BGH: Wirksamkeit eines Kontrahierungszwangs von Wohnungseigentümern zum Abschluss eines Betreuungsvertrages

BGB §§ 309 Nr. 9a, 314; WEG § 10 II 2

Im Rahmen eines Konzepts zum betreuten Wohnen ist ein in einer Teilungserklärung enthaltener Kontrahierungszwang unwirksam, durch den die Wohnungseigentümer zum Abschluss von Betreuungsverträgen mit einer Bindung von mehr als zwei Jahren verpflichtet werden sollen, wenn sie die Wohnung selbst nutzen, und der den einzelnen Wohnungseigentümern beziehungsweise der Wohnungseigentümergemeinschaft keine angemessenen Spielräume für eine interessengerechte Ausgestaltung der Verträge einräumt.

BGH, Urteil vom 10.01.2019 - III ZR 37/18 (LG Düsseldorf), BeckRS 2019, 674

Anmerkung von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Wolf-Rüdiger Bub, Rechtsanwalt Nikolay Pramataroff, Rechtsanwälte Bub, Gauweiler & Partner, München

Aus beck-fachdienst Miet- und Wohnungseigentumsrecht 06/2019 vom 28.03.2019

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Sachverhalt

Der Rechtsnachfolger des am 09.02.2017 verstorbenen vormaligen Klägers W. (nachfolgend Kläger) macht gegen die Beklagte Rückzahlungsansprüche aus einem Betreuervertrag geltend. W. war Eigentümer einer Wohnung in einer Anlage, die nach dem WEG aufgeteilt wurde und nach der Teilungserklärung vom 09.07.1996 dem betreuten Wohnen dient. § 16 der Teilungserklärung enthält u.a. folgende Bestimmungen:

„Zur weiteren Regelung des Gebrauchs des Wohnungseigentums sowie zur weiteren Regelung von Gebrauch, Lastentragung und Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums sind alle Wohnungseigentümer verpflichtet, mit der W. H. Betriebs-GmbH [Beklagte] … als Betreuer einen Vertrag über Betreuerleistungen für die Bewohner der altengerechten Wohnanlage abzuschließen, soweit sie die in ihrem Eigentum stehende Wohnung selbst nutzen (…)

Die Verpflichtung zum Abschluss eines Betreuungsvertrages entfällt, solange die Wohnung nicht benutzt wird oder vermietet ist (…)"

Am 10.12.2012 schloss der Kläger mit der Beklagten einen formularmäßigen Betreuervertrag ab, der für „Betreuung und Organisation“ einen monatlichen Grundbetrag von 250 EUR sowie für „Betreuung PLUS“ monatlich weitere 100 EUR vorsah. Gem. § 4 des Vertrags wird der Vertrag auf unbestimmte Zeit geschlossen. Weiter ist geregelt, dass der Bewohner/die Bewohnerin den Betreuervertrag während der ersten zwei Jahre ab Abschluss des Betreuervertrages nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes schriftlich und unter Angabe des Grundes kündigen kann, wenn:

„(…) - der Bewohner/die Bewohnerin als Eigentümer der Wohnung deren Selbstnutzung dauerhaft aufgibt; in diesem Fall kann die Kündigung zum 15. eines Monats zum Monatsende ausgesprochen werden;

- ein sonstiger wichtiger Grund im Sinne des § 314 BGB vorliegt.

Nach Ablauf der Zwei-Jahres-Frist kann der Bewohner/die Bewohnerin den Vertrag mit gesetzlicher Frist kündigen.“

Da der Kläger in der Folgezeit (vorübergehend) schwer pflegebedürftig wurde, erfolgte seine Verlegung in eine vollstationäre Pflegeeinrichtung, wo er sich in dem Zeitraum vom 02.10.2015 bis zum 01.02.2016 aufhielt. Mit Schreiben vom 16.10.2015 kündigte er den Betreuervertrag unter Berufung auf dessen § 4 Abs. 2 mit sofortiger Wirkung und gab an, die Wohnung seit fünf Monaten nicht mehr zu bewohnen. Es stehe nicht fest, wann sich daran etwas ändere. Die Beklagte buchte dennoch vom Konto des Klägers am 30.10.2015 350 EUR sowie am 01.12.2015, am 01.01.2016 und am 01.02.2016 jeweils 250 EUR ab. Nach Besserung seines Gesundheitszustands kehrte der Kläger im Verlauf des Jahres 2016 in seine Wohnung zurück, wobei er die in dem Betreuervertrag vorgesehene monatliche Betreuungspauschale regelmäßig bezahlte. Der Kläger hat die Rückzahlung der in dem Zeitraum von Oktober 2015 bis Februar 2016 abgebuchten Beträge begehrt und geltend gemacht, auf Grund der Kündigung habe er keine Zahlungen geschuldet. Die Beklagten habe auch keine Betreuungsleistungen erbracht.

Das AG hat die Beklagte - unter Klageabweisung im Übrigen - zur Zahlung von 750 EUR nebst Zinsen verurteilt. Die Berufung der Beklagten war erfolglos. Mit der vom LG zugelassenen Revision verfolgt sie ihren Antrag auf vollständige Klageabweisung weiter.

Entscheidung: Die Verpflichtung zum Abschluss eines Betreuungsvertrags entfällt, solange die Wohnung von dem Eigentümer nicht benutzt wird oder vermietet ist

Die Revision hat keinen Erfolg.

Der Kläger habe gegen die Beklagte einen Anspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB auf Rückzahlung der im Dezember 2015 sowie im Januar und Februar 2016 abgebuchten Beträge i.H.v. insgesamt 750 EUR. Da der Betreuervertrag durch die Kündigung vom 26.10.2015 jedenfalls gemäß §§ 620 Abs. 2, 621 Nr. 3 BGB mit Ablauf des 30.11.2015 beendet wurde, könne dahinstehen, ob der Kläger, der die Erstattung der Betreuungspauschale für November 2015 nicht weiterverfolgt, darüber hinaus berechtigt war, das Vertragsverhältnis aus wichtigem Grund (§ 4 Abs. 2 des Betreuervertrags) mit sofortiger Wirkung zu beenden.

Für die Beendigung des Betreuervertrags sei das Recht des Dienstvertrags maßgeblich, da der Schwerpunkt des Vertrages im Dienstvertragsrecht liege. Ein Dienstvertrag sei ordentlich kündbar, wenn seine Dauer weder bestimmt noch aus der Beschaffenheit oder dem Zweck der Dienste zu entnehmen ist (§ 620 Abs. 2 BGB) und die Vertragsparteien das Recht auf ordentliche Kündigung – wie vorliegend – nicht wirksam abbedungen haben. Eine i.S.v. § 620 Abs. 2 Fall 1 BGB kalendermäßig bestimmte Vertragsdauer haben die Parteien nicht vereinbart. Vielmehr lege § 4 Abs. 1 des Betreuervertrags fest, dass das Vertragsverhältnis auf unbestimmte Zeit geschlossen wird. Ist die Dauer des Dienstverhältnisses nicht nach dem Kalender bestimmt oder bestimmbar, könne sich die Vertragsdauer jedoch auch aus der Beschaffenheit oder dem Zweck der Dienste ergeben (§ 620 Abs. 2 Fall 2 und 3 BGB). So wie die kalendermäßige Bestimmung der Dauer des Dienstvertrags stets durch Vereinbarung der Parteien erfolge, könne der Beschaffenheit oder dem Zweck der Dienste eine Bestimmung der Dauer des Dienstverhältnisses nur insoweit entnommen werden, als - ggfs. nach Auslegung des Vertrags gemäß §§ 133, 157 BGB - anzunehmen sei, dass die Parteien diese Dauer vereinbaren wollten. Dabei können sie zur Umsetzung des Konzepts des betreuten Wohnens grundsätzlich festlegen, dass die Dauer des Betreuungsvertrags daran geknüpft ist, dass der jeweilige Wohnungseigentümer die Wohnung selbst nutzt.

Für eine derartige Vereinbarung fehlen - abgesehen davon, dass eine solche im Widerspruch zu der ausdrücklichen Bestimmung in § 4 Abs. 1 des Betreuungsvertrags stünde - im vorliegenden Fall zureichende Anhaltspunkte. Der Betreuervertrag nehme die in der Teilungserklärung festgeschriebene Verpflichtung der Wohnungseigentümer, zur Realisierung eines betreuten Wohnens im Falle der Selbstnutzung der Wohnung einen Betreuervertrag mit der Beklagten abzuschließen, nicht in Bezug. Vielmehr werde die Vertragsbeendigung autonom geregelt, indem nach Ablauf einer zweijährigen Vertragsbindung auf die gesetzlichen Kündigungsfristen verwiesen werde, ohne dass an die Aufgabe des Wohnungseigentums oder das Ende der Selbstnutzung angeknüpft werde. Unabhängig davon hielte ein formularmäßiger Ausschluss der Kündigungsmöglichkeit, solange der Eigentümer die Wohnung selbst nutzt, einer Inhaltskontrolle nach § 309 Nr. 9a BGB nicht stand. Danach könne der Dienstberechtigte höchstens für einen Zeitraum von zwei Jahren vertraglich gebunden werden. Dieses Klauselverbot (ohne Wertungsmöglichkeit) erfasse nach seinem Sinn und Zweck nicht nur kalendarische Befristungen für mehr als zwei Jahre, sondern auch Verträge, deren Beendigung von einem bestimmten Ereignis abhängt (z.B. Wegfall des Vertragspartners als Wohnungseigentümer oder Aufgabe der Selbstnutzung durch den Wohnungseigentümer), sofern die Parteien nicht den Eintritt dieses Ereignisses innerhalb von zwei Jahren als sicher vorausgesetzt haben. Dafür, dass die Parteien im vorliegenden Fall bei Vertragsschluss von der Aufgabe der Eigentümerstellung bzw. der Selbstnutzung durch den Eigentümer innerhalb von zwei Jahren ausgegangen sind, sei nichts ersichtlich. Die Vorstellung der Parteien sei vielmehr von der Vorstellung geprägt gewesen, dass das Betreuungsverhältnis während der gesamten mehrjährigen Wohnungsnutzung durch den Eigentümer aufrechterhalten werden sollte.

Die Kündigung vom 26.10.2015 stelle auch keine unzulässige Rechtsausübung (§ 242 BGB) dar. Die ordentliche Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses sei zwar regelmäßig treuwidrig, wenn der Gekündigte, hier also die Beklagte, bei Beendigung des Vertrags einen Anspruch auf Neuabschluss hätte. Dies sei hier aber nicht der Fall. Nach § 16 Abs. 1 Satz 2 der Teilungserklärung bestehe die Verpflichtung zum Abschluss eines Betreuungsvertrags nur, wenn der Eigentümer die Wohnung selbst nutzt. Dementsprechend entfalle gemäß § 16 Abs. 2 Satz 1 der Teilungserklärung die Verpflichtung zum Abschluss eines Betreuungsvertrags, solange die Wohnung von dem Eigentümer nicht benutzt wird oder vermietet ist. Der Eigentümer, der seine Wohnung - möglicherweise auch nur vorübergehend - nicht selbst nutzt, unterliege somit keinem Kontrahierungszwang. Dies habe auf den Kläger zugetroffen, da er ab dem 02.10.2015 auf Grund gesonderten Heimvertrags in einer anderen Pflegeeinrichtung vollstationär untergebracht und ihm eine Benutzung seiner Wohnung aus gesundheitlichen Gründen überhaupt nicht möglich gewesen sei. § 242 BGB greife aber auch deshalb nicht ein, weil ein Kontrahierungszwang der Wohnungseigentümer zum Abschluss eines Betreuungsvertrags mit einer Laufzeit von mehr als zwei Jahren einseitig von dem teilenden Eigentümer in der Teilungserklärung nicht wirksam angeordnet werden könne.

Nach § 309 Nr. 9a BGB könne der Dienstberechtigte durch vorformulierte Verträge höchstens für zwei Jahre gebunden werden. Daraus ergebe sich auch eine zeitliche Höchstdauer für die in einer Teilungserklärung begründeten Gebrauchsregelungen nach § 10 Abs. 2 Satz 2 WEG, mit denen eine Verpflichtung sämtlicher Wohnungseigentümer festgeschrieben wird, einen Betreuungsvertrag abzuschließen. Die einseitige Vorgabe einer dauerhaften, mehr als zweijährigen Bindung an ein bestimmtes Betreuungsunternehmen ohne die Möglichkeit, Einzelheiten auszuhandeln, beschneide in nicht hinnehmbarer Weise die rechtliche Stellung der Wohnungseigentümer sowie ihre Entscheidungsfreiheit und stelle eine unangemessene Benachteiligung dar. Dies gelte auch dann, wenn die Wohnungen in der Anlage nur zum Zwecke des betreuten Wohnens genutzt werden dürften. Da das Gesetz für den Bereich des betreuten Wohnens keine Sonderregelung enthalte, sei das zeitliche Höchstmaß jedenfalls für vorformulierte, von den Wohnungseigentümern abzuschließende Betreuungsverträge nach der für Dienstverträge geltenden Vorschrift in § 309 Nr. 9a BGB zu bestimmen. Das Klauselverbot sehe keine Wertungsmöglichkeit vor, so dass es nicht darauf ankomme, ob eine über zwei Jahre hinausreichende Vertragsbindung bei einem anerkennenswerten Interesse an einer längeren Vertragsdauer ausnahmsweise gebilligt werden könnte. Könnte der teilende Eigentümer (Bauträger) diejenigen Wohnungseigentümer, die die Wohnung selbst nutzen, über viele Jahre hinweg an ein bestimmtes Betreuungsunternehmen binden, wäre dies eine unangemessene Benachteiligung, die der einzelne Eigentümer auch nach den Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242 BGB) nicht hinnehmen müsse. Der einzelne Eigentümer könnte sich von dem Betreuungsvertrag durch ordentliche Kündigung nur bei Veräußerung seines Eigentums oder wenigstens Aufgabe der Selbstnutzung der Wohnung lösen. Im Übrigen stünde ihm nur die Kündigung aus wichtigem Grund (§§ 314, 626 BGB) zur Verfügung, die jedoch von besonderen Voraussetzungen abhänge. Unberücksichtigt bliebe dabei jedoch das wegen des personalen Bezugs der Betreuungsleistungen gesteigertes Bedürfnis des Eigentümers, sich von dem Betreuungsunternehmen trennen zu können, wenn dessen Leistungen zwar möglicherweise nicht mangelhaft beziehungsweise unbrauchbar sind, aber seinen Erwartungen nicht entsprechen oder die persönliche Vertrauensgrundlage gestört ist.

Praxishinweis

Der BGH setzt seine Rechtsprechung zur langfristigen Bindung im Betreuten Wohnen fort. In einem ähnlichen Fall hatte der BGH entschieden (Urteil vom 13.10.2006 - V ZR 289/05, NJW 2007, 213), dass eine in der Teilungserklärung enthaltene Verpflichtung der Wohnungseigentümer, einen Betreuungsvertrag mit einem bestimmten Unternehmen mit einer zeitlichen Bindung von mehr als zwei Jahren abzuschließen, gegen § 309 Nr. 9a BGB oder gegen Treu und Glauben gemäß § 242 BGB verstößt und damit unwirksam ist.

Die umstrittene Frage, ob von dem teilenden Eigentümer einseitig gesetzte Bestimmungen in der Teilungserklärung und Gemeinschaftsordnung der Inhaltskontrolle nach den §§ 307 ff. BGB in entsprechender Anwendung unterliegen oder unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls am Maßstab von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB zu prüfen sind, hat der BGH weiter offengelassen. Grundsätzlich erkennt der BGH jedoch die Möglichkeit an, die Einrichtung von Betreutem Wohnen in Form von Wohnungseigentum auszugestalten. Hierzu ist es grundsätzlich möglich und auch sinnvoll, dass verschiedene Verträge miteinander verbunden bzw. aufeinander Bezug nehmen können. So hat der BGH entschieden, dass die „Kopplung“ von Mietvertrag und Servicevertrag im Betreuten Wohnen nicht sittenwidrig ist, was zur Folge hat, dass eine isolierte Kündigung eines Vertrages unwirksam ist (Urteil vom 23.02.2006 – III ZR 167/05, NJW 2006, 1276). Vorliegend haben die Parteien von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht; der Betreuervertrag sah vielmehr eine Kündigung ohne Aufgabe des Wohnungseigentums vor. Vor diesem Hintergrund ist die Entscheidung des BGH richtig und konsequent.

Nichts Anderes würde sich ergeben, wenn die Eigentümergemeinschaft anstelle der einzelnen Eigentümer den Betreuungsvertrag abgeschlossen hätte (a.A. Drasdo in Bärmann/Seuß Praxis des Wohnungseigentums, 7. Auflage 2017, § 7 Rn. 50). Die Gemeinschaft kann zwar nach der Gemeinschaftsordnung als rechtsfähiger Verband (§ 10 Abs. 6 Satz 1 WEG) verpflichtet werden, Betreuungsverträge mit Dienstleistungsunternehmen abzuschließen. Allerdings wären auf die Gemeinschaft ebenfalls die §§ 307 ff BGB unmittelbar anwendbar, da sie Verbraucher i.S.d. § 13 BGB ist (BGH, Urteil vom 25.03.2015 – VIII ZR 243/13, NJW 2015, 3228). Davon ist auszugehen, wenn ihr wenigstens ein Verbraucher angehört und sie ein Rechtsgeschäft zu einem Zweck abschließt, der weder einer gewerblichen noch einer selbstständigen beruflichen Tätigkeit dient (BGH, a.a.O.).

Redaktion beck-aktuell, 2. April 2019.