LG Landshut: Keine Mittelgebühr für den Durchschnittsfall aus dem Bereich der Verkehrsordnungswidrigkeiten

RVG § 14 I 1

Eine durchschnittliche Verkehrsordnungswidrigkeit ist nicht gleichzusetzen mit einem allgemeinen Durchschnittsfall in der Gesamtbetrachtung aller Ordnungswidrigkeitenbereiche. Auf diesen Durchschnittsfall ist die Mittelgebühr zugeschnitten und nicht auf einen Durchschnittsfall aus dem Bereich der Verkehrsordnungswidrigkeiten. (Leitsatz der Schriftleitung)

LG Landshut, Beschluss vom 19.01.2017 - 3 QS 14/17, BeckRS 2017, 100824

Anmerkung von
Rechtsanwalt Dr. Hans-Jochem Mayer, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Bühl

Aus beck-fachdienst Vergütungs- und Kostenrecht 04/2017 vom 22.02.2017

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Sachverhalt

Die Zentrale Bußgeldstelle erließ gegen den Betroffenen einen Bußgeldbescheid wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 41 km/h mit einer Geldbuße iHv 160 EUR und einem Monat Fahrverbot. Mit Anwaltsschreiben vom 13.4.2016, taggleich eingegangen per Fax bei der Zentralen Bußgeldstelle, legte der Verteidiger Rechtsanwältin G. Einspruch ein und beantragte Akteneinsicht. Das Einspruchsschreiben bestand aus einer Seite und enthielt überwiegend automatisierten Text. In einer Textpassage wurde standardmäßig darauf hingewiesen, was bei einer Geschwindigkeitsmessung zum vollständigen Akteninhalt gehören solle.

Die Hauptverhandlung dauerte 6 Minuten. Der Betroffene wurde freigesprochen. Bei Aktenzuleitung an die Staatsanwaltschaft gemäß § 41 StPO vermerkte die zuständige Richterin auf dem Terminsprotokoll handschriftlich: „Nach Inaugenscheinnahme des Betroffenen kam dieser nicht als Betroffener in Betracht. Bereits bei der Gesichtsform und den Ohren bestanden erhebliche Abweichungen." In der Folge beantragte Rechtsanwalt G. Kostenfestsetzung iHv insgesamt 1.072 EUR. Dabei setzte er für die Grundgebühr VV 5100 RVG 125 EUR, für die Verfahrensgebühr vor der Verwaltungsbehörde VV 5103 RVG und vor dem Amtsgericht VV 5109 RVG jeweils 200 EUR und für die Terminsgebühr vor dem Amtsgericht VV 5110 RVG 310 EUR an. Zur Begründung führte er aus, es habe sich um einen überdurchschnittlichen Fall gehandelt. Insbesondere wegen des Fahrverbots. Grundsätzlich sei bei einem Durchschnittsfall von der Mittelgebühr auszugehen. Deshalb sei ein Gebührenansatz oberhalb der Mittelgebühr gerechtfertigt.

Das Amtsgericht setzte im Kostenfestsetzungsbeschluss die Grundgebühr VV 5100 RVG auf 80 EUR, die Gebührennummern VV 5103 und 5109 RVG auf jeweils 125 EUR und die Terminsgebühr gem. VV 5110 RVG auf 200 EUR fest. Die übrigen Kostenansätze des Verteidigers wurden übernommen. Hieraus ergab sich der festgesetzte Kostenerstattungsanspruch iHv 709 EUR. Gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss legte der Verteidiger sofortige Beschwerde ein. Die sofortige Beschwerde hatte keinen Erfolg.

Rechtliche Wertung

Bei der gebührenmäßigen Bewertung des jeweiligen Verfahrens sei zu unterscheiden zwischen einem allgemeinen Durchschnittsfall, gemessen an den Verfahren aus allen Ordnungswidrigkeitsbereichen, und einem Durchschnittsfall aus dem Bereich der Verkehrsordnungswidrigkeiten. Nach den Bewertungsmaßstäben der Kammer sei eine durchschnittliche Verkehrsordnungswidrigkeit keineswegs gleichzusetzen mit einem allgemeinen Durchschnittsfall in der Gesamtbetrachtung aller Ordnungswidrigkeitenbereiche. Auf diesen Durchschnittsfall sei die Mittelgebühr zugeschnitten und nicht auf einen Durchschnittsfall aus dem Bereich der Verkehrsordnungswidrigkeiten.

Die weit überwiegende Anzahl der Verkehrsordnungswidrigkeiten beinhalte alltägliche Verkehrsübertretungen, die in großer Zahl auftreten und zu deren Verfolgung und Ahndung in allen Verfahrensabschnitten überwiegend automatisiert bzw. standardisiert gearbeitet werde, auch auf Seiten der Verteidiger. Diese Massenverfahren wiesen weder einen komplizierten Sachverhalt auf noch sei zu ihrer Bearbeitung ein umfangreicher Zeit- oder Begründungsaufwand erforderlich. Deshalb erscheine es insbesondere mit Blick auf die Höhe der Verteidigergebühren in Strafsachen für die Kammer nicht gerechtfertigt, auch für ein durchschnittliches Verkehrsordnungswidrigkeitenverfahren die allgemeine Mittelgebühr anzusetzen. Auch die große Anzahl dieser Verfahren rechtfertige dies nicht. Die Mittelgebühr sei auf den allgemeinen Durchschnittsfall in der Gesamtbetrachtung aller Ordnungswidrigkeitenbereiche zugeschnitten.

Im streitgegenständlichen Verfahren habe die Hauptverhandlung 6 Minuten gedauert. Die weitere nach außen hin sichtbar gewordene Tätigkeit des Verteidigers habe sich auf die Anfertigung eines weitgehend standardisierten Einspruchsschreibens beschränkt. Inhaltlich sei es im Verfahren im Wesentlichen um die Identitätsfeststellung des Fahrers gegangen. Dazu enthalte die Akte keinerlei Aktivitäten des Verteidigers. Die Abweichung des äußeren Erscheinungsbildes des Betroffenen vom Bild des Fahrers im gemessenen Fahrzeug sei offensichtlich so augenscheinlich und offenkundig, dass auf eine weitere Beweisaufnahme verzichtet und bereits nach 6 Minuten ein freisprechendes Urteil verkündet worden sei. Aus dem Protokoll sei nicht ersichtlich, dass dazu ein besonderer Begründungsaufwand des Verteidigers notwendig gewesen sei.

Angesichts dieser Umstände erschließe es sich für die Kammer nicht, warum das gegenständliche Verfahren einen Schwierigkeitsgrad haben sollte, der oberhalb der Mittelgebühr anzusetzen wäre. Bei einer derartigen Handhabung bliebe für die Anwendung des Gebührenrahmens unterhalb der Mittelgebühr faktisch kein Raum mehr, weil kaum ein einfacheres Verfahren vorstellbar sei als das gegenständliche. Einzig das ausgesprochene Fahrverbot von einem Monat hebe das gegenständliche Verfahren aus der Masse der alltäglichen Verkehrsübertretungen, zu denen auch die Geschwindigkeitsmessungen gehörten, etwas heraus, so dass der gewählte Gebührenansatz etwas unterhalb der Mittelgebühr gerechtfertigt sei. Bei der Gebührenfestsetzung durch das Amtsgericht Freising habe es deshalb sein Bewenden.

Praxistipp

Nach richtiger und wohl auch überwiegender Meinung ist unter der Geltung des RVG bei verkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren grundsätzlich der Ansatz der Mittelgebühr als Ausgangspunkt gerechtfertigt (Mayer in Gerold/Schmidt, RVG, 22. Auflage 2015, § 14 RVG Rn. 54; AG Viechtach BeckRS 2008, 12186 mAnm Mayer FD-RVG 2008, 263477) Das LG Landshut hat sich in der berichteten Entscheidung jedoch der Gegenauffassung angeschlossen. Wichtig ist aber auch bei Verkehrsordnungswidrigkeiten, stets in jedem Einzelfall die besonderen Umstände, die die Gebührenbemessung rechtfertigen, herauszuarbeiten, so kann mittlerweile schon der erste drohende Punkt im Rahmen einer Bußgeldsache erhöhende Auswirkungen auf das Kriterium „Bedeutung der Angelegenheit" haben (Mayer in Gerold/Schmidt, RVG, 22. Auflage, § 14 RVG Rn. 56 mwN).

Redaktion beck-aktuell, 22. Februar 2017.