OLG Frankfurt a. M.: Keine Erhöhung der Beratungsgebühr im Rahmen der Beratungshilfe durch Mehrvertretungszuschlag

VV 1008, 2501 RVG

VV 1008 RVG sieht für den Fall, dass mehrere Personen Auftraggeber in derselben Angelegenheit sind, eine Erhöhung der Gebühren nicht generell, sondern nur für die Verfahrens- oder Geschäftsgebühr vor. Eine analoge Anwendung auf die Beratungshilfegebühr VV 2501 RVG kommt nicht in Betracht, weil von einer planwidrigen Gesetzeslücke nicht ausgegangen werden kann. In der Begrenzung des Anwendungsbereichs der VV 1008 RVG auf Verfahrens- und Geschäftsgebühren ist eine bewusste und hinzunehmende Entscheidung des Gesetzgebers zu sehen. (Leitsatz der Schriftleitung)

OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 15.02.2018 - 20 W 166/17, BeckRS 2018, 2586

Anmerkung von
Rechtsanwalt Dr. Hans-Jochem Mayer, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Bühl

Aus beck-fachdienst Vergütungs- und Kostenrecht 11/2018 vom 23.05.2018

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Sachverhalt

Das Amtsgericht stellte unter dem 19.4.2011 einen Berechtigungsschein für Beratungshilfe durch einen Rechtsanwalt aus, wonach … ua berechtigt ist, die Hilfe eines Rechtsanwalts eigener Wahl für die Prüfung der Bescheide vom 17.9.2010 und 20.1.2011 insbes. betreffend die Einstellung der Leistungen in Anspruch zu nehmen. Diese Bescheide betrafen Leistungen nach dem SGB II für die als Bedarfsgemeinschaft behandelten Personen. Mit Vergütungsantrag vom 19.12.2012 beantragte der antragstellende Rechtsanwalt die Festsetzung der Beratungsgebühr nebst Erhöhung nach VV 2501, 1008 RVG iHv 48 EUR zzgl. Umsatzsteuer, insgesamt mithin 57,12 EUR. Das AG setzte mit Beschluss vom 12.3.2013 die dem Antragsteller aus der Staatskasse, zu erstattenden Gebühren und Auslagen unter Zurückweisung des weitergehenden Vergütungsantrages auf 35,70 EUR fest: Dieser Betrag setzte sich zusammen aus einer Beratungsgebühr nach VV 2501 RVG iHv 30 EUR zzgl. 5,70 EUR Umsatzsteuer. Weiter wurde ausgeführt, eine Erhöhung für die vorliegende Beratungsgebühr komme nicht in Betracht, weil VV 1008 RVG die Erhöhung nur für Verfahrens- oder Geschäftsgebühren vorsehe. Die hiergegen gerichtete Erinnerung wies der Richter des Amtsgerichts mit Beschluss vom 22.11.2016 zurück. Gegen diesen Beschluss legte der Antragsteller Beschwerde ein. Nach Nichtabhilfe und Vorlage an das LG übertrug die dortige Einzelrichterin den Rechtsstreit nach Einholung einer Stellungnahme des Bezirksrevisors wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache auf die Kammer. Die Kammer wies sodann mit Beschluss vom 10.4.2017 die Beschwerde unter Zulassung, der weiteren Beschwerde zurück. Gegen den landgerichtlichen Beschluss legte der Antragsteller mit Schreiben vom 2.5.2017 weitere Beschwerde ein. Die weitere Beschwerde hatte vor dem OLG Frankfurt a. M. keinen Erfolg.

Rechtliche Wertung

Das Landgericht habe rechtsfehlerfrei entschieden, dass bei der Vergütung des Rechtsanwalts aus der Landeskasse für die Gewährung von Beratungshilfe eine Erhöhung der Beratungsgebühr nach VV 2501 RVG um den Mehrvertretungszuschlag nach VV 1008 RVG nicht vorzunehmen sei. Allerdings sei in der Literatur zum Beratungshilfegesetz seit langem umstritten, ob eine Erhöhung der Beratungsgebühr nach VV 2501 RVG um den Mehrvertretungszuschlag nach VV 1008 RVG in Betracht komme. Teilweise werde eine Anwendung ohne nähere Begründung angenommen. Dem vermöge sich der Senat jedoch nicht anzuschließen. VV 1008 RVG sehe für den Fall, dass mehrere Personen Auftraggeber in derselben Angelegenheit sind, eine Erhöhung der Gebühren nicht generell, sondern nur für die Verfahrens- oder Geschäftsgebühr vor. Der Erweiterung des Mehrvertretungszuschlages auf andere Gebühren stehe deshalb bereits der insoweit eindeutige Gesetzeswortlaut entgegen. Auch eine analoge Anwendung auf die hier maßgebliche Beratungsgebühr nach VV 2501 RVG komme nach Auffassung des Senates nicht in Betracht, weil von einer planwidrigen Gesetzeslücke nicht ausgegangen werden könne. Insoweit könne dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, dass er übersehen hätte, dass eine Erhöhung im Falle der Tätigkeit für mehrere Personen auch für andere im RVG geregelte Gebühren, theoretisch in Betracht gekommen wäre. Demnach sei in der Begrenzung des Anwendungsbereichs der VV 1008 RVG auf Verfahrens- und Geschäftsgebühren eine bewusste und hinzunehmende Entscheidung des Gesetzgebers zu sehen. So sei auch die umfangreiche Reformierung der Vorschriften des RVG durch das 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz vom 2.7.2013, mit welchem sowohl VV 1008 RVG als auch die für die Beratungshilfe geltenden VV 2500 ff. RVG geändert wurden, nicht zum Anlass genommen worden, eine Erweiterung des Anwendungsbereiches des Mehrvertretungszuschlages auf VV 2501 RVG vorzunehmen, obwohl die Frage der Erhöhung der Beratungsgebühr bereits unter der Geltung der BRAGO umstritten gewesen war. Der Senat gehe deshalb mit der einhelligen Auffassung in der neueren obergerichtlichen Rechtsprechung davon aus, dass im Rahmen der Beratungshilfe eine Erhöhung nach VV 1008 RVG zwar im Falle der Geschäftsgebühr nach VV 2503 RVG in Betracht komme. Eine Erstreckung auf die Beratungsgebühr nach VV 2501 RVG komme jedoch nicht in Betracht.

Zu einer anderen rechtlichen Beurteilung könne auch nicht der Hinweis des Antragstellers auf den grundrechtlichen Schutz der Berufsausübungsfreiheit nach Art. 12 GG führen. § 44 RVG begründe, einen öffentlich-rechtlichen Vergütungsanspruch gegen die Landeskasse. Er enthalte eine für alle Beratungspersonen geltende Begrenzung dieser Vergütung, auf die gesetzlich geregelten Festgebühren. Die dort vorgesehene Festsetzung von Pauschalsätzen bringe es von vornherein mit sich, dass eine einzelfallbezogene Differenzierung nach tatsächlichem Aufwand oder Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit im Rahmen der Beratungshilfe nicht erfolge.

Praxistipp

Vielfach wird in der Literatur vertreten, dass bei Beratung mehrerer Rechtsuchender in derselben Angelegenheit die Beratungsgebühr VV 2501 RVG um den Mehrvertretungszuschlag nach VV 1008 RVG iHv 30 % je weiterem Auftraggeber zu erhöhen ist, was zu einer Erhöhung der Festgebühr VV 2501 RVG um jeweils 10,50 EUR je weiterem Rechtsuchenden führt (vgl. Gerold/Schmidt, RVG-Kommentar/Mayer, 23. Aufl. 2017, VV 2500-2508 RVG Rn. 37). Die Gegenauffassung, der sich auch das OLG Frankfurt in der berichteten Entscheidung angeschlossen hat, stützt sich auf den eindeutigen Wortlaut von VV 1008 RVG (s. hierzu näher Dürbeck in Dürbeck/Gottschalk, Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, Beratungshilfe, 8. Aufl. 2018, Rn. 1260).

Redaktion beck-aktuell, 23. Mai 2018.