VGH Mannheim: Beschwerde gegen verwaltungsgerichtliche Aufhebung der PKH-Bewilligung möglich

ZPO § 124 I Nr. 2; VwGO § 146 II

Die Entscheidung über die Aufhebung bereits bewilligter Prozesskostenhilfe unterfällt nicht dem in § 146 Abs. 2 VwGO geregelten Beschwerdeausschluss. (Leitsatz des Gerichts)

VGH Mannheim, Beschluss vom 06.03.2018 - 11 S 212/18, BeckRS 2018, 5028

Anmerkung von
Rechtsanwalt Dr. Hans-Jochem Mayer, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Bühl

Aus beck-fachdienst Vergütungs- und Kostenrecht 9/2018 vom 25.04.2018

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Sachverhalt

Dem Kläger wurde mit Beschluss vom 12.9.2013 Prozesskostenhilfe zur Rechtsverfolgung bewilligt. Mit Beschluss vom selben Tag wurde das Klageverfahren eingestellt, nachdem der Kläger seine Klage zurückgenommen hatte. Beginnend ab September 2015 wurde der Kläger durch das Verwaltungsgericht mit insgesamt sieben Schreiben zur Einreichung der Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse aufgefordert. Eine Erklärung ging nicht ein. Mit Beschluss vom 22.12.2017 hob das Verwaltungsgericht die PKH-Bewilligung unter Verweis auf § 124 I Nr. 2 ZPO auf, weil der Kläger trotz entsprechender Aufforderung der ihm nach § 120 IV 2 ZPO aF obliegenden Pflicht zur Darlegung seiner aktuellen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht nachgekommen sei. Gegen diesen Beschluss wandte sich der Kläger mit der Beschwerde, die Beschwerde hatte Erfolg.

Rechtliche Wertung

Die Beschwerde sei zulässig, insbesondere sei sie statthaft. Sie sei nicht nach § 146 II VwGO ausgeschlossen. Gem. § 146 II VwGO könnten Beschlüsse über die Ablehnung der Prozesskostenhilfe, wenn das Gericht ausschließlich die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen der Prozesskostenhilfe verneine, nicht mit der Beschwerde angefochten werden.

Die Entscheidung über die Aufhebung der Prozesskostenhilfe gem. § 166 VwGO, § 124 I Nr. 2 Alt. 2 ZPO falle nicht unter diese Bestimmung. Bereits nach dem Wortlaut des § 146 II VwGO, der Beschlüsse über die Ablehnung der Prozesskostenhilfe nenne, nicht aber die Aufhebung eines bewilligenden Beschlusses, unterfalle diese nicht dem Beschwerdeausschluss.

Für eine erweiternde Auslegung oder analoge Anwendung der Beschwerdeausschlussregelung des § 146 II VwGO mit der Folge, dass der Fall der Aufhebungsentscheidung nach § 124 I Nr. 2 Alt. 2 ZPO miterfasst werde, fehle es bereits an vergleichbaren Sachverhalten.

Handele es sich bei der Entscheidung über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe um eine gebundene Entscheidung, stehe die Aufhebung der Bewilligungsentscheidung gem. § 124 ZPO im Ermessen des Gerichtes. Auch liege den beiden Konstellationen ein unterschiedliches Prüfungsprogramm zu Grunde. Für die Entscheidung, ob ein Prozesskostenhilfeantrag abzulehnen sei, seien gem. § 114 1 ZPO im Wesentlichen die Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers zu prüfen. Hingegen seien bei § 124 I Nr. 2 Alt. 2 ZPO das Mitwirkungsverlangen des Gerichtes iSv § 120 a I 3 ZPO (gleichlautend zu § 120 IV 2 ZPO aF) und die Nichtbefolgung dieses Verlangens zu prüfen. Im Gegensatz zur Bewilligungsentscheidung (oder auch der Änderungsentscheidung nach § 120 a ZPO) erfordere die auf § 124 I Nr. 2 oder auch Nr. 3 ZPO gestützte Aufhebung der Bewilligung der Prozesskostenhilfe mehr als die Verneinung der persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen, nämlich das Hinzukommen eines bestimmten Verschuldensgrades bzw. die Einhaltung einer bestimmten Frist. Zudem handele es sich bei der Entscheidung über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe um einen Akt des Leistungshandelns, wogegen die Aufhebung nach § 124 I Nr. 2 Alt. 2 ZPO ein Akt des Eingriffshandels sei.

Auch unter Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte des in § 146 II VwGO geregelten Beschwerdeausschlusses ergebe sich nichts anderes.

Dabei verkenne der Senat nicht, dass das Gesetz zur Änderung des Prozesskostenhilfe- und Beratungshilferechts ua den Zweck verfolge, den Richter im Bewilligungsverfahren durch die Übertragung von Zuständigkeiten auf den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu entlasten. Dem Zweck der Entlastung des Richters diene auch der Beschwerdeausschluss in Fällen der Ablehnung der Prozesskostenhilfe, wenn das Gericht ausschließlich die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen der Prozesskostenhilfe verneine.

Die Beschwerde sei auch begründet, da die Aufhebung im Hinblick auf den Ablauf der in § 120 IV 3 ZPO aF bzw. § 120 a I 4 ZPO nF geregelten Frist von vier Jahren nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens, nach deren Ablauf eine Änderung der Prozesskostenhilfeentscheidung zum Nachteil des Betroffenen ausgeschlossen sei, nicht habe erfolgen dürfen. Die vorliegend vorgenommene Aufhebungsentscheidung nach § 124 I Nr. 2 Alt. 2 ZPO knüpfe an § 120 a I 3 ZPO an, also die Pflicht zur Mitwirkung, auf eine gerichtliche Aufforderung zu erklären, ob eine Veränderung der Verhältnisse eingetreten sei. § 120 a I 4 ZPO (entspricht § 120 III 3 ZPO aF) bestimme aber auch, dass eine Änderung zum Nachteil einer Partei ausgeschlossen sei, wenn seit der rechtskräftigen Entscheidung oder sonstigen Beendigung des Verfahrens mehr als vier Jahre vergangen seien. Scheide entsprechend dieser Vorgabe eine Änderung der Prozesskostenhilfe aus, so komme auch eine Aufhebung nach § 124 ZPO nicht mehr in Frage. Maßgeblich sei der Zeitpunkt der Änderungsentscheidung. Es genüge insbesondere nicht, dass das Änderungsverfahren noch innerhalb der Vierjahresfrist eingeleitet worden sei. Die Frist von vier Jahren habe mit Erlass des Einstellungsbeschlusses vom 12.9.2013 begonnen und sei damit bei Ergehen des hier streitigen Beschlusses vom 22.12.2017 bereits abgelaufen gewesen.

Praxistipp

Seit dem 1.1.2014 sind Beschlüsse des Verwaltungsgerichts über die Ablehnung der Prozesskostenhilfe nicht mehr beschwerdefähig, wenn das Gericht ausschließlich die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen der Prozesskostenhilfe verneint hat, sondern nur noch, wenn die Erfolgsaussichten in der Hauptsache vom Gericht verneint wurden (s. hierzu näher Guckelberger in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, VwGO § 146 Rn. 28 a). Insbesondere mit dem zutreffenden Argument, bei der Aufhebung der Bewilligungsentscheidung gem. § 124 ZPO handele es sich um eine Ermessensentscheidung, sodass für eine erweiternde Auslegung oder analoge Anwendung der Beschwerdeausschlussregelung des § 146 VwGO kein Raum ist, hat sich der VGH Mannheim auf den Standpunkt gestellt, dass die Entscheidung über die Aufhebung bereits bewilligter Prozesskostenhilfe nicht dem in § 146 II VwGO geregelten Beschwerdeausschluss unterfällt.

Redaktion beck-aktuell, 27. April 2018.