BAG: Eine Drohung mit Suizid und/oder Amoklauf kann die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses begründen

BGB §§ 134, 241 II, 626 I, II; StGB § 241; SGB IX §§ 84 II 3, 85, 91; TV-H § 34 II 1; ArbGG § 64 VI 1; GG Art. 1 I, 2 I; BDSG § 1 II; HDSG §§ 2 II, 34 I 1; BPersVG § 108 II; HPVG § 78 II

1. Eine Selbstmorddrohung des Arbeitnehmers im Zustand freier Willensbetätigung kann einen wichtigen Grund zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses darstellen, soweit er mit der Drohung versucht, Druck auf den Arbeitgeber auszuüben, um seine Interessen durchzusetzen.

2. Auch eine Amokdrohung kommt als „an sich“ wichtiger Grund i.S.d. § 626 I BGB in Betracht, da ein solches Verhalten eine erhebliche Nebenpflichtverletzung des Arbeitnehmers nach § 241 II BGB darstellt.

BAG, Urteil vom 29.06.2017 - 2 AZR 47/16 (LAG Hessen), BeckRS 2017, 131400

Anmerkung von
Rechtsanwalt Dr. Stefan Lingemann, Gleiss Lutz, Berlin

Aus beck-fachdienst Arbeitsrecht 49/2017 vom 14.12.2017

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Sachverhalt

Der Kläger war seit Juni 1992 bei dem beklagten Land als Straßenwärter tätig. Er hat tariflichen Sonderkündigungsschutz. Seit dem 08.07.2013 ist er einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt. Nach längeren Krankheitszeiten wendete der Kläger sich gegen eine Beschäftigung als Straßenwärter in der Kolonne. Aus einer stationären psychosomatischen Behandlung im Frühjahr 2013 wurde er als arbeitsunfähig für die Tätigkeit als Straßenwärter entlassen.

Im Rahmen eines Gespräches bei Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements („bEM“) soll der Kläger nach dem Beklagtenvortrag erklärt haben, es bleibe ihm nichts anderes übrig als wieder in eine Meisterei zu gehen. Er könne aber nicht garantieren, dass er nicht wieder krank werde oder sich umbringe oder Amok laufen werde. Gleichzeitig habe er auf seine Mitgliedschaft im Schützenverein und drauf verwiesen, dass er „zum Glück“ „noch nicht“ über einen Waffenschein verfüge.

Nach Zustimmung des Integrationsamts, Beteiligung des Personalrats sowie Unterrichtung der Schwerbehindertenvertretung kündigte das beklagte Land das Arbeitsverhältnis außerordentlich mit sofortiger Wirkung.

Dagegen wendet sich die Klage. Das ArbG wies sie ab, das LAG gab ihr statt.

Entscheidung

Die Revision des beklagten Landes hat im Sinne der Zurückverweisung Erfolg.

Die Ankündigung einer zukünftigen Erkrankung könne eine fristlose Kündigung rechtfertigen, wenn der Arbeitnehmer erkennen lässt, dass er bereit sei, seine Rechte nach dem EFZG zu missbrauchen, um sich einen unberechtigten Vorteil zu verschaffen.

Auch die unverhohlene Ankündigung eines Suizids mit dem Ziel, den Arbeitgeber zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung zu bestimmen, könne einen Grund für eine fristlose Kündigung darstellen.

Dasselbe gelte für die Drohung mit einem Amoklauf. Darauf, ob die Drohung ernst gemeint gewesen sei, komme es nicht an, sofern sie nach ihrem objektiven Erklärungsgehalt bei einem „normal“ empfindenden Menschen den Eindruck der Ernstlichkeit erwecke und der Drohende darauf abziele.

Anders als das LAG sah der 2. Senat in dem Gespräch im Rahmen des bEM auch keine besonders geschützte Situation. Die Zuerkennung eines gesteigerten kündigungsrechtlichen Bestandsschutzinteresse liefe im Gegenteil den Zwecken des bEM gerade zuwider: Das bEM diene einer fairen und sachorientierten Suche nach Möglichkeiten zur Vermeidung der Arbeitsunfähigkeit; der Arbeitnehmer dürfe nicht versuchen, diese mit widerrechtlichen Drohungen für sich positiv zu beeinflussen.

Die Verwertung einer solchen Drohung verstoße auch nicht gegen Persönlichkeitsrechte oder gegen Datenschutzrecht, schon weil der Arbeitnehmer die Drohungen von sich aus erklärt habe und sie daher nicht als Daten „erhoben“ worden seien.

Da die streitgegenständlichen Äußerungen zum Teil streitig waren, verwies das BAG die Sache zurück.

Praxishinweis

Der Entscheidung ist zuzustimmen. Dass die Ankündigung von Krankheit eine fristlose Kündigung rechtfertigen kann, ist seit langem ständige Rechtsprechung, wobei Hintergrund hier die Ankündigung ist, sich ungerechtfertigt Vermögensvorteile zu verschaffen. Die Androhung eines Amoklaufs oder Suizids zielt stattdessen darauf, die Beteiligten in Angst und Schrecken zu versetzen. Das alleine dürfte schon ausreichen, erst recht aber, wie der Senat zutreffend ausführt, wenn damit auch noch persönliche Vorteile erreicht werden sollen.

Redaktion beck-aktuell, 14. Dezember 2017.