BGH: Pfändung von Versicherungsansprüchen umfasst grundsätzlich nur uneingeschränkt pfändbare Forderungen

ZPO §§ 829, 850b I Nr. 1

Ein auf Pfändung von Ansprüchen aus Versicherungsverträgen bei einer Lebensversicherung gerichteter Pfändungs- und Überweisungsbeschluss, der die gepfändeten Forderungen nur abstrakt-generell ohne Bezug auf einen konkreten Versicherungsvertrag bezeichnet, ist regelmäßig dahingehend auszulegen, dass er lediglich uneingeschränkt pfändbare Forderungen umfasst, nicht aber solche, die zum Zeitpunkt des Erlasses des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses nicht oder nur nach Maßgabe des § 850b I Nr. 1 ZPO pfändbar waren (Leitsatz des Gerichts)

BGH, Urteil vom 25.01.2018 - IX ZR 104/17 (OLG Stuttgart), BeckRS 2018, 15520

Anmerkung von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Andreas J. Baumert, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht, Honorarprofessor an der Hochschule für öffentliche Verwaltung Kehl, Lehrbeauftragter an der EBS Universität für Wirtschaft und Recht Wiesbaden, EBS Law School und an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Schultze & Braun GmbH Rechtsanwaltsgesellschaft Wirtschaftsprüfungsgesellschaft

Aus beck-fachdienst Insolvenzrecht 16/2018 vom 10.08.2018

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Sachverhalt

Der Kläger, ein Insolvenzverwalter, betreibt aus einem rechtskräftigen Vollstreckungsbescheid die Zwangsvollstreckung gegen den Streithelfer 1, der Geschäftsführer der Schuldnerin war. Die Beklagte ist eine Lebensversicherungsgesellschaft, bei der die Schuldnerin im Jahre 2002 eine selbständige Berufungsunfähigkeitsversicherung abgeschlossen hatte.

Im Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 17.8.2007 sind als Grund und Höhe der vollstreckenden Forderungen lediglich Ansprüche des Schuldners gegen „Lebensversicherungen“ genannt, darunter die Beklagte, „aus Versicherungsvertrag einschließlich der Ansprüche auf Zahlung der Versicherungssumme und Gewinnanteile, auf Auszahlung des bei Aufhebung oder Kündigung des Vertrages sich ergebenden Restkaufwertes, auf Kündigung und Umwandlung der Versicherung und auf Bestimmung, Widerruf oder Änderung des Bezugsberechtigten ...“. Diese wurden gepfändet und dem Kläger zur Einziehung überwiesen.

Der Beschluss, der der Beklagten als Drittschuldnerin zugestellt wurde, erhält keinen Zusatz über die Anordnung der Pfändung gem. § 850b II ZPO.

Erst unter dem 27.7.2016 erwirkte der Kläger einen weiteren Pfändungs- und Überweisungsbeschluss, in dem die Pfändung antragsgemäß nach § 850b II ZPO nach den für Arbeitseinkommen geltenden Vorschriften angeordnet war.

Diesen Beschluss hob jedoch das LG auf sofortige Beschwerde des Streithelfers zu 1 auf mit der Begründung, es fehle das Rechtsschutzbedürfnis wegen des bereits bestehenden Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses. Dem Kläger bleibe (jedoch) der bereits beschrittene Weg, gegen die Drittschuldnerin im Klageweg vorzugehen.

Die Klage auf Auskehrung von Pfändungsbeträgen sowie Feststellung, dass die Beklagte zur Zahlung der pfändbaren Beträge aus der Berufsunfähigkeitsversicherung des Streithelfers 1 an ihn verpflichtet sei, ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Die Revision hiergegen hat keinen Erfolg.

Rechtliche Wertung

Der Neunte Zivilsenat betont, dem Kläger fehle bereits die Aktivlegitimation bei dem Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 17.8.2007, auf den sich der Kläger zur Begründung des geltend gemachten Einziehungsanspruchs berufe, weil dieser die Ansprüche aus der nach § 850b I Nr. 1 ZPO nur bedingt pfändbaren Berufsunfähigkeitsversicherung des Streithelfers zu 1 bei dem Beklagten nicht umfasse (Urteil Rz. 10).

Die Auslegung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses ergebe, dass dieser hinreichend bestimmt (lediglich) Forderungen aus allen Versicherungsverträgen des Streithelfers zu 1 bei der Beklagten umfasse, die uneingeschränkt pfändbar seien. Ein Pfändungsbeschluss müsse, um hinreichend bestimmt zu sein, regelmäßig auch den Rechtsgrund der Forderung wenigstens in allgemeinen Umrissen bezeichnen. Dies sei in casu zu bejahen (Urteil Rz. 16). Der Pfändungsbeschluss erfasse jedoch keine bedingt pfändbaren Forderungen (Urteil Rz. 19), nachdem er die gepfändeten Forderungen nur abstrakt generell ohne Bezug auf einen konkreten Versicherungsvertrag bezeichne. Damit erstrecke er sich erkennbar nicht auf Ansprüche, die nicht oder nur unter besonderen Voraussetzungen pfändbar seien (Urteil Rz. 19).

Ansprüche aus einer privaten Berufsunfähigkeitsrente seien nach § 850b I Nr. 1 ZPO nur bedingt pfändbar (BGH NZI 2010, 148 Rn. 8 mit weiteren Nachweisen; Urteil Rz. 20 mit weiteren Nachweisen). Der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 17.8.2017 treffe keine ausdrückliche Entscheidung darüber, ob die Voraussetzungen des § 850b II ZPO vorliegen und deswegen Ansprüche aus einer privaten Berufsunfähigkeitsernte nach § 850b I Nr. 1 ZPO ausnahmsweise gepfändet werden können. Die Entscheidung, ob ein Fall des § 850b II ZPO vorliege, könne aber nach Anhörung der Beteiligten nur im Vollstreckungsverfahren erfolgen (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 76. Aufl., § 850b Rn. 20; Urteil Rz. 22).

Die Billigkeitspfändung nach § 850b II ZPO sei auch nicht stillschweigend durch das Vollstreckungsgericht angeordnet worden. Ein konkreter Bezug zu einer bestimmten Versicherung sei nicht im Beschluss hergestellt worden (Urteil Rz. 24). Eine stillschweigende Entscheidung könne ohnedies aus Rechtsgründen keine wirksame Pfändung herbeiführen.

Praxishinweis

Die Entscheidung zeigt – wie auch im Leitsatz deutlich hervorgehoben –, dass wer bedingt pfändbare Bezüge gem. § 850b I Nr. 1 ZPO pfänden möchte, dies ausdrücklich – mit der gebotenen Deutlichkeit – tun muss. Nachdem die Entscheidung, ob ein Fall des § 850b II ZPO vorliegt, nur im Vollstreckungsverfahren erfolgen kann, kann auch nicht das Prozessgericht – wie in casu begehrt – durch Auslegung zur Miterfassung solcher bedingt pfändbarer Bezüge gelangen (Urteil Rz. 22). Indem der Neunte Zivilsenat diese Problematik von seiner Rechtsprechung abgrenzt, wonach in bestimmten Fällen das Prozessgericht darüber entscheiden könne, in welchem Umfang pfändbare Ansprüche in die Insolvenzmasse fallen (BGH NJW-RR 2010, 474 Rn. 10), hat die Rechtspraxis hier strikt zwischen insolvenzrechtlichen Entscheidungen des Senats und einer Entscheidung wie vorliegend zur Individualvollstreckung zu unterscheiden (deutlich Urteil Rz. 22).

Redaktion beck-aktuell, 13. August 2018.