OLG München: Antrag auf Einziehung eines Erbscheins ohne Forderung des Erbteils ist (noch) kein Pflichtteilsverlangen im Sinne herkömmlicher Pflichtteilssanktionsklauseln

BGB §§ 2075, 2094, 2269

Eine Pflichtteilsklausel, die auf ein „Verlangen“ des Pflichtteils nach dem Tod des erstversterbenden Ehegatten abstellt, greift nicht bereits dann ein, wenn der Pflichtteilsberechtigte die Erbenstellung des überlebenden angreift (im Anschluss und in Abgrenzung zu OLG München vom 7.4.2011 (NJW-RR 2011, 1164). (amtl. Leitsatz)

OLG München, Beschluss vom 06.12.2018 - 31 Wx 374/17, BeckRS 2018, 31509

Anmerkung von 
JR Dr. Wolfgang Litzenburger, Notar in Mainz
 
Aus beck-fachdienst Erbrecht 12/2018 vom 17.12.2018

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Sachverhalt

Die Beteiligten sind die Abkömmlinge der Erblasserin und deren 2008 vorverstorbenen Ehemanns. Diese hatten ein (undatiertes) gemeinschaftliches Testament errichtet, das u.a. folgende letztwillige Verfügungen enthält:

„Wir (…) setzen uns gegenseitig zu alleinigen Vollerben ein. Schlusserben bei Tod des Überlebenden von uns und Erben von uns beiden im Falle gleichzeitigen Versterbens sind unsere Kinder (…) und (…) zu gleichen Teilen alein Erben!

Verlangt einer unserer Abkömmlinge auf den Tod des Erstversterbenden den Pflichtteil, so sind er und seine Nachkommen von der Erbfolge auf Ableben des Längerlebenden (Längstlebenden) ausgeschlossen. Ferner erhalten in diesem Falle unser anderes Kind und seine Abkömmlinge aus dem Nachlaß des Erstversterbenden ein Geldvermächtnis in Höhe des Wertes seines gesetzlichen Erbteils auf Ableben des Erstversterbenden, wenn dieser erst beim Tod des Längerlebenden (Längstlebenden) verstorben wäre, berechnet aus dem zum Zeitpunkt des Todes des Längerlebenden noch vorhandenen Nachlass des Erstversterbenden. Diese Vermächtnisse Fallen erst mit dem Tod des Längerlebenden an und nur an zu diesem Zeitpunkt noch lebende Bedachte.“

Die Beteiligte zu 1 hat in dem Nachlassverfahren betreffend den vorverstorbenen Ehemann der Erblasserin mit Schriftsatz ihres Verfahrensbevollmächtigten vom 16.4.2016 beantragt, den der Erblasserin am 4.9.2009 erteilten Erbschein, der sie als Alleinerbin ausweist, einzuziehen. Darin hat sie Einwände gegen die Wirksamkeit des Testaments angebracht, insbesondere wegen Auffälligkeiten betreffend die Testamentsurkunde sowie des Vorliegens eines Testierwillens des Erblassers. Das Nachlassgericht hat den Antrag der Beteiligte zu 1 zurückgewiesen.

Mit Antrag vom 5.9.2017 beantragte die Beteiligte zu 1 die Erteilung eines Erbscheins, der sie zusammen mit dem Beteiligten zu 2 aufgrund des gemeinschaftlichen Testaments der Ehegatten als Miterbin der Erblasserin zu je ½ ausweist. Demgegenüber hat der Beteiligte zu 2 den Antrag auf Erteilung eines Erbscheins gestellt, dass die Erblasserin von ihm allein beerbt wird. Er ist der Auffassung, dass die Pflichtteilsklausel in dem gemeinschaftlichen Testament der Ehegatten greift, da die Beteiligte zu 1 im Nachlassverfahren betreffend den vorverstorbenen Ehemann durch das Einziehungsverfahrens hinsichtlich des der Erblasserin erteilten Alleinerbscheins versucht hat, die Alleinerbenstellung der Erblasserin zu bekämpfen und die Klausel dahingehend ausgelegt werden kann, dass unter „Verlangen“ i.S.d. Pflichtteilsklausel auch ein Bekämpfen der Alleinerbenstellung des überlebenden Ehegattens fällt.

Das Nachlassgericht hat die Voraussetzungen für die Erteilung des von der Beteiligten zu 1 beantragten Erbscheins als festgestellt erachtet, den Antrag des Beteiligten zu 2 hingegen zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Beteiligten zu 2.

Entscheidung: Antrag auf Erbscheinseinziehung ist von der testamentarischen Klausel nicht umfasst

Der Senat bestätigt die Entscheidung des Nachlassgerichts.

Welche konkreten Voraussetzungen für die Verwirklichung der Pflichtteilsausschlussklausel erfüllt sein müssten, hänge im Einzelfall von der Gestaltung bzw. Formulierung und dem Willen der Erblasser ab, der ggfs. im Wege der Auslegung festzustellen sei. Der im Testament der Eltern enthaltenen Pflichtteilssanktionsklausel könne jedoch nicht entnommen werden, dass bereits die von der Beteiligten zu 1 beantragte Einziehung des zugunsten der Erblasserin erteilten Alleinerbscheins von der Klausel mitumfasst sein sollte.

Nach dem Wortsinn sanktioniere die gewählte Formulierung zwar bereits einen ausdrücklichen und ernsthaften, auch außergerichtlichen Versuch, den Pflichtteil zu erhalten, unabhängig davon, ob der Fordernde den Pflichtteil beziffert oder diesen tatsächlich erhalte. Der Antrag auf Einziehung des zugunsten der Erblasserin erteilten Erbscheins könne dem nicht gleichgestellt werden. Denn damit sei noch kein aktiver Zugriff der Beteiligten zu 1 auf das Nachlassvermögen des Erstversterbenden verbunden, den die von den Ehegatten verwendete Fassung der Klausel („verlangt“) erfordere. Es genüge nicht bereits, dass die erstrebte Einziehung des Erbscheins letztendlich auch den Verlust der Alleinerbenstellung der Erblasserin zur Folge hätte haben können. Nach Sinn und Zweck der Klausel sollte sichergestellt werden, dass dem überlebenden Ehegatten bis zu seinem Tod der Nachlass ungeschmälert verbleibe. Deshalb werde mit der Klausel nicht jedes Verhalten eines Schlusserbens gegen die in der letztwilligen Verfügung getroffenen Anordnungen sanktioniert, sondern nur solches, dem ein aktives Verlangen nach Erhalt eines Anteils an dem Nachlassvermögen des Erstversterbenden innewohne. Eine Willensrichtung der Ehegatten, die allein das Bestreiten der von den Ehegatten angeordneten Alleinerbenstellung des überlebenden durch ein Verhalten des Schlusserben sanktioniert, könne zwar der Formulierung „wer das Testament anficht“ entnommen werden (vgl. dazu OLG Dresden, NJW-RR 1999, 1165), jedoch nicht bei der hierverwendeten Wortwahl.

Aus der Entscheidung des Senats vom 7.4.2011 (OLG München, NJW-RR 2011, 1164) ergebe sich nichts Gegenteiliges. Dort habe der Senat ein Eingreifen der Pflichtteilsklausel anerkannt, wenn der Pflichtteilsberechtigte die Unwirksamkeit des gemeinschaftlichen Testaments geltend mache und seinen gesetzlichen Erbteil fordere. Im hier zu entscheidenden Fall fehle es jedoch an einer solchen Forderung seines gesetzlichen Erbteils.

Praxishinweis

Das Testieren im Rahmen eines gemeinschaftlichen „Berliner Testaments“ i.S.d. § 2269 BGB dient vor allem dem Zweck, den überlebenden Ehepartner finanziell abzusichern. Damit vertragen sich die gesetzlichen Pflichtteilsansprüche der (gemeinsamen) Abkömmlinge nicht. Um die Abkömmlinge auf den Tod des überlebenden Ehepartners zu verweisen, sind Pflichtteilssanktionsklauseln gebräuchlich, die denjenigen Abkömmling wirtschaftlich benachteiligen, der seinen gesetzlichen Pflichtteil fordert und dadurch die wirtschaftliche Absicherung des überlebenden Partners schmälert (Sicherungsfunktion). Mit derartigen Klauseln soll darüber hinaus verhindert werden, dass sich einer von mehreren Abkömmlingen durch das Pflichtteilsverlangen einen Vorteil gegenüber denjenigen verschafft, die auf ihren Pflichtteil verzichten (Ausgleichsfunktion).

Die Ehepartner sind frei, zu bestimmen, welcher Tatbestand die Sanktionswirkung auslösen soll (ausführlich Radke ZEV 2001, 136 ff.; Lübbert NJW 1988, 2706, 2710 ff.). In Betracht kommen die ernst gemeinte Forderung (vgl. OLG Köln, BeckRS 2018, 25213 Rn. 16; OLG München, FGPrax 2006, 123; OLG Dresden, NJW-RR 1999, 1165), Verhandlungen über die Höhe (OLG Schleswig, ZEV 1997, 331), die Erhebung der Gestaltungsklage, das rechtskräftige Urteil oder die Pflichtteilszahlung (OLG Zweibrücken, NJW-RR 1999, 374). Eine Pflichtteilsstrafklausel kann auch dann eingreifen, wenn der Pflichtteilsberechtigte die Unwirksamkeit des gemeinschaftlichen Testaments geltend macht und seinen gesetzlichen Erbteil fordert (OLG München, NJW-RR 2011, 1164).

Die Abhängigkeit der Sanktionswirkung vom „bloßen“ Fordern des Pflichtteils führt besonders häufig zur Abgrenzung zwischen relevantem und irrelevantem Verhalten des Pflichtteilsberechtigten. Im vorliegenden Fall hatte der pflichtteilsberechtigte Abkömmling den beim ersten Erbfall der Mutter erteilten Alleinerbschein einziehen lassen wollen. Hätten die Eltern die Sanktionswirkung mit der Formulierung „wer das Testament anficht“ verknüpft, hätte dieser Beteiligte sein Schlusserbrecht verloren gehabt. In der Senatsentscheidung aus dem Jahre 2011 hatte der Senat in einem ähnlich gelagerten Fall relativ kategorisch postuliert: Eine Pflichtteilsstrafklausel kann auch dann eingreifen, wenn der Pflichtteilsberechtigte die Unwirksamkeit des gemeinschaftlichen Testaments geltend macht und seinen gesetzlichen Erbteil fordert. Mit dieser Entscheidung stellt der Senat jedoch klar, dass die Sicherungsfunktion einer Pflichtteilssanktionsklausel mehr erfordert als das bloße Bestreiten der Wirksamkeit des Testaments. Hinzukommen muss stets eine wirtschaftlich nachteilige Komponente für den überlebenden Ehepartner. In dem 2011 entschiedenen Fall hatte das Kind den gesetzlichen Erbteil gefordert, im vorliegenden Fall jedoch (noch) gar nichts. Mit Recht hat der Senat deshalb entschieden, dass ein bloßer Einziehungsantrag des dem überlebenden Ehepartner erteilten Alleinerbscheins für sich allein nicht ausreicht, um die Sanktionswirkung auszulösen. Im entschiedenen Fall fehlte also die wirtschaftlich, für den überlebenden Ehepartner nachteilige Komponente des Forderungsbegriffs.

Redaktion beck-aktuell, 19. Dezember 2018.