OLG Hamburg: Bedeutung eines formunwirksamen Testaments bei der ergänzenden Auslegung eines Vorausvermächtnisses

BGB §§ 2048, 2084, 2150

1. Die Anordnungen eines Erblassers, wonach die Miterben jeweils einen bestimmten Nachlassgegenstand ohne Wertausgleich erhalten sollen, beinhaltet neben einer Teilungsanordnung ein Vorausvermächtnis gemäß § 2150 BGB für diejenigen Erben, denen die werthöhere Eigentumswohnung zugewiesen worden ist hinsichtlich des Mehrwertes.

2. Wenn die Vorstellungen eines Erblassers über sein Nachlassvermögen bei Errichtung seines Testamentes sich im Zeitpunkt seines Todes als unzutreffend herausstellt, stellt sich die Frage, wie er testiert hätte, wenn er diese Entwicklung vorausgesehen hätte. Dabei sind auch in einem formunwirksamen Testament enthaltene Äußerungen von Bedeutung. (Leitsätze der Redaktion)

OLG Hamburg, Urteil vom 22.12.2016 - 2 U 10/16, , BeckRS 2016, 112193

Anmerkung von 
JR Dr. Wolfgang Litzenburger, Notar in Mainz
 
Aus beck-fachdienst Erbrecht 02/2017 vom 20.2.2017

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Sachverhalt

Die Parteien sind Miterben und streiten um die Auslegung des von der Erblasserin am 18.02.1999 errichteten notariellen Testaments. Darin hat sie zunächst ihre Abkömmlinge jeweils nach Stämmen zu jeweils 1/3 als Erben eingesetzt. Für den Fall, dass sich bei ihrem Tode ihre beiden Eigentumswohnungen in ihrem Nachlass befinden würden, hat sie angeordnet, dass die Eigentumswohnung in Hamburg der Kläger und ihre weitere Tochter … und die Eigentumswohnung in Travemünde die Beklagten, die beiden Kindern ihrer vorverstorbenen Tochter …, erhalten sollten, und zwar jeweils ohne Wertausgleich, wobei sie weiter verfügt hat, dass an allen restlichen Vermögenswerten die Erben entsprechend ihren Erbanteilen beteiligt sein sollen.

Der Kläger ist der Auffassung, dass die Beklagten keinen Anspruch darauf haben, dass ihnen von der Erbengemeinschaft das Eigentum an der Ferienwohnung in Travemünde als Vorausvermächtnis zu übertragen ist. Das LG hat die Klage abgewiesen.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung. Nachdem der Kläger die weitergehende Berufung zurückgenommen hat, beantragt er nunmehr u.a. festzustellen, dass die Erbengemeinschaft nicht verpflichtet ist, den Beklagten die Wohnung in Travemünde ohne Wertausgleich zu übereignen.

Rechtliche Wertung

Der Senat stellt fest, dass die Beklagten nicht berechtigt sind, von den übrigen Miterben die Übereignung der zum Nachlass gehörenden Ferienwohnung in Travemünde ohne Wertausgleich zu verlangen.

Er ist aufgrund der vom LG durchgeführten Beweisaufnahme davon überzeugt, dass die Erblasserin auch bereits bei Abfassung ihres Testamentes 1999 den Willen gehabt hat, ihre Abkömmlinge grundsätzlich gleich zu bedenken.

Nach dem Umzug der Erblasserin in ein Seniorenheim und dem Verkauf ihrer Wohnung in Hamburg hat sie nach Aussage eines Zeugen die Ungleichgewichtigkeit ihrer Anordnungen in dem notariellen Testament erkannt und den Zeugen gebeten, ein änderndes Testament auf dem Computer zu schreiben. In diesem Testament mit Datum vom 01.02.2011 hat sie als Motiv für die von ihr gewollte Änderung der Zuweisung der Eigentumswohnung in Travemünde angegeben, dass durch die Veräußerung der Eigentumswohnung in Hamburg ihre beiden Kinder sowie die Kinder ihrer verstorbenen Tochter nicht mehr in gleicher Weise bedacht wären, wenn ihre beiden Enkelkindern ohne Wertausgleich die Wohnung in Travemünde erhalten würden.

Der Senat ist davon überzeugt, dass die Erblasserin auch bereits bei Errichtung ihres notariellen Testamentes am 18.02.1999 den Willen hatte, ihre beiden Kinder sowie die Kinder ihrer vorverstorbenen Tochter in etwa gleichmäßig zu bedenken. Soweit sie ihren beiden Enkelkindern einerseits ihre Eigentumswohnung in Travemünde und andererseits ihren beiden Kindern gemeinsam ihre Wohnung in Hamburg ohne Wertausgleich zugewandt habe, sei sie davon ausgegangen, dass die Wohnung in Travemünde etwa halb so viel wert sei wie die Wohnung in Hamburg.

Es sei für eine ergänzende Auslegung ausreichend, wenn der ermittelte Wille des Erblassers im Testament wenigstens einen unvollkommenen Ausdruck gefunden habe, er dort also zumindest angedeutet sei.

Der festgestellte Wille der Erblasserin, ihre beiden Kinder und die Kinder ihrer vorverstorbenen Tochter gleichmäßig zu bedenken, könne aufgrund der Veränderungen ihres Vermögens bei ihrem Tode nicht mehr durchgeführt werden. Es widerspräche – so der Senat weiter - dem Willen der Erblasserin, wenn trotz des Verkaufs der Eigentumswohnung in Hamburg und des Verbrauchs des dafür erhaltenen Erlöses in nicht unbeträchtlicher Höhe die Beklagten weiterhin berechtigt wäre, von den Miterben die Übertragung der Eigentumswohnung in Travemünde ohne Wertausgleich zu verlangen. Vielmehr habe die Erblasserin mit ihrem formunwirksamen Testament vom 01.02.2011 gezeigt, wie ihr mutmaßlicher Wille gewesen wäre, wenn sie bei Errichtung ihres Testamentes von 1999 bedacht hätte, dass sie ihre Eigentumswohnung in Hamburg hätte verkaufen müssen, um damit die Kosten in der Seniorenresidenz zu bestreiten. Keinesfalls hätte sie gewollt, dass beide Beklagten im Ergebnis ca. 71 % ihres Nachlasses allein- und damit mehr als doppelt so viel wie zugedacht erhalten würden. Ebenso wenig hätte die Erblasserin gewollt, dass die Beklagten die Eigentumswohnung in Travemünde mit einem Wert von 122.000 EUR erhalten und die übrigen Miterben das restliche Vermögen mit einem Wert von ca. 92.181 EUR und damit alleine bereits ca. 57 % des Nachlassvermögens erhalten würden.

Praxishinweis

Dieser Fall gehört zur alltäglichen Praxis aller mit Erbrechtsfragen befassten Juristen. Nicht-Juristen verteilen i.d.R. ihr Vermögen nicht quotal, sondern gegenständlich und weisen den Zuwendungsempfängern mehr oder weniger bestimmte Vermögenswerte einzeln zu. In eigenhändig und ohne sachkundigen Rat verfassten Testamenten treten weitere Probleme deshalb auf, weil den wenigsten der Unterschied zwischen Erbschaft und Vermächtnis bekannt ist, geschweige denn die Abgrenzung eines Vorausvermächtnisses von einer Teilungsanordnung. Aber auch in notariell verfassten Testamenten wie hier lauern Gefahren, nämlich die Verschlechterung der Vermögensverhältnisse vor allem infolge des Eintritts des Pflegefalls.

Im entschiedenen Fall hat die Erblasserin zwar rechtlich einwandfrei einen Wertausgleich bei Erfüllung des Vorausvermächtnisses ausgeschlossen, jedoch keine Vorsorge für den Fall des Verkaufs einer dieser Wohnungen getroffen. Deshalb mussten die Gerichte in diesem Verfahren im Wege der ergänzenden Auslegung ermitteln, was die Erblasserin für diesen Fall, wenn sie ihn vorausgesehen hätte, angeordnet hätte. Diese Auslegung ist den Gerichten auf der Grundlage des formunwirksamen Testaments relativ leicht gefallen, denn trotz der Formunwirksamkeit der darin enthaltenen letztwilligen Verfügungen, kann das Dokument doch als auslegungsrelevanter äußerer Umstand herangezogen werden, weil dessen Inhalt auch in dem allein gültigen Testament zumindest angedeutet worden ist.

Der Erbrechtsgestalter sollte diesen Fall zum Anlass nehmen, seine Beratungspraxis bei der Formulierung von Vorausvermächtnissen bzw. von Teilungsanordnungen mit reduziertem oder ausgeschlossenem Wertausgleich kritisch zu hinterfragen:

  • Dient diese letztwillige Verfügung einem Ausgleich für eine bereits zu Lebzeiten vorgenommene Erbfolge an einen anderen Abkömmling oder dem Ausgleich besonderer Leistungen gegenüber dem Erblasser, so sollte ausdrücklich klargestellt werden, dass der Verzicht auf den Wertausgleich auch dann gelten soll, wenn die Zuwendung anderer Vermögenswerte an andere Abkömmlinge gegenstandslos werden sollte. Eine Formulierung für ein Vorausvermächtnis könnte dann so aussehen:
    „Es handelt sich um ein Vorausvermächtnis, das der Vermächtnisnehmer zusätzlich zu seinem Erbteil und ohne Anrechnung auf dieses erhält, und zwar völlig unabhängig von der Wirksamkeit oder Durchführbarkeit anderer Vermächtnisse.“
  • In allen anderen Fällen, also vor allem bei einer gegenständlichen Verteilung außerhalb der Erbquoten sollte dagegen ausdrücklich bestimmt werden, wie sich der nachträgliche Wegfall eines Zuwendungsgegenstands auf die Wirksamkeit bzw. Durchführbarkeit der anderen Vermächtnisse bzw. Teilungsanordnungen auswirkt.

Entgegen dem allgemein bekannten Gestaltungsgrundsatz, Motive nicht in Verfügungen von Todes wegen aufzunehmen, empfiehlt sich in diesen Fällen daher, die Motivation des Erblassers darin doch zum Ausdruck zu bringen, und zwar am besten durch klare Wirkungs- und Bedingungsanordnungen.

Redaktion beck-aktuell, 23. Februar 2017.