LAG Baden-Württemberg: Prozesskostenhilfe für den Berufungsgegner erst nach Vorliegen der Berufungsbegründung

ZPO § 119 I 2

Dem Berufungsgegner ist gemäß § 119 I 2 ZPO Prozesskostenhilfe grundsätzlich erst zu gewähren, wenn die Berufung begründet worden ist. (von der Schriftleitung gekürzter Leitsatz des Gerichts)

LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 16.10.2017 - 3 Sa 24/17, BeckRS 2017, 130426

Anmerkung von
Rechtsanwalt Dr. Hans-Jochem Mayer, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Bühl

Aus beck-fachdienst Vergütungs- und Kostenrecht 24/2017 vom 29.11.2017

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Sachverhalt

Die Parteien stritten erstinstanzlich um Vergütungsansprüche des Klägers, die das Arbeitsgericht ihm unter Klageabweisung im Übrigen mit Urteil vom 22.2.2017 teilweise zusprach. Hiergegen legte der Beklagte am 27.3.2017 Berufung ein. Mit Schriftsatz vom 5.4.2017 zeigte der erstinstanzliche Prozessbevollmächtigte des Klägers dessen Vertretung auch in der Berufungsinstanz an und beantragte, dem Kläger auch für das Berufungsverfahren Prozesskostenhilfe unter seiner Beiordnung zu bewilligen. Am 19.4.2017 reichte der Kläger eine ausgefüllte Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ein. Auf Antrag der Prozessbevollmächtigte des Beklagten wurde die Berufungsbegründungsfrist bis 26.6.2017 verlängert. Mit Schriftsatz vom 22.6.2017 nahm der Beklagte die eingelegte Berufung zurück. Mit gerichtlicher Verfügung vom 27.6.2017 wurde die Absicht bekundet, den Beklagten des Rechtsmittels der Berufung gegen das arbeitsgerichtliche Urteil für verlustig zu erklären und ihm die Kosten aufzuerlegen. Dementsprechende Anträge stellte der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Schriftsatz vom 13.7.2017. Zuvor war der Kläger mit Verfügung vom 3.7.2017 darauf hingewiesen worden, dass beabsichtigt sei, seinen Prozesskostenhilfeantrag zurückzuweisen, wobei ihm Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt wurde. Mit Beschluss vom 19.7.2017 wurde der Beklagte des Rechtsmittels der Berufung gegen das arbeitsgerichtliche Urteil für verlustig erklärt. Außerdem wurden ihm die Kosten des Berufungsverfahrens auferlegt. Der Kläger trug vor, dass er nach Berufungseinlegung durch den Beklagten ein rechtliches Interesse an Beratung und Vertretung in Bezug auf sein weiteres Vorgehen gehabt habe. Die Frage der Einlegung eines Anschlussrechtsmittels habe im Raum gestanden. Es sei nicht zulässig, ihm in dieser Situation für Teile des Rechtszugs die Prozesskostenhilfe zu verweigern. Auch die nicht bemittelte Partei habe Anspruch darauf, im Rechtsmittelzug in gleicher Weise beraten und vertreten zu werden wie eine bemittelte Partei, was aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens und der staatlichen Fürsorge für die nicht bemittelte Partei folge. Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Berufungsinstanz hatte keinen Erfolg.

Rechtliche Wertung

Nach § 119 I 2 ZPO sei bei der Bewilligung von Prozesskostenhilfe in einem höheren Rechtszug nicht zu prüfen, ob die Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg biete oder mutwillig erscheine, wenn der Gegner das Rechtsmittel einlege. Diese Vorschrift bedürfe im Hinblick auf den Zweck der PKH einer einschränkenden Auslegung. Die Prozesskostenhilfe diene dazu, unbemittelten Personen den Zugang zu den staatlichen Gerichten zu eröffnen. Sie stelle als Leistung der staatlichen Daseinsfürsorge und als Bestandteil der Rechtsschutzgewährung eine Einrichtung der Sozialhilfe im Bereich der Rechtspflege dar, die ihre verfassungsrechtliche Legitimation im Gebot des sozialen Rechtsstaats und im allgemeinen Gleichheitssatz finde. Wegen dieses Sozialhilfecharakters der Prozesskostenhilfe und der damit verbundenen Belastung der Allgemeinheit mit den Kosten für die Rechtsdurchsetzung würden sich für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe Grenzen ergeben. Voraussetzung hierfür sei, dass sich die bedürftige Partei erst dann eines Rechtsanwalts bediene, wenn dies im Einzelfall wirklich notwendig sei. Nur dann sei es gerechtfertigt, die Staatskasse mit den hierdurch entstehenden Kosten zu belasten. Dem Rechtsmittelgegner sei deshalb Prozesskostenhilfe grundsätzlich erst zu gewähren, wenn das Rechtsmittel begründet worden sei und die Voraussetzungen für eine Verwerfung des Rechtsmittels nicht gegeben seien. Dies führe nicht zu einer Benachteiligung der bedürftigen Partei, weil eine verständige, nicht hilfsbedürftige Partei auch erst dann ihre Rechte verteidigen würde. Denn entscheidend sei, dass sich der Berufungsbeklagte erst nach Vorliegen der Berufungsbegründung mit Inhalt und Umfang des Angriffs auf das erstinstanzliche Urteil sachlich auseinandersetzen könne. Die Notwendigkeit einer sofortigen Beauftragung eines Rechtsanwalts für das Rechtsmittelverfahren lasse sich auch nicht mit dem Schlagwort „Waffengleichheit" begründen. Es könne ferner offenbleiben, ob eine Partei, die in erster Instanz noch nicht durch einen Rechtsanwalt vertreten war und ein obsiegendes Urteil erreicht habe, nach Zustellung der Berufung und vor Eingang der Berufungsbegründung eines Rechtsanwalts zur Vertretung im Berufungsverfahren bedürfe. Im vorliegenden Fall sei der Prozessbevollmächtigte des Klägers für diesen bereits in erster Instanz tätig gewesen. Er habe gewusst, dass der Kläger im Berufungsverfahren nicht tätig zu werden brauche, solange eine Berufungsbegründung noch nicht vorliege. Zu den Beratungspflichten des den Prozess in einer Instanz führenden Rechtsanwalts gehöre es, der Partei im Rahmen seiner nachwirkenden Beratungspflicht die Bedeutung des erzielten (positiven oder negativen) Ergebnisses zu erläutern und sie bei der Frage, ob sie die ergangene gerichtliche Entscheidung verteidigen solle, beratend zur Seite zu stehen. Auch die Frage der Einlegung eines Anschlussrechtsmittels habe noch keiner Erörterung bedurft, weil die Frist hierfür erst mit Zustellung der Berufungsbegründung zu laufen begonnen habe.

Praxistipp

Das LAG Baden-Württemberg liegt mit seiner Entscheidung auf der Linie der Rechtsprechung des BAG (AP ZPO § 119 Nr. 2) sowie der übrigen obergerichtlichen Rechtsprechung. Prozesskostenhilfe ist dem Rechtsmittelbeklagten nicht nur dann nicht zu bewilligen, solange die erforderliche Rechtsmittelbegründung des Rechtsmittelklägers noch nicht vorliegt, sondern die Rechtsverteidigung ist auch dann nicht notwendig, wenn das Rechtsmittelgericht angekündigt hat, das Rechtsmittel zu verwerfen, oder das Rechtsmittel offensichtlich unzulässig ist (Reichling in BeckOK ZPO § 119 Rn. 31.1 mwN).

Redaktion beck-aktuell, 1. Dezember 2017.