, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Bühl

Aus beck-fachdienst Vergütungs- und Kostenrecht 15/2018 vom 25.07.2018

Diese Urteilsbesprechung ist Teil des zweiwöchentlich erscheinenden Fachdienstes Vergütungs- und Kostenrecht. Neben weiteren ausführlichen Besprechungen der entscheidenden aktuellen Urteile im Vergütungs- und Kostenrecht beinhaltet er ergänzende Leitsatzübersichten und einen Überblick über die relevanten neu erschienenen Aufsätze. Zudem informiert er Sie in einem Nachrichtenblock über die wichtigen Entwicklungen in Gesetzgebung und Praxis des Vergütungs- und Kostenrechts. Weitere Informationen und eine Schnellbestellmöglichkeit finden Sie unter www.beck-online.de

Sachverhalt

Der Kläger war ein in Düsseldorf ansässiger Verband, zu dessen satzungsmäßigen Aufgaben es gehörte, die gewerblichen Interessen seiner Mitglieder zu wahren und im Zusammenwirken mit den zuständigen Stellen der Rechtspflege den lauteren Wettbewerb zu fördern. Er beauftragte in einem wettbewerbsrechtlichen Streit mit der Beklagten eine Düsseldorfer Rechtsanwältin, die für ihn den Rechtsstreit vor dem Landgericht und dem Oberlandesgericht Frankfurt a. M. führte. Der Beklagten wurden die Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Im Kostenfestsetzungsverfahren beantragte der Kläger, die Reisekosten seiner Düsseldorfer Prozessbevollmächtigten zum Verhandlungstermin in Frankfurt sowie Abwesenheitsgeld, hilfsweise die tatsächlich angefallenen Reisekosten bis zur höchstmöglichen Entfernung im Landgerichts- bzw. Oberlandesgerichtsbezirk Frankfurt a. M. festzusetzen. Das Landgericht entsprach dem Hauptantrag. Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten hob das OLG den Kostenfestsetzungsbeschluss auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung an das Landgericht. Das LG setzte daraufhin im Kostenfestsetzungsbeschluss die Reisekosten ab; fiktive Reisekosten seien nicht zu berücksichtigen, die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde des Klägers blieb ohne Erfolg.

Hiergegen richtete sich die vom Beschwerdegericht zugelassene Rechtsbeschwerde des Klägers, mit der er seinen Hilfsantrag aus dem Kostenfestsetzungsverfahren weiterverfolgte. Der Beschluss des OLG Frankfurt a. M. wurde aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.

Rechtliche Wertung

Mit Recht habe das Beschwerdegericht in seinem auf die sofortige Beschwerde der Beklagten ergangenen Beschluss angenommen, dass es für den Kläger nicht notwendig war, mit der Verfolgung eines Wettbewerbsverstoßes (§ 3 UWG) eine Rechtsanwältin zu beauftragen, die nicht im Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist. Dementsprechend verfolge der Kläger mit seiner Rechtsbeschwerde nur noch seinen Hilfsantrag aus dem Kostenfestsetzungsverfahren weiter und begehre die Erstattung fiktiver Reisekosten einer im Bezirk der Prozessgerichte niedergelassenen Rechtsanwältin.

Ob die Reisekosten zumindest in Höhe der fiktiven Reisekosten eines Bevollmächtigten mit Niederlassung am weitest entfernt gelegenen Ort innerhalb des Gerichtsbezirks erstattungsfähig seien, sei in Rspr. und Lit. umstritten. Bereits höchstrichterlich geklärt sei die Frage, in welcher Höhe die Reisekosten eines Rechtsanwalts erstattet werden können, dessen Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig war und der eine Partei vertrete, die bei einem auswärtigen Gericht klage oder verklagt werde, und der selbst weder am Gerichtsort noch am Wohn- oder Geschäftsort der Partei ansässig sei („Rechtsanwalt am dritten Ort“). Als notwendig und damit erstattungsfähig anzusehen seien Reisekosten in diesen Fällen regelmäßig bis zur Höhe der fiktiven Reisekosten eines am Wohn- oder Geschäftsort der Partei ansässigen Rechtsanwalts.

Zur Frage der Erstattung von Reisekosten eines nicht im Gerichtsbezirk niedergelassenen Rechtsanwalts, dessen Hinzuziehung nicht gem. § 91 II 1 Hs. 2 ZPO notwendig war, vertrete das Beschwerdegericht die Ansicht, die Regelung in § 91 II 1 ZPO diene allein der Gleichbehandlung aller in einem Gerichtsbezirk niedergelassenen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte. Deren Beauftragung solle ungeachtet der Entfernung vom Gericht ohne Nachteile im Rahmen der Kostenerstattung erfolgen können. Nach der Gesetzesbegründung trage die Regelung der „Ortsbezogenheit“ Rechnung. Entsprechend dem Wortlaut der Vorschrift seien Reisekosten des auswärtigen Rechtsanwalts deshalb nur erstattungsfähig, wenn dessen Hinzuziehung notwendig gewesen sei.

Nach der Gegenansicht sei das Tatbestandsmerkmal der Notwendigkeit iSd § 91 II 1 Hs. 2 ZPO einschränkend auszulegen. Könnten Reisekosten gem. § 91 II 1 Hs. 1 ZPO in voller Höhe und ohne eine Notwendigkeitsprüfung erstattet verlangt werden, wenn ein im Gerichtsbezirk niedergelassener Rechtsanwalt beauftragt werde, verbiete es sich, der obsiegenden Partei, die sich durch einen auswärtigen Rechtsanwalt vertreten lasse, ohne dass dies notwendig iSv § 91 II 1 Hs. 2 ZPO gewesen sei, eine Kostenerstattung vollständig zu versagen. Nur die Mehrkosten, die dadurch entstehen, dass die Reise über den Gerichtsbezirk hinaus führe, verstießen nach dieser Auffassung gegen das Gebot zur Kostenersparnis. In diesem Fall seien deshalb fiktive Reisekosten bis zur Höhe der weitesten Entfernung innerhalb des Gerichtsbezirks erstattungsfähig.

Der Senat schließe sich der zuletzt genannten Auffassung an. Das entspreche der Auslegung des Tatbestandsmerkmals der Notwendigkeit in § 91 II 2 Hs. 2 ZPO zur Erstattungsfähigkeit von Reisekosten des „Rechtsanwalts am dritten Ort“. Sei die Hinzuziehung der auswärtigen Rechtsanwältin zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht notwendig iSv § 91 II 1 Hs. 2 ZPO, führe dies lediglich dazu, dass die Mehrkosten, die gegenüber der Beauftragung von bezirksansässigen Prozessbevollmächtigten entstanden seien, nicht erstattet verlangt werden könnten, die Erstattung aber nicht vollständig versagt werden könne.

Die Frage, ob Mehrkosten für die Anreise eines auswärtigen Rechtsanwalts zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig waren, stelle sich erst und allein für die Erstattungsfähigkeit von Reisekosten ab der Gerichtsbezirksgrenze.

Praxistipp

Die Entscheidung des BGH schafft Klarheit in einer in der Rechtsprechung heftig umstrittenen Frage (bislang die Erstattungsfähigkeit von Reisekosten eines nicht im Gerichtsbezirk niedergelassenen Rechtsanwalts, dessen Hinzuziehung nicht gem. § 91 II 1 Hs. 2 ZPO notwendig war, verneinen OLG Celle BeckRS 2015, 11589; OLG Frankfurt BeckRS 2016, 02487; OLG Karlsruhe BeckRS 2017, 111376; aA OLG Frankfurt BeckRS 2016, 06286; OLG Schleswig BeckRS 2015, 16501; OLG Köln BeckRS 2015, 20012; LG Düsseldorf BeckRS 2015, 00035; siehe zur Thematik insgesamt auch BeckOK ZPO/Jaspersen ZPO § 91 Rn. 168 ff.).

Redaktion beck-aktuell, 30. Juli 2018.