BGH: Versagung der Restschuldbefreiung wegen Verletzung der Mitwirkungspflicht im Insolvenzverfahren durch einen selbständig Tätigen

InsO §§ 290 I Nr. 5, 35 II 2, 295 II

1. Pflichten des Schuldners aus einer mit dem Insolvenzverwalter getroffenen, nicht auf die gesetzlichen Pflichten beschränkten Vereinbarung über die nach der Freigabe der selbständigen Tätigkeit des Schuldners an die Insolvenzmasse abzuführenden Zahlungen sind keine Auskunfts- oder Mitwirkungspflichten „nach diesem Gesetz“ gem. § 290 I Nr. 5 InsO.

2. Beantragt ein Insolvenzgläubiger, dem Schuldner nach der Freigabe seiner selbständigen Tätigkeit die Restschuldbefreiung wegen der Verletzung einer gesetzlichen Mitwirkungspflicht zu versagen, ist der Versagungsgrund glaubhaft gemacht, wenn der Schuldner vertraglich übernommene Zahlungspflichten an die Insolvenzmasse nicht erfüllt; der Schuldner hat in diesem Fall darzulegen, dass er nach dem Gesetz zu keinen höheren als zu den von ihm geleisteten Zahlungen verpflichtet war.

3. Übt der Schuldner während des Insolvenzverfahrens eine vom Insolvenzverwalter freigegebene selbständige Tätigkeit aus, kann er zu Zahlungen an die Insolvenzmasse nach Maßgabe eines angemessenen abhängigen Dienstverhältnisses verpflichtet sein, auch wenn er das Renteneintrittsalter erreicht hat. (Leitsätze des Gerichts)

BGH, Beschluss vom 12.04.2018 - IX ZB 60/16 (LG Mainz), BeckRS 2018, 11726

Anmerkung von
Rechtsanwalt Stefano Buck, Fachanwalt für Insolvenzrecht, Schultze & Braun Rechtsanwaltsgesellschaft für Insolvenzverwaltung mbH

Aus beck-fachdienst Insolvenzrecht 14/2018 vom 13.07.2018

Diese Urteilsbesprechung ist Teil des zweiwöchentlich erscheinenden Fachdienstes Insolvenzrecht. Neben weiteren ausführlichen Besprechungen der entscheidenden aktuellen Urteile im Insolvenzrecht beinhaltet er ergänzende Leitsatzübersichten und einen Überblick über die relevanten neu erschienenen Aufsätze. Zudem informiert er Sie in einem Nachrichtenblock über die wichtigen Entwicklungen in Gesetzgebung und Praxis des Insolvenzrechts. Weitere Informationen und eine Schnellbestellmöglichkeit finden Sie unter www.beck-online.de

Sachverhalt

Der im Jahr 1946 geborene Schuldner ist Zahnarzt. Am 1.6.2009 wurde über sein Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet. Nachdem er seine selbständig betriebene Zahnarztpraxis zunächst bis zum 31.10.2010 fortgeführt hatte, traf er am 14.11./23.12.2011 im Blick auf eine von ihm neu zu eröffnende Zahnarztpraxis mit dem zum Insolvenzverwalter bestellten Beteiligten zu 1 eine schriftliche Vereinbarung über die Modalitäten der Freigabe dieses Praxisbetriebes aus dem Insolvenzbeschlag. In der Vereinbarung verpflichtete sich der Schuldner, ab dem 1.7.2012 monatlich einen Betrag in Höhe von 739 EUR an die Insolvenzmasse zu entrichten. Der Betrag entsprach der Hälfte des Betrages, den die Beteiligten als nach §§ 35 II, 295 II InsO abzuführenden Betrag ermittelt hatten; auf den halben Betrag einigte man sich wegen der rechtlichen Unsicherheit, ob der Schuldner, der die Rentenaltersgrenze überschritten hatte, überhaupt Beträge an die Insolvenzmasse abführen musste. Ferner vereinbarten die Parteien ua, dass der nicht in die Berechnung eingeflossene pfändbare Teil der Versorgungsbezüge des Schuldners der Insolvenzmasse zustehen sollte.

Im Anschluss an die Vereinbarung gab der weitere Beteiligte zu 1 den Praxisbetrieb mit Wirkung ab dem 15.11.2011 aus dem Insolvenzbeschlag frei. Der Schuldner leistete die vereinbarten Zahlungen in der Folgezeit nicht. Nachdem am 1.6.2015 die Laufzeit der Abtretungserklärung geendet hatte, das Insolvenzverfahren aber fortdauerte, gab das Insolvenzgericht zur Vorbereitung der Entscheidung über die vom Schuldner beantragte Restschuldbefreiung im schriftlichen Verfahren den Insolvenzgläubigern Gelegenheit, die Versagung der Restschuldbefreiung zu beantragen. Auf den von der weiteren Beteiligten zu 2 gestellten Antrag hat das Insolvenzgericht dem Schuldner die Restschuldbefreiung mit der Begründung versagt, der Schuldner habe mindestens grob fahrlässig seine Auskunfts- und Mitwirkungspflicht nach § 97 InsO verletzt.

Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde des Schuldners hatte keinen Erfolg gehabt. Mit seiner vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde erstrebte der Schuldner die Aufhebung der angefochtenen Beschlüsse und die Erteilung der Restschuldbefreiung. Die Rechtsbeschwerde führte zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Insolvenzgericht.

Entscheidung

Maßgeblich seien die Vorschriften der Insolvenzordnung in der bis zum 1.7.2014 geltenden Fassung, weil das Insolvenzverfahren vor diesem Zeitpunkt beantragt worden sei (Art. 103h 1 EGInsO).

Nach § 290 I Nr. 5 InsO sei die Restschuldbefreiung zu versagen, wenn der Schuldner während des Insolvenzverfahrens Auskunfts- oder Mitwirkungspflichten nach diesem Gesetz vorsätzlich oder grob fahrlässig verletzt habe. In erster Linie handele es sich um die Pflichten des Schuldners nach §§ 20 I und 97 InsO (BGH ZInsO 2016, 34 = BeckRS 2015, 20397 mAnm Pehl FD-InsR 2016, 375220).

Die nach § 97 II InsO bestehende Pflicht des Schuldners umfasse die Pflicht, pfändbares Arbeitseinkommen aus abhängiger Beschäftigung und die vollständigen Einkünfte aus einer selbständigen Tätigkeit als Neuerwerb an die Insolvenzmasse abzuführen. Gebe der Insolvenzverwalter die selbständige Tätigkeit des Schuldners aus der Insolvenzmasse frei, unterfallen die mit dieser Tätigkeit erzielten Einkünfte zwar nicht mehr dem Insolvenzbeschlag. Der Schuldner sei aber nach §§ 35 II 2, 295 II InsO verpflichtet, Zahlungen an den Verwalter zu leisten, wie wenn er ein angemessenes Dienstverhältnis eingegangen sei. Leiste der Schuldner diese Zahlungen nicht, verletze er ebenfalls die ihm nach § 97 II InsO obliegende Mitwirkungspflicht und verwirkliche den Versagungsgrund des § 290 I Nr. 5 InsO (BGH, a.a.O.). Anders hingegen verhalte es sich, wenn der selbständig tätige Schuldner Zahlungen unterlasse, zu deren Leistung er sich gegenüber dem Verwalter vertraglich verpflichtet habe. Verpflichtungen, die der Schuldner in einer Vereinbarung mit dem Verwalter übernommen habe, begründen keine Auskunfts- oder Mitwirkungspflichten „nach diesem Gesetz“ im Sinne von § 290 I Nr. 5 InsO.

Gemessen an diesen Grundsätzen könne dem Schuldner nicht deshalb die Restschuldbefreiung versagt werden, weil er die monatlichen Zahlungen, zu denen er sich gegenüber dem weiteren Beteiligten zu 1 vertraglich verpflichtet habe, nicht erbracht habe.

Mit der Vereinbarung sollte nach dem übereinstimmenden Willen der Vertragsparteien eine zwar an die gesetzliche Verpflichtung anknüpfende, von dieser aber rechtlich unabhängige selbständige Zahlungspflicht begründet werden. Dem Wortlaut der Vereinbarung sei zu entnehmen, dass die Beteiligten es als ungewiss beurteilt haben, ob im Blick auf das vom Schuldner erreichte Renteneintrittsalter überhaupt eine gesetzliche Abführungspflicht bestanden habe. Dieser Unsicherheit sei dadurch Rechnung getragen worden, dass der Zahlungsbetrag vertraglich auf die Hälfte des errechneten Betrages festgelegt worden sei. Daneben hatten die Beteiligten weitere Vereinbarungen mit einem sich nicht aus dem Gesetz ergebenden Inhalt, etwa zur – unterbleibenden – Berücksichtigung des an die Insolvenzmasse gezahlten pfändbaren Teils der Versorgungsbezüge des Schuldners getroffen.

Im Übrigen stehe nicht fest, dass der vertraglichen Vereinbarung ein Abführungsbetrag zugrunde gelegt worden sei, der auch nach den Bestimmungen der Insolvenzordnung geschuldet sei. Die gesetzliche Regelung in §§ 35 II 2, 295 II InsO verpflichte den Schuldner, dessen selbständige Tätigkeit vom Insolvenzverwalter freigegeben wurde, die Insolvenzgläubiger durch Zahlungen an den Verwalter so zu stellen, wie wenn er ein angemessenes Dienstverhältnis eingegangen wäre. Grundlage der abzuführenden Beträge sei der durch die selbständige Tätigkeit erzielte Gewinn, maßgeblich sei aber das fiktive Nettoeinkommen aus einer angemessenen abhängigen Beschäftigung (BGH ZInsO 2013, 1586 = BeckRS 2013, 13049 mAnm Böhner FD-InsR 2013, 349429). Angemessen sei nur eine dem Schuldner mögliche abhängige Tätigkeit. Der Umstand, dass der Schuldner das Renteneintrittsalter erreicht habe, schließe diese Möglichkeit nicht aus. Der Schuldner sei nach der hier anzuwendenden Fassung des Gesetzes während des Insolvenzverfahrens nicht verpflichtet gewesen, eine Erwerbstätigkeit auszuüben. Gehe er aber ein abhängiges Dienstverhältnis ein, fallen Einkünfte, welche die Pfändungsfreigrenzen übersteigen, in die Insolvenzmasse. Entsprechende Beträge habe auch ein Selbständiger nach der Freigabe seiner Tätigkeit an die Masse abzuführen. Entscheidend sei in beiden Fällen die tatsächliche Ausübung der Tätigkeit. Unerheblich sei, ob der Schuldner bereits rentenberechtigt sei.

Eine gesetzliche Verpflichtung des Schuldners zur Zahlung an die Insolvenzmasse setze danach Feststellungen zur Möglichkeit einer angemessenen abhängigen Tätigkeit, zur Höhe eines dadurch erzielbaren Nettoeinkommens und ggf. zu unterhalb der Pfändungsfreigrenze liegenden Einkünften des Schuldners aus seiner selbständigen Tätigkeit voraus. Solche Feststellungen habe das Beschwerdegericht nicht getroffen.

Praxishinweis

Sofern erneut ein Gläubiger unter Berufung auf die unterbliebenen Zahlungen des Schuldners die Versagung der Restschuldbefreiung beantragt, genügt der Hinweis auf die mit dem Insolvenzverwalter vereinbarte, aber nicht eingehaltene Zahlungsverpflichtung des Schuldners, um eine Verletzung – auch – seiner nach dem Gesetz bestehenden Zahlungspflicht nach § 290 I Nr. 5, II InsO glaubhaft zu machen. Die Pflicht zur Glaubhaftmachung soll verhindern, dass das Insolvenzgericht auf bloße Vermutungen gestützte aufwendige Ermittlungen führen muss. Hat sich der Schuldner vertraglich gegenüber dem Insolvenzverwalter verpflichtet, nach der Freigabe seiner selbständigen Tätigkeit zur Abgeltung seiner aus §§ 35 II295 II InsO folgenden gesetzlichen Pflicht Zahlungen an die Insolvenzmasse zu leisten, und kommt er dieser Verpflichtung nicht nach, ist die nach § 290 II 1 InsO erforderliche Wahrscheinlichkeit einer Verletzung auch seiner gesetzlichen Mitwirkungspflicht nach § 290 I Nr. 5 InsO gegeben. Wegen der indiziellen Bedeutung der vertraglichen Verpflichtung für das Bestehen einer gesetzlichen Zahlungspflicht hat nunmehr der Schuldner darzulegen, dass er nach dem Gesetz zu keinen höheren, als zu den von ihnen geleisteten Zahlungen verpflichtet war. Kann dies nicht festgestellt werden, ist von einer Verletzung der gesetzlichen Mitwirkungspflicht auszugehen. Hierauf hat der Senat für das weitere Verfahren ausdrücklich hingewiesen.

Keine Veranlassung sah der BGH anscheinend, Hinweise zur Anwendbarkeit des § 850a Nr. 1 ZPO zu geben (vgl. BGH BeckRS 2014, 14133 mAnm Buck FD-InsR 2014, 360224).

Redaktion beck-aktuell, 16. Juli 2018.