LG München I: Antrag auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens innerhalb WEG ohne Vorbefassung unzulässig

WEG §§ 21 IV, V Nr. 2, VIII

1. Der Antrag eines Wohnungseigentümers gegen die übrigen Wohnungseigentümer auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens mit dem Ziel, Mängel am Gemeinschaftseigentum festzustellen, bedarf in der Regel einer vorherigen Befassung der Eigentümerversammlung mit dem Begehren. Dies gilt jedenfalls dann, wenn das selbständige Beweisverfahren der Durchsetzung eines Anspruchs auf ordnungsgemäße Verwaltung in Gestalt einer entsprechenden Beschlussfassung der Wohnungseigentümer nach § 21 Abs. 4 bzw. § 21 Abs. 8 WEG dient.

2. Im Falle der fehlenden Vorbefassung der Eigentümerversammlung ist der Antrag auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens gem. § 485 Abs. 2 ZPO unzulässig.

LG München I, Beschluss vom 24.08.2017 - 36 T 8948/17 (AG München), BeckRS 2017, 127094

Anmerkung von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Wolf-Rüdiger Bub, Rechtsanwältin Nicola Bernhard, Rechtsanwälte Bub, Gauweiler & Partner, München

Aus beck-fachdienst Miet- und Wohnungseigentumsrecht 03/2018 vom 15.02.2018

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Sachverhalt

Ein Wohnungseigentümer (Antragsteller) beantragte die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens gegen die übrigen Wohnungseigentümer und die Wohnungseigentümergemeinschaft zur Feststellung von Schäden und deren Beseitigungsmaßnahmen, die durch eine Rotbuche auf einer Sondernutzungsfläche verursacht sein können bzw. noch werden. Das AG München wies den Antrag mangels Rechtsschutzbedürfnisses zurück, da es an der Vorbefassung der Eigentümerversammlung fehle. Gegen den Beschluss des Amtsgerichts hat der Antragsteller sofortige Beschwerde eingelegt.

Rechtliche Wertung

Die Beschwerde ist nicht begründet. Das Amtsgericht habe dem Antrag auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens zu Recht wegen fehlender Vorbefassung der Eigentümerversammlung nicht stattgegeben.

Die Frage, ob das wohnungseigentumsrechtliche Vorbefassungsgebot auch im Rahmen eines Antrags auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens zwischen Wohnungseigentümern gilt, ist umstritten. Das Beschwerdegericht ist der Auffassung, dass ein Antrag eines Wohnungseigentümers gegen die übrigen Wohnungseigentümer auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens mit dem Ziel, Mängel am Gemeinschaftseigentum festzustellen, in der Regel einer vorherigen Befassung der Eigentümerversammlung mit dem Begehren bedarf. Dies gilt jedenfalls dann, wenn das selbständige Beweisverfahren der Durchsetzung eines Anspruchs auf ordnungsgemäße Verwaltung in Gestalt einer entsprechenden Beschlussfassung der Wohnungseigentümer nach § 21 Abs. 4 bzw. § 21 Abs. 8 WEG dient. Im Falle der fehlenden Vorbefassung der Eigentümerversammlung ist der Antrag auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens gemäß § 485 Abs. 2 ZPO mangels Rechtschutzbedürfnisses unzulässig.

Stehen Mängel oder Schäden am Gemeinschaftseigentum im Raum, so ist in der Regel ein zweistufiges Verfahren angezeigt:

Im Rahmen der ersten Stufe sind das Vorliegen der Mängel oder Schäden und die Ursachen desselben umgehend zu ermitteln. Der Verwalter ist verpflichtet, das hierzu Erforderliche zu veranlassen, also einen entsprechenden Eigentümerbeschlusses über das weitere Vorgehen, etwa im Wege der Beauftragung eines geeigneten Sachverständigen, herbeiführen.

In einem zweiten Schritt ist dann auf der Grundlage der gewonnenen Erkenntnisse die Entscheidung der Eigentümer über die erforderlichen Instandsetzungsmaßnahmen vorzubereiten und herbeizuführen.

Auf beiden Stufen ist in der Regel eine Befassung der Eigentümerversammlung und eine entsprechende Beschlussfassung der Wohnungseigentümer nötig, worauf nach § 21 Abs. 4 WEG ein Anspruch des einzelnen Wohnungseigentümers besteht, den dieser gerichtlich geltend machen kann. Einem Antrag, der auf die Ersetzung einer grundsätzlich durch die Eigentümergemeinschaft vorzunehmenden Regelung abzielt, fehlt das Rechtsschutzbedürfnis, wenn die Eigentümergemeinschaft nicht zuvor mit dem Thema befasst worden ist. Soweit es um die Mitwirkung der übrigen Eigentümer an einer ordnungsgemäßen Verwaltung geht, muss sich ein Kläger vor der Anrufung des Gerichts um die Beschlussfassung in der Versammlung bemühen, weil sonst einer Klage das Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Gleiches gilt nach Auffassung der Kammer für den Antrag auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens.

Gründe, warum die grundsätzlich erforderliche Vorbefassung vorliegend ausnahmsweise entbehrlich sein sollte, sind nicht ersichtlich. Eine Vorbefassung der Gemeinschaft wäre insbesondere dann entbehrlich, wenn sich diese als unnötige Förmelei darstellen würde; wenn also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden könnte, dass ein Antrag des Antragstellers auf Ursachenfeststellung nicht die erforderliche Mehrheit finden würde. Anhaltspunkte hierfür bestehen im vorliegenden Fall jedoch nicht.

Praxishinweis

Das LG München I entscheidet vorliegend erneut (Endurteil vom 09.05.2016 - 1 S 13988/15 WEG, BeckRS 2016, 11151; Beschluss vom 25.07.2016 – 1 T 10029/16, BeckRS 2016, 14244), dass es Sache der Wohnungseigentümer ist, - grundsätzlich nach §§ 21 Abs. 1, 3, 4, 23 Abs. 1 WEG in der Eigentümerversammlung - darüber zu entscheiden, was konkret zu veranlassen ist, wenn bei Maßnahmen ordnungsmäßiger Verwaltung Ermessenspielräume bestehen. Und auch für die Einleitung eines selbständigen Beweisverfahrens vertritt die 36. Kammer des LG München I vorliegend – entgegen der 1. Kammer des LG München I (LG München I, Beschluss vom 25.07.2016 – 1 T 10029/16, BeckRS 2016, 14244) - die Auffassung, dass zur Einleitung eines selbständigen Beweisverfahrens eine Vorbefassung der Eigentümerversammlung notwendig ist. Zutreffend ist aber, dass für die Einleitung eines selbständigen Beweisverfahrens eine Vorbefassung der Eigentümerversammlung gerade nicht erforderlich ist, da die Feststellung von Mängeln, Mängelursachen und Kosten der Mängelbeseitigung lediglich einen aktuellen Zustand zwischen den Beteiligten verbindlich festhält, ohne Entscheidungen der Wohnungseigentümer vorwegzunehmen (LG München I, Beschluss vom 25.07.2016 – 1 T 10029/16, BeckRS 2016, 14244). Erst wenn das selbständige Beweisverfahren abgeschlossen ist, sind die Wohnungseigentümer mit der Angelegenheit zu befassen; die Gemeinschaft kann dann die Durchsetzung der Rechte auf ordnungsgemäße Herstellung des Gemeinschaftseigentums wegen Mängeln am Gemeinschaftseigentum an sich ziehen und damit ihre alleinige Zuständigkeit begründen (BGH, Beschluss vom 27.08.2014 - VII ZB 8/14, NJW 2014, 3518). Macht eine Wohnungseigentümergemeinschaft von der Befugnis Gebrauch, die Durchsetzung von auf die ordnungsgemäße Herstellung des Gemeinschaftseigentums gerichteten Rechten der Erwerber wegen Mängeln des Gemeinschaftseigentums durch Mehrheitsbeschluss an sich zu ziehen, so begründet dies ihre alleinige Zuständigkeit. Ein derartiges Ansichziehen schließt ein selbstständiges Vorgehen der Erwerber aus (BGH, Urteil vom 15.01.2010 - V ZR 80/09, NJW 2010, 933).

Redaktion beck-aktuell, 19. Februar 2018.