BGH: Kenntnis vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz und Verzugszinshöhe

InsO § 143 I 2 aF; BGB §§ 819 I, 299 1, 288 I 2

1. Weiß das Finanzamt, dass ein Dritter, welcher sich für die Steuerverbindlichkeiten des Schuldners verbürgt hat, auf Weisung und unter Verrechnung mit einer Kaufpreisforderung des Schuldners die Steuerschulden tilgt, hat es Kenntnis von der Gläubiger benachteiligenden Rechtshandlung des Schuldners.

2. Der auf Zahlung von Geld gerichtete Rückgewähranspruch ist keine Entgeltforderung, die bei Rechtsgeschäften, an denen ein Verbraucher nicht beteiligt ist, einen erhöhten Verzugszinssatz begründet. (Leitsätze des Gerichts)

BGH, Urteil vom 12.04.2018 - IX ZR 88/17, BeckRS 2018, 7874

Anmerkung von 
Rechtsanwalt Tobias Hirte, Fachanwalt für Insolvenzrecht, Schultze & Braun Rechtsanwaltsgesellschaft für Insolvenzverwaltung mbH

Aus beck-fachdienst Insolvenzrecht 11/2018 vom 25.05.2018

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Sachverhalt

Der Schuldner entwickelte für eine GmbH eine Software, wobei der Kaufvertrag über die Software erst nach Fertigstellung geschlossen werden sollte. Der Gesellschafter der GmbH gewährte dem Schuldner Kredite, die mit der späteren Kaufpreiszahlung zu verrechnen waren. Zu diesem Zeitpunkt schuldete der Schuldner dem Finanzamt bereits Einkommens- und Umsatzsteuer. Um die Fertigstellung der Software nicht zu gefährden, verbürgte sich der Gesellschafter gegenüber dem Finanzamt für diese Steuerschulden. Einige Monate später verkaufte der Schuldner an die GmbH die Software. Der Schuldner wies dabei die GmbH auf die Steuerschulden hin und an, einen Teilkaufpreis in Höhe der Steuerschulden an das Finanzamt zu zahlen. Nach telefonischer Rücksprache des Gesellschafters mit dem Finanzamt wurde der vom Insolvenzverwalter angefochtene Betrag an das Finanzamt überwiesen. Klage und Berufung des Insolvenzverwalters hatten keinen Erfolg. Die Revision führte zur Zurückweisung der Sache an das Berufungsgericht.

Entscheidung

Im Wesentlichen geht es hier um die Frage, ob die Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung gem. § 133 I 1 InsO vorliegen, namentlich um die Kenntnis vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz sowie die Kenntnis von der Gläubigerbenachteiligung. Vorliegend steht die Zahlung vom Konto eines Dritten im Raum, nämlich des Gesellschafters oder seiner Söhne. Deshalb komme es darauf an, ob es sich um eine Zahlung auf Schuld oder Kredit (vgl. BGH, Urt. v. 24.10.2013 – IX ZR 104/13, BeckRS 2013, 19535 mAnm Kiesel FD-InsR 2013, 353220) oder ob es sich um eine Rechtshandlung des Schuldners handelt, sofern der Dritte ohne Veranlassung und nähere Kenntnis ausschließlich im Interesse des Anfechtungsgegners die Zahlung vornimmt (vgl. BGH, Urt. v. 19.9.2013 – IX ZR 4/13, BeckRS 2013, 18105). Die Kenntnis vom Benachteiligungsvorsatz liege zwar grundsätzlich vor, sofern im Wissen um die Willensrichtung des Schuldners auf der Grundlage einer von diesem veranlassten Rechtshandlung der Gläubiger befriedigt werde. Nur dann komme die Kenntnis ausnahmsweise nicht in Betracht, wenn der Zahlende mit eigenen Mitteln nicht als Dritter leiste, sondern als Bürge in Erfüllung seiner Bürgenschuld (vgl. BGH, Urt. v. 26.9.1985 – IX ZR 180/84, BeckRS 9998, 100123).

Entscheidend komme es hier darauf an, ob das Finanzamt davon ausgegangen sei, dass die Zahlung auf die Bürgenschuld oder zur (teilweisen) Begleichung des Kaufpreises auf Weisung des Schuldners erfolgte. Die diesbezügliche Beweiswürdigung des Berufungsgerichts halte den rechtlichen Anforderungen nicht stand, so der BGH. Der BGH korrigiert mitunter die vorinstanzliche Würdigungen und beschäftigt sich vertieft mit der Frage, ob das Berufungsgericht einem Zeugen teilweise glauben und teilweise nicht glauben konnte. Festgestellt wird auch, das Berufungsgericht habe mit seiner Beweiswürdigung den Prozessstoff nicht ausreichend ausgeschöpft. Unter Aufhebung des Urteils wurde die Sache zurückverwiesen und ergänzend darauf hingewiesen, dass der Kläger die subjektiven Voraussetzungen noch nicht hinreichend vorgetragen habe. Ferner stellt der BGH klar, dass ein erhöhter Zinssatz nach § 288 II BGB nur für solche Entgeltforderungen vorliege, die Gegenleistung für eine erbrachte oder zu erbringende Leistung sind, die in der Lieferung von Gütern oder der Erbringung von Dienstleistungen besteht (vgl. BGH, Urt. v. 17.7.2013 – VIII ZR 334/12, BeckRS 2013, 17076). Der Rückgewähranspruch aus § 143 InsO sei keine solche Entgeltforderung.

Praxishinweis

Die Entscheidung zeigt deutlich auf, dass eine nachdrückliche Behandlung der Sachlage für den anfechtenden Insolvenzverwalter außerordentlich bedeutsam sein kann. Die im konkreten Fall vorgenommene Beweiswürdigung des OLG Dresden lag offenbar mitunter deutlich neben dem zulässigen Rahmen. Erstmals stellt der BGH ausdrücklich fest, dass der Anspruch gem. §§ 129 ff. InsO mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen ist, was der herrschenden Auffassung entspricht (vgl. Braun/Riggert, 7. Aufl., InsO § 143 Rn. 18).

Redaktion beck-aktuell, 29. Mai 2018.