LG Köln: 15 Minuten Zeittaktklausel in einer Vergütungsvereinbarung ist unwirksam

RVG § 3 a; BGB §§ 307 I 1, II Nr. 1

Die Klausel in einer Vergütungsvereinbarung, wonach ¼ des vereinbarten Stundensatzes für jede angefangenen 15 Minuten berechnet wird, ist unwirksam. Bei dieser Zeittaktklausel handelt es sich nicht um eine kontrollfreie Preisvereinbarung. Die Zeittaktklausel verstößt gegen § 307 I 1, II Nr. 1 BGB, weil sie strukturell geeignet ist, das dem Schuldrecht im allgemeinen und dem Dienstvertragsrecht im Besonderen zugrunde liegende Prinzip der Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung (Äquivalenzbeziehung) empfindlich zu verletzen, wodurch der Verwendungsgegner unangemessen benachteiligt wird. (Leitsatz der Schriftleitung)

LG Köln, Urteil vom 18.10.2016 - 11 S 302/15, BeckRS 2016, 117238

Anmerkung von
Rechtsanwalt Dr. Hans-Jochem Mayer, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Bühl

Aus beck-fachdienst Vergütungs- und Kostenrecht 07/2017 vom 05.04.2017

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Sachverhalt

Anlässlich der Kündigung seines Arbeitsverhältnisses durch seinen Arbeitgeber mandatierte der Kläger die Beklagte, einen Zusammenschluss von Rechtsanwälten in der Rechtsform einer LLP englischen Rechts, mit der Wahrnehmung seiner Interessen. Dazu traf er eine Vergütungsvereinbarung, wonach ua die Rechtsanwälte anstelle der gesetzlichen Gebühren eine Vergütung iHv 230 EUR je Stunde zzgl. der gesetzlichen Mehrwertsteuer erhalten. Weiter wurde vereinbart, dass in Viertelstundenschritten abgerechnet werde, ein Viertel des vereinbarten Stundensatzes werde für jede angefangenen 15 Minuten berechnet.

Die Beklagte wurde für den Kläger tätig. Unter dem 22.1.2014 erteilte die Beklagte dem Kläger eine Rechnung für das Kündigungsschutzmandat. Unter Verweis auf ein beigefügtes Kostenblatt stellte sie ein Honorar von netto 4.427 EUR in Rechnung. Unter Berücksichtigung bereits gezahlter Vorschüsse von netto 4.600 EUR ergab sich ein restlicher Betrag von 58 EUR inkl. Umsatzsteuer. Mit E-Mail vom 10.3.2014 kündigte der Kläger der Beklagten das Mandat. Die nunmehrigen Prozessbevollmächtigten des Klägers forderten die Beklagte zur Erstellung einer Schlussrechnung auf. Mit der Klage nahm der Kläger, welcher der Beklagten auf der Grundlage eines ihm zunächst in Aussicht gestellten zehnstündigen Zeitaufwands ein Honorar von insgesamt 2.760,80 EUR (2.300 EUR Honorar zzgl. 20 EUR Auslagenpauschale sowie Umsatzsteuer) zubilligte, die Beklagte auf Zahlung von 4.813 EUR nebst Zinsen in Anspruch. Mit dem angefochtenen Urteil verurteilte das Amtsgericht die Beklagte unter Klageabweisung im Übrigen zur Zahlung von 3.478,73 EUR. Mit ihrer Berufung verfolgte die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter. Das LG Köln verurteilte die Beklagte, an den Kläger 2.330,03 EUR nebst Zinsen zu zahlen, im Übrigen wurde die Klage abgewiesen.

Rechtliche Wertung

Für die Berufung sei allein noch entscheidungserheblich, in welcher Höhe der Kläger Anspruch auf Erstattung der für das Kündigungsschutzverfahren geleisteten Vorschüsse von 5.474 EUR verlangen könne, weil dem kein Honoraranspruch der Beklagten gegenüberstehe. Die Honorarvereinbarung dahingehend, den Zeitaufwand der Beklagten zu einem Stundensatz von 230 EUR netto zu vergüten, begegne keinen Bedenken.

Auf die Wirksamkeit der Zeittaktklausel komme es aber im konkreten Einzelfall entscheidungserheblich an. Denn die Klausel habe vorliegend bereits nach dem eigenen Vortrag der Beklagten zu einer Erhöhung des abgerechneten (19 Stunden und 15 Minuten) gegenüber dem tatsächlich angefallenen (13 Stunden und 39 Minuten) Zeitaufwand um 5 Stunden und 36 Minuten geführt, mithin das Anwaltshonorar um mindestens 1.265 EUR netto erhöht.

Bei der Zeittaktklausel handele es sich um eine kontrollfähige allgemeine Geschäftsbedingung. Die allgemeinen Geschäftsbedingungen gelten gem. § 310 III Nr. 1 BGB als von der Beklagten gestellt. Der Kläger sei als Arbeitnehmer Verbraucher (§ 13 BGB), die Beklagte Unternehmer iSd § 14 I BGB. Bei der Zeittaktklausel handele es sich nicht um eine kontrollfreie Preisvereinbarung, da sie den zu zahlenden Preis nicht unmittelbar festlege, sondern diesen über die mit ihr einhergehende Aufrundung auf Zeitintervalle nur mittelbar bestimme. Die Kammer schließe sich hinsichtlich der Beurteilung der Wirksamkeit der Zeittaktklausel nach eigener Prüfung den umfangreichen Ausführungen des OLG Düsseldorf (BeckRS 2010, 04701) an.

Die Zeittaktklausel verstoße gegen § 307 I 1, II Nr. 1 BGB, weil sie strukturell geeignet sei, das dem Schuldrecht im allgemeinen und dem Dienstvertragsrecht im Besonderen zugrunde liegende Prinzip der Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung (Äquivalenzprinzip) empfindlich zu verletzen, wodurch der Verwendungsgegner unangemessen benachteiligt werde Die Parteien hätten durch die gem. § 307 III BGB keiner Inhaltskontrolle unterliegende Preisabrede vereinbart, dass der Zeitaufwand der Beklagten mit 230 EUR je Stunde vergütet werden solle. Damit sei das maßgebliche Äquivalenzverhältnis von voller Leistung und Gegenleistung (der gerichtlichen Inhaltskontrolle entzogen) privatautonom bestimmt. Daraus folge gleichzeitig, dass der Wert eines Zeitaufwands, der nur den Bruchteil einer Stunde ausmache, auch nur dem entsprechenden Bruchteil der Stundenvergütung entspreche.

Die dargestellten Risiken der verwendeten Zeittaktklausel hätten sich auch vorliegend verwirklicht. Die Berechnung der Beklagten beruhe tatsächlich auf einer Aufrundung, denn die Beklagte habe selbst vorgetragen, der ihr tatsächlich entstandene Zeitaufwand habe (lediglich) 13 Stunden und 39 Minuten betragen. Dem Kläger in Rechnung gestellt habe sie aufgrund der mit der Zeittaktklausel verbundenen Aufrundung hingegen 19 Stunden und 15 Minuten

Der ersatzlose Wegfall der Zeittaktklausel habe zur Folge, dass die Leistung des Klägers im Streitfall nur minutengenau honoriert werden könne. Die Beklagte habe Anspruch auf Vergütung eines Zeitaufwandes von 684 Minuten (11 Stunden und 24 Minuten) iHv 2.62,99 EUR netto.

Die Beklagte habe demnach Anspruch auf Rechtsanwaltshonorar iHv 3.143,97 EUR (2.621,99 EUR Stundenhonorar zzgl. 20 EUR Auslagen zzgl. Umsatzsteuer). Der Anspruch des Klägers auf Erstattung unverbrauchter Vorschüsse belaufe sich mithin auf 2.330,03 EUR (5.474 EUR ./. 3.143,97 EUR).

Praxistipp

Die Entscheidung des LG Köln beschäftigt sich mit dem Phänomen des „quarter-hour-billing“, also der Abrechnung auf der Basis eines Zeittakts von 15 Minuten. Die Rechtsprechung zu dieser Frage ist uneinheitlich (OLG Düsseldorf NJW-RR 2007, 129; BeckRS 2010, 04701 mAnm Mayer FD-RVG 2010, 300104 einerseits und OLG Schleswig BeckRS 2009, 16600 mAnm Mayer FD-RVG 2009, 286206 andererseits). Da noch keine Entscheidung des BGH vorliegt, gilt weiterhin die Empfehlung, entweder eine minutengenaue Abrechnung zu vereinbaren oder die Zeittaktklausel nicht stetig anzuwenden, sondern lediglich bei der Endabrechnung einmal eine Aufrundung auf 15 Minuten vorzunehmen (s. hierzu näher Mayer in Gerold/Schmidt, RVG-Kommentar, 22. Aufl. 2015, RVG § 3 a Rn. 65).

Redaktion beck-aktuell, 6. April 2017.