BGH: Gutgläubigkeit des Empfängers einer unentgeltlichen Leistung

InsO §§ 134 I, 143 II 2

Sind dem Anfechtungsgegner Umstände bekannt, die mit auffallender Deutlichkeit dafür sprechen und deren Kenntnis auch einem Empfänger mit durchschnittlichem Erkenntnisvermögen ohne gründliche Überlegung die Annahme nahe legt, dass die Befriedigung der Gläubiger infolge der Freigiebigkeit verkürzt ist, muss er den Umständen nach wissen, dass die empfangene Leistung die Gläubiger benachteiligt. (Leitsatz des Gerichts)

BGH, Beschluss vom 08.09.2016 - IX ZR 151/14, BeckRS 2016, 20068

Anmerkung von

Rechtsanwalt Dr. Pascal Schütze, Schultze & Braun GmbH Rechtsanwaltsgesellschaft Wirtschaftsprüfungsgesellschaft

Aus beck-fachdienst Insolvenzrecht 01/2017 vom 13.01.2017

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Sachverhalt

Die Finanzverwaltung des später beklagten Landes hatte rückständige Steuerforderungen iHv rund 43.600 EUR gegen den Geschäftsführer und Alleingesellschafter der Schuldnerin. Sie stellte daher am 19.2.2009 Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens. Am 31.3.2009 überwies der Geschäftsführer der Schuldnerin einen Betrag iHv 10.000 EUR mit der Angabe „Darlehen“ als Verwendungszweck sowie eine als „Stammeinlage“ bezeichnete Summe iHv 25.000 EUR auf das Konto der Schuldnerin. Am selben Tag überwies die Schuldnerin einen Betrag iHv 33.000 EUR auf die Steuerschuld ihres Alleingesellschafters. Auf Vorlage einer den Überweisungsvorgang abbildenden Bankbestätigung durch den Geschäftsführer der Schuldnerin, auf welcher der Gesellschaftszusatz der Schuldnerin unvollständig abgedruckt war, erklärte der Beklagte den Insolvenzantrag für erledigt. Später wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Geschäftsführers der Schuldnerin allerdings auf einen weiteren Antrag vom 9.4.2010 eröffnet. Die dort bestellte Verwalterin verlangte von dem beklagten Land die Rückgewähr der am 31.3.2009 geleisteten Zahlungen nach § 133 I InsO. Der Beklagte zahlte daraufhin einen Betrag iHv 33.000 EUR an die Verwalterin. Nach Insolvenzverfahrenseröffnung über das Vermögen der Schuldnerin am 8.4.2010 auf einen Antrag vom 9.10.2009 hin macht der klagende Insolvenzverwalter gegen den Beklagten die Rückzahlung der von der Schuldnerin geleisteten Zahlung iHv 25.000 EUR aus § 134 I InsO geltend.

Sowohl das LG als auch das Berufungsgericht haben die Klage abgewiesen. Nach dem Berufungsgericht könne sich der Beklagte auf Entreicherung gem. § 143 II 2 InsO berufen. Der Kläger habe nicht nachgewiesen, dass der Beklagte zum Zeitpunkt der Zahlung an die im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Geschäftsführers der Schuldnerin bestellte Verwalterin gewusst habe oder den Umständen nach habe wissen müssen, dass die unentgeltliche Leistung die Gläubiger der Schuldnerin benachteilige. Da die vorgelegte Bankbestätigung den Absender der Zahlung nicht zweifelsfrei ausgewiesen habe, könne dem Beklagten allenfalls eine einfach fahrlässige Verkennung der Gläubigerbenachteiligung vorgeworfen werden.

Der Neunte Zivilsenat des BGH hat nach Zulassung der Revision durch das Berufungsgericht das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Entscheidung

Nach dem BGH könne sich der Beklagte nach dem revisionsrechtlich zugrunde zu legenden Sachverhalt gegenüber einem möglichen Anspruch des Klägers aus § 134 I InsO nicht auf einen Wegfall der Bereicherung gem. § 143 II InsO berufen. Eine Entreicherung nach § 143 II 1 InsO sei nach dem derzeitigen Verfahrensstand nicht von vornherein ausgeschlossen. Die zugunsten des Empfängers einer unentgeltlichen Leistung wirkende Haftungserleichterung entfalle gem. § 143 II 2 InsO nur dann, wenn dieser weiß oder den Umständen nach wissen muss, dass die Zuwendung die Gläubiger benachteilige. Dem Anfechtungsgegner sei die Benachteiligung bekannt, wenn er wisse, dass die empfangene Leistung aus dem den Gläubigern haftenden Vermögen des (späteren) Insolvenzschuldners stamme und dieses nicht mehr ausreiche, um alle Verbindlichkeiten zu erfüllen. Dies sei regelmäßig anzunehmen, wenn dem Anfechtungsgegner die zumindest drohende Zahlungsunfähigkeit des Schuldners bekannt sei. Aus dem eindeutigen Wortlaut des § 143 II 2 InsO folge, dass sich die Kenntnis des Anfechtungsgegners über die Zugehörigkeit der empfangenen unentgeltlichen Leistung zu der den Gläubigern haftenden Vermögensmasse des Schuldners hinaus nicht auf weitere Umstände erstrecken müsse. Das gelte insbesondere, wenn die Entreicherung durch die Erfüllung eines vermeintlichen Anfechtungsanspruchs im Deckungsverhältnis eingetreten sei. Auch in diesem – hier gegebenen – Fall komme es alleine auf die Kenntnis davon an, dass die empfangenen Mittel aus dem den Gläubigern zuzuwendenden haftenden Vermögen stammen. Die Vorschrift des § 143 II 2 InsO verzichte, anders als § 130 II InsO, auf das Merkmal „zwingend“. Deshalb müsse der Empfänger einer unentgeltlichen Leistung regelmäßig bereits den Umständen nach um die Gläubigerbenachteiligung wissen, wenn ihm Tatsachen bekannt seien, die mit auffallender Deutlichkeit dafür sprechen und deren Kenntnis auch einem Empfänger mit durchschnittlichem Erkenntnisvermögen ohne gründliche Überlegung die Annahme nahelege, dass die Befriedigung der Gläubiger in Folge der Freigiebigkeit verkürzt werde. Das beklagte Land hätte spätestens zum Zeitpunkt der Zahlung am 22.3.2011 wissen müssen, dass die empfangene Leistung aus dem Vermögen der Schuldnerin zugewendet worden sei und deren Gläubiger benachteilige. Zum Zeitpunkt der Zahlung am 22.3.2011 sei den Steuerakten des Geschäftsführers der Schuldnerin zu entnehmen, dass dieser eine unter dem Namen der Schuldnerin firmierende Gesellschaft betrieben und zuvor ein ähnlich bezeichnetes Unternehmen als Einzelkaufmann geführt habe. Zum anderen befände sich bei den Akten die im März 2009 vorgelegte Bankbestätigung, welche den Gesellschaftszusatz der die Zahlung anweisenden Schuldnerin zwar unvollständig, aber noch erkennbar, abgebildet habe. Bei der gebotenen und zumutbaren Durchsicht des Steuervorgangs hätte es sich dem zuständigen Sachbearbeiter ohne gründliche Überlegung aufdrängen müssen, dass die am 31.3.2009 empfangene Leistung aus dem Vermögen der Schuldnerin zugewendet worden sei. Da die für das beklagte Land handelnde Finanzbehörde zu diesem Zeitpunkt auch um die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin gewusst habe, sei dem Beklagten somit auch bekannt, dass die Befriedigung der Gläubiger der Schuldnerin in Folge der erlangten Freigiebigkeit verkürzt worden sei. Der Senat könne aber nicht selbst abschließend entscheiden. Das Berufungsgericht habe bislang keine hinreichenden Feststellungen dazu getroffen, welche auf eine Gläubigerbenachteiligung hinweisenden Umstände dem Beklagten bekannt gewesen seien.

Praxishinweis

Bei der Frage der Haftung des gutgläubigen Empfängers einer unentgeltlichen Leistung nach § 143 II InsO ist für den Anfechtungsprozess die Kenntnis der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast wichtig. Die Beweislast für eine vorliegende Entreicherung trägt der Anfechtungsgegner. Dagegen muss der klagende Verwalter die Bösgläubigkeit des Empfängers einer unentgeltlichen Leistung darlegen und beweisen (vgl. BGH BeckRS 2016, 08881 mAnm Buck FD-InsR 2016, 378825). Die Streitfrage, ob Gutgläubigkeit nach § 143 II 2 InsO schon dann entfällt, wenn dem Empfänger einfache Fahrlässigkeit zur Last zu legen ist oder grob fahrlässige Unkenntnis vorliegen muss, musste der BGH hier erneut nicht beantworten (vgl. einerseits HmbKomm-InsO/Rogge/Leptien, 5. Aufl., § 143 Rn. 86 und andererseits MüKoInsO/Kirchhof § 143 Rn. 106 f.). Der Vorrang der Deckungsanfechtung oder hier der Vorsatzanfechtung gegenüber der Schenkungsanfechtung verlangt – wie der BGH auch in diesem Urteil in seinen Segelhinweisen betont –, dass die Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung tatsächlich vorliegen. Die Beweislast trifft insoweit den Anfechtungsgegner (vgl. zuletzt wenn im Deckungsprozess ein Vergleich geschlossen wurde: BGH BeckRS 2016, 04103 mAnm Hirte FD-InsR 2016, 376814).

Redaktion beck-aktuell, 13. Januar 2017.