EuGH: Mindestehedauerklausel ist keine Diskriminierung im unionsrechtlichen Sinne

EU-Grundrechte-Charta Art. 21; RL 2000/78/EG Art. 1, 2

1. Eine Mindestehedauerklausel von einem Jahr stellt nach unionsrechtlichem Maßstab keine Diskriminierung wegen eines geschützten Merkmals dar.

2. Die Dauer einer der Ehe vorangehenden nichtehelichen Lebensgemeinschaft muss für die Berechnung einer Mindestehedauer nicht berücksichtigt werden.

EuGH, Urteil vom 19.12.2019 - C-460/18 P (EuG), BeckRS 2019, 32149

Anmerkung von
RA Dr. Sebastian Ernst, Gleiss Lutz, Stuttgart

Aus beck-fachdienst Arbeitsrecht 01/2020 vom 09.01.2020

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Sachverhalt

Der Kläger verfolgte zweitinstanzlich vor dem EuGH u.a. die Gewährung einer Hinterbliebenenversorgung nach dem Statut der Beamten der Europäischen Union. Dieses gewährte für überlebende Ehegatten von EU-Beamten eine Hinterbliebenenversorgung, sofern die Ehe mindestens ein Jahr gedauert hat. Der Kläger lebte mit seiner späteren Ehefrau, Frau N., ab 1994 in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft. Ab 2005 war Frau N. als Beamtin für die EU-Kommission tätig. Am 9.5.2014 heirateten der Kläger und Frau N. Frau N. verstarb am 11.4.2015. Der Kläger verlangte daraufhin eine Hinterbliebenenversorgung, die ihm die EU-Kommission unter Verweis auf die notwendige Mindestehedauer von einem Jahr verwehrte.

Entscheidung

Das Rechtsmittel des Klägers hatte vor dem EuGH keinen Erfolg. Die Mindestehedauerklausel stelle keine Diskriminierung i.S.d. primärrechtlichen Diskriminierungsverbots gem. Art. 21 EU-Grundrechte-Charta dar. Dieses verlange, dass unterschiedliche Sachverhalte nicht gleich und gleiche Sachverhalte nicht unterschiedlich behandelt würden, sofern eine solche Behandlung nicht objektiv gerechtfertigt sei. Ohne dabei auf ein konkretes Merkmal des Art. 21 EU-Grundrechte-Charta abzustellen, sah der EuGH die Mindestehedauerklausel nicht als Diskriminierung von unehelichen Lebensgemeinschaften gegenüber Ehen. Ehe und nichteheliche Lebensgemeinschaften wiesen zwar gewisse Ähnlichkeiten auf, seien jedoch aufgrund ihrer unterschiedlichen Rechtsnatur nicht miteinander gleichzusetzen und müssten daher nicht gleichgestellt werden. Anderes gelte für Rechtsinstitute einzelner Rechtsordnungen, die eheähnliche Verpflichtungen statuierten, wie die eingetragene Lebenspartnerschaften (EuGH, FD-ArbR 2008, 267918 m. Anm. Arnold). Im Übrigen sei das Verbot von Betrug und Rechtsmissbrauch ein allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts. Ehen, die nur der Begründung von ehebedingten Versorgungsansprüchen dienten, dürften deshalb zulässigerweise von der Hinterbliebenenversorgung ausgeschlossen werden.

Obwohl der EuGH andeutungsweise erkennen ließ, dass er die Gestaltung unter allen Merkmalen des Art. 21 EU-Grundrechte-Charta überprüft hat (Rn. 67), äußerte er sich nicht ausdrücklich zu einer möglichen Diskriminierung aufgrund von weiteren Merkmalen.

Praxishinweis

Die Entscheidung hat über das Verhältnis von EU-Beamten hinaus auch für Versorgungszusagen privater Arbeitgeber Bedeutung. Art. 21 EU-Grundrechte-Charta ist die primärrechtliche Grundlage für die dem AGG zugrundeliegende Richtlinie RL 2000/78/EG und bestimmt daher maßgeblich dessen Reichweite. Unter dem Prüfungsmaßstab des AGG gelangte das LAG-Schleswig-Holstein in einer jüngeren Entscheidung folgerichtig zu dem Ergebnis, dass eine Mindestehedauerklausel von zwei Jahren keine mittelbare Diskriminierung aufgrund des Alters darstellt (LAG Schleswig-Holstein, ArbRAktuell 2019, 564 m. Anm. Seeger). Die Entscheidung bezog sich dabei auf eine Versorgungszusage in Gestalt einer Betriebsvereinbarung. Diese sind vom Anwendungsbereich der AGB-Kontrolle ausgenommen, § 310 IV 1 BGB.

Unter dem Prüfungsmaßstab der AGB-Inhaltskontrolle erklärte dagegen das BAG eine Mindestehedauerklausel von zehn Jahren für unwirksam (BAG, FD-ArbR 2019, 417680 m. Anm. Diller). Eine derart lange Mindestehedauer stelle eine unangemessene Benachteiligung dar. Parallelgesetzliche Bestimmungen aus dem Recht der gesetzlichen Rentenversicherung, § 46 IIa SGB VI, sähen dagegen deutlich kürzere Zeiträume für die Mindestehedauer vor, um Versorgungsehen auszuschließen. Im Ergebnis ließ das BAG offen, ob eine Anknüpfung an die Ehedauer überhaupt zulässig sei.

Mit der Entscheidung des EuGH und der des LAG Schleswig-Holstein gibt es nun zwei jüngere Judikate, die – unter abweichendem Prüfungsmaßstab – zumindest kurze Mindestehedauerklauseln von ein bis zwei Jahren für wirksam halten. Das BAG wird sich in der Revision gegen die Entscheidung des LAG-Schleswig-Holstein hiermit zu befassen haben (anhängig unter 3 AZN 1255/19).

Redaktion beck-aktuell, 10. Januar 2020.