OLG Brandenburg: Vorgeschriebene mündliche Verhandlung im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung

VV RVG 3104 Anm. I Nr. 1

Mit VV 3104 Anm. I Nr. 1 RVG soll erreicht werden, dass der Verfahrensbevollmächtigte, der im Hinblick auf den auch in Familienstreitsachen geltenden Grundsatz der Mündlichkeit (§ 128 I ZPO) erwarten kann, in der mündlichen Verhandlung eine Terminsgebühr zu verdienen, keinen Gebührennachteil erleidet, wenn durch eine andere, in VV 3104 Anm. I Nr. 1 RVG genannte Verfahrensgestaltung auf eine mündliche Verhandlung verzichtet wird. Es entspricht einer effektiven Verfahrensführung, in einem Verfahren, in dem ein Beteiligter eine mündliche Verhandlung und somit das Entstehen einer Terminsgebühr erzwingen kann, einen Anreiz zu schaffen, das Verfahren auch ohne mündliche Verhandlung zu beenden, ohne dass der Verfahrensbevollmächtigte Gefahr läuft, die ansonsten „sichere" Terminsgebühr zu verlieren.

OLG Brandenburg, Beschluss vom 29.03.2017 - 15 WF 40/17, BeckRS 2017, 105696

Anmerkung von
Rechtsanwalt Dr. Hans-Jochem Mayer, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Bühl

Aus beck-fachdienst Vergütungs- und Kostenrecht 08/2017 vom 19.04.2017

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Sachverhalt

Im Ausgangsverfahren beantragte die Antragstellerin den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel, den Antragsgegner zur Zahlung von Trennungsunterhalt zu verpflichten. Nachdem das Amtsgericht Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt hatte, erkannte der Antragsgegner den Unterhaltsantrag an. Das Amtsgericht hob daraufhin den Verhandlungstermin auf und legte mit dem antragsgemäß ergangenen Anerkenntnisbeschluss dem Antragsgegner die Kosten des einstweiligen Anordnungsverfahrens auf, der Verfahrenswert wurde auf 8.125 EUR festgesetzt. Auf Antrag der Antragstellerin setzte der Rechtspfleger mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 28.11.2016 gegen den Antragsgegner ua eine 1,2 Terminsgebühr iHv 608,40 EUR zzgl. Umsatzsteuer fest. Gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss erhob der Antragsgegner sofortige Beschwerde, mit der er sich gegen die Festsetzung der Terminsgebühr wandte. In dem einstweiligen Anordnungsverfahren sei gem. § 246 II FamFG eine mündliche Verhandlung nicht vorgeschrieben und habe tatsächlich auch nicht stattgefunden. Der Rechtspfleger half der sofortigen Beschwerde mit Abhilfebeschluss ab und setzte die Kosten der Antragstellerin ohne Berücksichtigung der Terminsgebühr gegen den Antragsgegner fest. Der Abhilfebeschluss wurde der Antragstellerin am 20.1.2017 zugestellt. Hiergegen richtete sich die am 3.2.2017 beim Amtsgericht eingegangene sofortige Beschwerde der Antragstellerin, der der Rechtspfleger nicht abhalf und die er dem Brandenburgischen OLG Brandenburg zur Entscheidung vorlegte. Die sofortige Beschwerde hatte vor dem OLG Brandenburg Erfolg.

Rechtliche Wertung

Zu Recht mache die Antragstellerin die Festsetzung der Terminsgebühr gem. VV 3104 RVG für das Ausgangsverfahren der einstweiligen Anordnung geltend. Zwar sei in dem Ausgangsverfahren ohne mündliche Verhandlung entschieden worden. Nach VV 3104 Anm. I Nr. 1 RVG entstehe die Terminsgebühr jedoch auch dann, wenn für das Verfahren mündliche Verhandlung vorgeschrieben sei und gem. § 307 ZPO ohne mündliche Verhandlung entschieden werde. So liege der Fall hier. Dass im Ausgangsverfahren gem. § 307 ZPO iVm § 113 I FamFG durch Anerkenntnisbeschluss ohne mündliche Verhandlung entschieden worden sei, sei evident und werde von keinem Beteiligten in Frage gestellt. Anders als der Antragsgegner meine, sei auch die weitere Voraussetzung von VV 3104 Anm. I Nr. 1 RVG erfüllt. Bei dem Verfahren der einstweiligen Anordnung gem. §§ 49 ff. FamFG sei die mündliche Verhandlung vorgeschrieben. Soweit in der Kommentarliteratur und Rechtsprechung die Ansicht vertreten werde, dass es sich bei dem Verfahren der einstweiligen Anordnung nach §§ 49 ff. FamFG wie auch bei den Eilverfahren nach der ZPO um Verfahren handele, für die eine mündliche Verhandlung nicht vorgeschrieben sei, weil eine Entscheidung in jenen Verfahren zunächst auch ohne mündliche Verhandlung ergehen könne und erst nach deren Erlass auf Antrag (§ 54 II FamFG) bzw. auf Widerspruch (§ 924 II 2 ZPO) mündlich zu verhandeln sei, trage dies weder dem einheitlichen Charakter des familienrechtlichen bzw. zivilrechtlichen Eilverfahrens Rechnung, noch entspreche sie dem Sinn und Zweck von VV 3104 Anm. I Nr. 1 RVG; sie stehe auch im Widerspruch zur Rechtsprechung des BGH.

Mit VV 3104 Anm. I Nr. 1 RVG solle erreicht werden, dass der Verfahrensbevollmächtigte, der im Hinblick auf den auch in Familienstreitsachen geltenden Grundsatz der Mündlichkeit (§ 128 I ZPO) erwarten könne, in der mündlichen Verhandlung eine Terminsgebühr zu verdienen, keinen Gebührennachteil erleide, wenn durch eine andere, in VV 3104 Anm. I Nr. 1 RVG genannte Verfahrensgestaltung auf eine mündliche Verhandlung verzichtet werde. Es entspreche einer effektiven Verfahrensführung, in einem Verfahren, in dem ein Beteiligter eine mündliche Verhandlung und somit das Entstehen einer Terminsgebühr erzwingen könne, einen Anreiz zu schaffen, das Verfahren auch ohne mündliche Verhandlung zu beenden, ohne dass der Verfahrensbevollmächtigte Gefahr laufe, die ansonsten „sichere" Terminsgebühr zu verlieren.

Von einem Verfahren mit vorgeschriebener mündlicher Verhandlung sei auch bei dem Verfahren der einstweiligen Anordnung gem. §§ 49 ff. FamFG auszugehen, weil gem. § 54 II FamFG eine mündliche Verhandlung für den Fall vorgeschrieben sei, dass ein Beteiligter sie nach Erlass eines Beschlusses im schriftlichen Verfahren beantrage, die Beteiligten mithin eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung verhindern könnten. Danach könne der Abhilfebeschluss des Amtsgerichts keinen Bestand haben. Die sofortige Beschwerde des Antragsgegners gegen die zutreffende Festsetzung der Terminsgebühr im Kostenfestsetzungsbeschluss vom 28.11.2016 sei auf seine Kosten zurückzuweisen.

Praxistipp

Die Entscheidung des OLG Brandenburg überzeugt nicht. Denn dadurch, dass den Parteien in einem Eilverfahren es möglich ist, eine mündliche Verhandlung (nachträglich) zu erzwingen, handelt es sich noch nicht um ein Verfahren, für das eine mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist (vgl. näher Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, RVG, 22. Aufl. 2015, VV 3104 RVG Rn. 43a; aA Anm. Schneider NZFam 2017, 321).

Systematisch sind diese Fälle der nachträglich erzwingbaren mündlichen Verhandlung eher mit den in VV 3104 Anm. I Nr. 2 RVG genannten Entscheidungen durch Gerichtsbescheid vergleichbar, dort sind diese Eilverfahren gerade nicht aufgeführt.

Redaktion beck-aktuell, 24. April 2017.