OLG Frankfurt a. M.: Auslegung einer Zuwendung «zu einem guten Zweck» als Erbeinsetzung

BGB §§ 133, 1964, 2065, 2072, 2084, 2085, 2086, 2091, 2193

Eine testamentarische Zuwendung an eine noch zu errichtende Stiftung zu einem „guten Zweck“ kann nicht als eine Erbeinsetzung der Gemeinde ausgelegt werden, in der die Erblasserin lange Jahre gewohnt hat, wenn es an weiteren konkretisierenden Hinweisen hierfür fehlt. (Leitsatz des Verfassers)

OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 04.07.2017 - 20 W 343/15, BeckRS 2017, 124884

Anmerkung von 
JR Dr. Wolfgang Litzenburger, Notar in Mainz
 
Aus beck-fachdienst Erbrecht 09/2017 vom 26.9.2017

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Sachverhalt

Mit notariellem Testament vom 08.12.1970 haben sich die Erblasserin und ihr vorverstorbener Ehemann gegenseitig zu alleinigen Erben eingesetzt, ohne allerdings weitere Verfügungen zu treffen.

Die Eltern der kinderlos verstorbenen Erblasserin hatten neben dieser noch ein weiteres Kind, den Bruder der Erblasserin; Eltern und Bruder sind bereits vorverstorben. Bei den Beteiligten zu 2) und 3) handelt es sich um die einzigen Kinder des Bruders der Erblasserin.

Die Erblasserin hat 2003 zwei inhaltsgleiche handschriftliche Testamente mit u.a. folgendem Inhalt errichtet:

„Mein letzter Wille ist es, daß nach meinem Tod aus meinem Nachlass mein Neffe … meine Nichte …,  meine Nichten … je € 10.000.- erben sollen. Meine Eigentums-Wohnungen in … sollen meistbietend verkauft werden. Mein Vermögen soll in eine Stiftung für einen guten Zweck eingehen und ein Teil zur Sanierung eines sakralen Baues. Ich hoffe, später noch nähere Anweisungen erteilen zu können. Die in meinen Wohnungen befindlichen Sachen sollen je nach Interesse unter die aufgeführten Verwandten verteilt werden, der zum Teil sehr wertvolle Schmuck ebenfalls …."

Der Beteiligte zu 4) wurde zum Nachlasspfleger mit den Wirkungskreisen Ermittlung der Erben und Sicherung und Verwaltung des Nachlasses bestellt. Dieser hat dem Nachlassgericht mitgeteilt, dass nach seiner Auslegung die Stadt …, also die Beteiligte zu 1), als Alleinerbin anzusehen sei. Die - ggfs. analoge - Anwendung des § 2072 BGB halte er für die einzige Lösung, die dem Erblasserwillen entspreche. Die Beteiligte zu 1) - in der die Erblasserin seit mehreren Jahrzehnten gewohnt habe - als Trägerin der Sozialhilfe sei demzufolge als Erbin anzusehen, versehen mit der Auflage, das Vermögen zweckentsprechend zu verwenden, insbesondere einen Teil zur Sanierung eines sakralen Baues einzusetzen.

Die Beteiligte zu 1) hat unter Bezugnahme auf diese Darlegungen des Beteiligten zu 4) die Erteilung eines Erbscheins beantragt, der sie als Alleinerbin der Erblasserin ausweisen soll. Das Nachlassgericht hat diesen Antrag zurückgewiesen.

Daraufhin haben die Beteiligten zu 2) und 3) einen Erbschein beantragt, der diese aufgrund gesetzlicher Erbfolge als Erben der Erblasserin zu je ½ ausweisen soll.  Gegen den Beschluss des Nachlassgerichts, diesen Erbschein erteilen zu wollen, hat die Beteiligte zu 1) Beschwerde eingelegt.

Rechtliche Wertung

Der Senat schließt sich der Auffassung des Nachlassgerichts an und weist die Beschwerde als unbegründet zurück

1. Testierwille

Dabei lässt der Senat offen, ob die Erblasserin überhaupt einen Testierwillen hatte. Zweifel seien – so der Senat – wegen der unbestimmten Formulierung  „Mein Vermögen soll in eine Stiftung für einen guten Zweck eingehen und ein Teil zur Sanierung eines sakralen Baues“ in Verbindung mit dem Zusatz „Ich hoffe, später noch nähere Anweisungen erteilen zu können“ angebracht. Zwar könne es sich dabei auch um einen Ergänzungsvorbehalt i.S.d. § 2086 BGB handeln, der die Wirksamkeit der Zuwendung unberührt lasse, doch fehle es bereits an einer wirksamen Einsetzung der Beteiligten zu 1) als Erbin der Erblasserin, mit welcher Erbquote auch immer.

2. Testamentsauslegung

Die Erbeinsetzung scheitere allerdings nicht an der fehlenden namentlichen Erwähnung der Beteiligten zu 1) in den Testamenten. Es genüge, wenn der Bedachte im Zeitpunkt des Erbfalls durch jede sachkundige Person anhand objektiver Kriterien bezeichnet werden könne. Der Erblasser müsse hinsichtlich des Bedachten diejenigen Angaben gemacht haben, die es jeder mit genügender Sachkunde ausgestatteten Person ermöglichten, den Bedachten aufgrund der gemachten Angaben zu bezeichnen, ohne dass dabei ein eigenes Ermessen bestimmend oder mitbestimmend ist. Für eine Willkür des Dritten dürfe kein Raum bleiben.

Derartige objektive Kriterien fehlten hier aber. Der „sakrale Bezug“ der Zuwendung weise jedenfalls nicht auf die Beteiligte zu 1) als Erbin hin. Insoweit käme eine Zweckauflage nach § 2193 BGB zur Sanierung eines zu deren Bistum gehörenden sakralen Baus oder aber zur Einbringung in eine ggfs. schon bestehende entsprechende kirchliche Stiftung oder Gründung einer solchen in Betracht.

Der Senat kann jedoch nicht erkennen, warum die Erblasserin gerade die Beteiligte zu 1) als örtlichem Träger der Sozialhilfe mit „der Sanierung eines sakralen Baues“ oder zur Bestimmung oder Gründung einer entsprechenden Stiftung betrauen sollte. Die Annahme einer entsprechenden Erbenstellung der Beteiligten zu 1) bezeichnet der Senat als „willkürlich“.

Auch eine ergänzende Auslegung führe nicht zu einer Erbeinsetzung der Beteiligten zu 1). Bereits das Vorliegen einer unbewussten, planwidrigen Lücke sei zweifelhaft, weil das Testament einen Hinweis auf spätere nähere Anweisungen enthalte. Es lasse sich nicht aufklären, ob der Erblasserin nicht bewusst gewesen sei, dass sie noch derartige nähere Anweisungen hätte geben müssen, um - jedenfalls hinsichtlich ihrer vorausgehenden Formulierung „Mein Vermögen soll in eine Stiftung für einen guten Zweck eingehen“ - überhaupt eine wirksame Erbeinsetzung vorgenommen zu haben. Im Fall einer tatsächlich nicht vorgenommenen Erbeinsetzung, könne diese auch nicht durch ergänzende Auslegung ersetzt werden. Im Wege der ergänzenden Auslegung dürfe kein Wille in das Testament hineingetragen werden, der dort nicht wenigstens andeutungsweise ausgedrückt sei. Zwar könne ein „guter Zweck“ auch in der Zuwendung an Bedürftige und sozial schwache Personen liegen, doch seien auch andere „gute Zwecke“ ebenso gut denkbar. Deshalb könne nicht mit der notwendigen Sicherheit festgestellt werden, welche inhaltliche Ergänzung die Erblasserin gewollt hätte, wenn sie tatsächlich entgegen ihrer möglichen Vorstellung eine Erbeinsetzung noch nicht vorgenommen hätte.

Eine entsprechende Anwendung der Auslegungsregel des § 2072 BGB, wonach dann, wenn der Erblasser die Armen ohne nähere Bestimmung bedacht hat, im Zweifel anzunehmen ist, dass die öffentliche Armenkasse der Gemeinde, in deren Bezirk er seinen letzten Wohnsitz gehabt hat, unter der Auflage bedacht ist, das Zugewendete unter Arme zu verteilen, lehnt der Senat ab, weil es bereits an einer Zuwendung an die Armen in diesen Testamenten fehlt.

Praxishinweis

Diese in jeder Hinsicht zutreffende Entscheidung verdient eine besondere Erwähnung, weil sie die Grenzen jeder ergänzenden Testamentsauslegung klar benennt und wahrt.

Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung muss im Rahmen der ergänzenden Testamentsauslegung mindestens gefordert werden, dass der hypothetische Erblasserwille seine Grundlage in der vom Erblasser real geäußerten Willensrichtung hat (BGH, FamRZ 1983, 380, 383; BGHZ 22, 357, 360). Mit Rücksicht auf die Formvorschriften der §§ 2232, 2247 BGB darf sich die ergänzende Auslegung dabei nicht völlig vom Wortlaut der auszulegenden Verfügung entfernen. Der Erblasser muss wenigstens das Ziel der Zuwendung in der auszulegenden Verfügung irgendwie zum Ausdruck gebracht haben (ähnlich BGH, NJW 1981, 1737). Die so festgestellte Motivation des Erblassers muss dann vom Gericht zu Ende gedacht werden (vgl. BayObLGZ, NJW 1988, 2744). Bei einem Rückschluss von getroffenen auf angeblich fehlende Verfügungen ist jedoch einschränkend zu fordern, dass die getroffene Verfügung ohne die zu ergänzende überhaupt keinen Sinn ergibt, da sich andernfalls die Auslegung völlig vom Text lösen würde (vgl. OLG Schleswig, BeckRS 2016, 19261; OLG München, BeckRS 2013, 420; OLG Schleswig, BeckRS 2013, 9366).

Auf dieser Grundlage bewegt sich die hier besprochene Entscheidung. Mit Recht stellt der Senat fest, dass es den Gerichten verwehrt ist, eine nicht erkennbare Zweckrichtung in ein Testament hineinzutragen, die dort nicht annäherungsweise eindeutig zu erkennen ist. Mit Recht stellt der Senat fest, dass jedes andere Vorgehen willkürlich wäre.

Redaktion beck-aktuell, 29. September 2017.