OLG Hamburg: Klausel in einem gemeinschaftlichen Testament, über das Erbe frei verfügen zu dürfen, ist kein Änderungsvorbehalt für die letztwilligen Verfügungen des überlebenden Beteiligten

BGB §§ 2270, 2271, 2296

Eine in einem gemeinschaftlichen Testament enthaltene Klausel, der zufolge der Überlebende „über das Erbe der oder des Erstversterbenden frei verfügen kann“, bezieht sich bei Fehlen von Anhaltspunkten für eine abweichende Auslegung nur auf die Verfügungsbefugnis unter Lebenden und steht daher einer die Schlusserben beschränkenden Anordnung einer Testamentsvollstreckung durch den Überlebenden entgegen. (amtl. Leitsatz)

OLG Hamburg, Beschluss vom 13.02.2018 - 2 W 22/17, BeckRS 2018, 22029

Anmerkung von 
JR Dr. Wolfgang Litzenburger, Notar in Mainz
 
Aus beck-fachdienst Erbrecht 10/2018 vom 29.10.2018

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Sachverhalt

Die Beteiligten streiten um die Erteilung eines von der Beschwerdeführerin beantragten Testamentsvollstrecker-Zeugnisses.

Die Beteiligten sind die ehelichen Kinder der Erblasserin und ihres vorverstorbenen Ehemannes. Die Erblasserin und ihr Ehemann haben am 21.7.1990 ein gemeinschaftliches Testament errichtet, das u.a.folgende Regelungen enthält:

„Wir setzen uns hiermit gegenseitig zu alleinigen und ausschließlichen Vollerben ein. Eine Nacherbfolge findet nicht statt; die oder der Überlebende kann über das Erbe der oder des Erstversterbenden frei verfügen. ...

Schlusserben beim Tod des Überlebenden von uns und Erben von uns beiden im Falle unseres gleichzeitigen Versterbens sind unsere Kinder mit Ausnahme unserer Tochter L …

Es ist uns bewusst, dass die Verfügungen in diesem Testament zu Lebzeiten von uns beiden einseitig nur durch notarielle Urkunde widerrufen werden können.“

Durch eigenhändiges Testament vom 16.5.2016 hat die Erblasserin Testamentsvollstreckung über ihren Nachlass angeordnet und die Beschwerdeführerin zur Testamentsvollstreckerin ernannt.

Durch Beschluss hat das Nachlassgericht den Antrag auf Erteilung des von der Beschwerdeführerin beantragten Testamentsvollstrecker-Zeugnisses zurückgewiesen. Gegen diesen Beschluss richtet sich ihre Beschwerde.

Entscheidung: Missachtung der Bindungswirkung des Testaments

Zu Recht – so der Senat - habe das Nachlassgericht die Anordnung der Testamentsvollstreckung durch das Testament der Erblasserin vom 16.5.2016 wegen Missachtung der Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments vom 21.7.1990 für unwirksam erachtet. Nach dem Tod ihres Ehemannes habe die Erblasserin ihre im gemeinschaftlichen Testament enthaltenen wechselbezüglichen Verfügungen nicht mehr widerrufen oder durch eine neue testamentarische Regelung einschränken können (§ 2271 Absatz 2 BGB). Die hier in Rede stehende Schlusserbeneinsetzung der gemeinschaftlichen Kinder beider Ehegatten sei im Verhältnis zur Einsetzung der Ehefrau als Alleinerbin des Ehemannes eine wechselbezügliche Verfügung im Sinne des § 2270 BGB.

Die Einsetzung eines Testamentsvollstreckers widerspreche dieser bindend gewordenen Schlusserbeneinsetzung und sei auch durch einen Änderungsvorbehalt im gemeinschaftlichen Testament gedeckt. Auch die Formulierung, dass die oder der Überlebende über das Erbe der oder des Erstversterbenden frei verfügen könne, beinhalte keinen Änderungsvorbehalt, sondern stelle lediglich klar, dass der überlebende Ehegatte - anders als bei der alternativ in Betracht kommenden Einsetzung des Überlebenden als Vorerben - in seiner Verfügungsbefugnis unter Lebenden nicht beschränkt werden sollte. Dies entspreche nicht nur der üblichen Auslegung entsprechender Klauseln (OLG München NJW-RR 2012, 338), sondern ergebe sich im vorliegenden Fall insbesondere auch daraus, dass es sich bei der in Rede stehenden Formulierung um den zweiten Teil eines Satzes handelt, in dessen ersten Teil auf die Nichtanordnung einer Nacherbfolge hingewiesen werde. Diese Erläuterung sei hier auch deshalb sinnvoll gewesen, weil die Eheleute in dem durch das Testament vom 21.7.1990 aufgehobenen Erbvertrag vom 21.6.1946 noch eine abweichende Gestaltung (Vor- und Nacherbschaft) gewählt hatten.

Soweit die Beschwerdeführerin meine, dass das in der Regelung enthaltene Wort „Erbe“ wegen der juristischen Beratung der Eheleute im Rechtssinne verstanden werden müsse, gehe dies schon deshalb ins Leere, weil „Erbe“ im Rechtssinne eine Person, nämlich der Rechtsnachfolger des Erblassers sei, während sich die im Testament enthaltene Formulierung der Verfügungsbefugnis über „das Erbe“ offensichtlich nicht auf eine Person, sondern auf eine Vermögensmasse beziehe. Der Begriff sei also gerade nicht im juristischen Sinne, sondern - wie in der Alltagssprache nicht unüblich - als Synonym für „Nachlass“ verwendet worden. Im Übrigen folge allein aus der Verwendung eines erbrechtlichen Begriffs nicht, dass sich die Regelung (auch) auf Verfügungen von Todes wegen erstrecken solle. Denn mit „Erbe“ (bzw. Nachlass) werde nur die Vermögensmasse bezeichnet, auf die sich die nachfolgende Aussage zur Verfügungsbefugnis beziehe. Hingegen ergebe sich daraus nicht, zu welchen Arten von Verfügungen der überlebende Ehegatte bezüglich dieser Vermögensmasse ermächtigt werden sollte.

Auch eine ergänzende Auslegung des Testaments in dem Sinne, dass der überlebende Ehegatte bei Kenntnis der inzwischen eingetretenen Gesamtsituation von den Erblassern zur Einsetzung eines Testamentsvollstreckers ermächtigt worden wäre, komme nicht in Betracht. Zwar könne die lebzeitige Verfügung zur ungleichen Vermögensverteilung der Kinder führen, doch sei es den Ehepartnern in erster Linie darum gegangen, dem Überlebenden die freie Verfügungsbefugnis zu erhalten. Außerdem sei die Einsetzung eines Testamentsvollstreckers ohnehin kein geeignetes Mittel, um eine durch vorherige Verfügungen des Erblassers unter Lebenden gefährdete gleichmäßige Verteilung des Gesamtvermögens auf die Schlusserben sicherzustellen.

Die nachträgliche Anordnung einer Testamentsvollstreckung sei auch eine der Bindungswirkung der wechselbezüglichen Regelungen im Testament zuwiderlaufende Beschränkung - hier: der Schlusserbeneinsetzung der Kinder - dar (OLG Köln NJW-RR 1991, 525; BayObLG BeckRS 2010, 27242; OLG Frankfurt BeckRS 1993, 02011 Rn. 30). Durch Einsetzung eines Testamentsvollstreckers verlören die Erben die Verfügungsbefugnis über den Nachlass und würden daher in ihren Rechten erheblich eingeschränkt.

Praxishinweis

Diese Entscheidung macht wieder einmal deutlich, wie wichtig es bei der Gestaltung eines gemeinschaftlichen Testaments und eines Erbvertrags ist, der erbrechtlichen Bindungswirkung erhöhte Aufmerksamkeit zu schenken. Völlig überzeugend legt der Senat nämlich im vorliegenden Fall dar, dass die Formulierung, wonach der überlebende Ehepartner über das Erbe frei verfügen kann, es nicht rechtfertigt, darin auch einen Änderungsvorbehalt für den überlebenden Partner zu sehen. Die Funktion dieser Formulierung sieht der Senat zutreffend in der Abgrenzung der Voll- von der Vorerbschaft, bei der die lebzeitige Verfügungsbefugnis zumindest bei unentgeltlichen Verfügungen ausgeschlossen ist.

Da es zu den Amtspflichten eines Notars gehört, den Erblasserwillen eindeutig zum Ausdruck zu bringen (§ 17 BeurkG), darf er sich nicht auf die Auslegungsregel des § 2271 BGB verlassen, sondern muss selbst ausdrücklich klarstellen, welche Verfügungen wechselbezüglich bzw. vertragsgemäß getroffen worden sind. Diese Frage, dies ist die Lehre aus dieser Entscheidung, ist von der Frage zu unterscheiden, ob der Erbe als Voll- oder nur als Vorerbe berufen ist. Manche Notare ergänzen deshalb die erwähnte Formulierung um den Zusatz „auch letztwillig“, was grundsätzlich ausreicht. Besser erscheint es jedoch, bei den einzelnen Verfügungen ausdrücklich zu bestimmen, ob sie einseitig testamentarische Wirkung haben, ob und unter welchen Bedingungen ein Partner sie ändern kann oder ob sie allenfalls durch einen Widerruf bzw. Rücktritt beseitigt werden können.

Auch die Feststellung des Senats, dass die Anordnung einer Testamentsvollstreckung durch einseitige letztwillige Verfügung eines Ehegatten eine unwirksame beeinträchtigende Verfügung der Schlusserbeneinsetzung darstellt, verdient Zustimmung. Zwar ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass dann, wenn aufgrund konkreter Anhaltspunkte anzunehmen ist, dass die erstmalige Anordnung einer Testamentsvollstreckung dem früher erklärten übereinstimmenden Willen der Ehegatten nicht zuwiderläuft, kein Widerspruch gegeben ist (OLG Köln NJW-RR 1991, 525), doch fehlen dazu im vorliegenden Fall jegliche Anhaltspunkte. Dabei ist unstreitig, dass ein Motiv, eine ungleichmäßige Verteilung des Nachlasses zwischen mehreren Miterben, eine Testamentsvollstreckung nicht rechtfertigen kann, weil der Amtsinhaber sich über die Erbquoten nicht hinwegsetzen kann, und zwar selbst dann, wenn durch vorweggenommene Erbfolgen Verschiebungen eingetreten sein sollten. Es fehlt an jedem Hinweis auf zwischen der Errichtung des gemeinschaftlichen Testaments und dem Erbfall eingetretene Umstände, die eine ergänzende Testamentsauslegung nötig machen würden (vgl. KG DNotZ 1942, 101).

Redaktion beck-aktuell, 31. Oktober 2018.