BAG: Späteheklausel in der Hinterbliebenenversorgung

AGG § 10

Eine Späteheklausel, wonach bei Verheiratung nach dem 65. Lebensjahr keine Hinterbliebenenversorgung gezahlt ist, ist wirksam.

BAG, Urteil vom 14.11.2017 - 3 AZR 781/16 (LAG Düsseldorf), BeckRS 2017, 142367

Anmerkung von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Martin Diller, Gleiss Lutz, Stuttgart

Aus beck-fachdienst Arbeitsrecht 11/2018 vom 22.03.2018

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Sachverhalt

Der Ehemann der Klägerin ging im Januar 1992 in Rente, nachdem er das 65. Lebensjahr erreicht hatte. Die für ihn maßgebliche Versorgungsordnung des Essener Verbandes sah vor, dass keine Hinterbliebenenrente anfiel, wenn der Verstorbene bei der Eheschließung 65 oder älter war oder mehr als 25 Jahre älter als der Ehegatte. Seine erste Ehefrau starb im Jahr 2001. 2007 heiratete er erneut, bevor er im August 2014 starb. Die klagende zweite Ehefrau machte geltend, die Späteheklausel in der Leistungsordnung des Essener Verbands sei wegen Altersdiskriminierung unwirksam.

Rechtliche Würdigung

Die Klage hatte beim BAG keinen Erfolg. Das BAG hielt die Späteheklausel für wirksam. Zwar sah der 3. Senat in der Klausel eine unmittelbare Ungleichbehandlung wegen des Alters, diese beziehe sich aber gerade nicht auf die hinterbliebene Ehefrau, sondern auf den verstorbenen Mitarbeiter, da für die Ungleichbehandlung auf den Beschäftigten i.S.v. § 6 I AGG abgestellt werden müsse (insofern übereinstimmend mit BAG, FD-ArbR 2015, 371656 m. Anm. Bauer). Die Regelung führe für ihn letztlich dazu, dass er sich anderweitig um die Absicherung seiner Hinterbliebenen kümmern müsse. Davon ungeachtet, dass er zu dieser anderweitigen Absicherung rechtlich nicht verpflichtet sei, ergebe sich die weniger günstige Behandlung hier aus einer typisierenden Betrachtung (a.A. noch LAG Baden-Württemberg, ArbRAktuell 2017, 368 m. Anm. Beck).

Allerdings könne an der früheren Rechtsprechung nicht festgehalten werden, wonach § 10 S. 3 Nr. 4 AGG nur die Alters- und Invaliditätsversorgung erfasse (so noch BAG, FD-ArbR 2015, 371656). Denn in seinem Urteil „Parris“ habe der EuGH mittlerweile entschieden, dass eine Hinterbliebenenversorgung, die an die Altersrente des Arbeitnehmers anknüpft und sich in ihrer Höhe nach der Höhe der Altersrente richtet, eine Form der Altersrente i.S.v. Art. 6 II der Richtlinie 2000/78/EG darstelle (EuGH, NZA 2017, 233). Der Wunsch des Arbeitgebers, seine Belastungen aus der Hinterbliebenenversorgung zu begrenzen und kalkulierbar zu machen, sei jedoch ein legitimes Ziel i.S.v. § 10 S. 1 AGG.

Dennoch seien solche Altersgrenzen nach § 10 S. 3 Nr. 4 AGG zwar nun grundsätzlich, aber eben nicht immer zulässig. Es müsse hier – insoweit abweichend vom EuGH – nach § 10 S. 2 AGG geprüft werden, ob die konkrete Altersgrenze erforderlich und angemessen ist. Die konkret zu beurteilende Altersgrenze von 65 Jahren sei zulässig, da diese Altersgrenze auch in § 2 I BetrAVG für die Berechnung der unverfallbaren Anwartschaft gelte und sie sich deshalb an einem Strukturprinzip des Betriebsrentenrechts orientiere.

Nicht einschlägig sei auch die Härtefallklausel in der Versorgungsordnung. Zwar dürfe der Arbeitgeber über das Vorliegen bzw. Nichtvorliegen eines Härtefalls nur im Rahmen billigen Ermessens entscheiden (§ 315 BGB). Es seien jedoch keine Umstände ersichtlich, die einen Härtefall begründen könnten. Allein die Wiederheirat nach dem Tod eines Ehepartners sei kein besonders gelagerter Einzelfall.

Praxishinweis

In Reaktion auf die EuGH-Entscheidung „Parris“ gibt das BAG seine erst 2015 getroffene Grundsatzentscheidung gegen die Zulässigkeit von altersabhängigen Späteheklauseln auf (FD-ArbR 2015, 371656). Die ohnehin schwer nachvollziehbare Rechtsprechung des 3. Senats zur Hinterbliebenenversorgung (ausführlich dazu Diller, BetrAV 2016, 469) wird durch die vorliegende Entscheidung noch unübersichtlicher.

Hinzu kommt, dass der Senat jüngst auch die – im vorliegenden Fall nicht entscheidungserhebliche – Altersabstandsklausel gebilligt hat (ArbRAktuell 2018, 121 m. Anm. Seeger). Abzuwarten bleibt, ob das nun eine generelle Abkehr von der restriktiven Linie gegen altersbezogenen Klauseln in der Hinterbliebenenversorgung einleitet und zu welchen Ergebnissen die divergierende Spruchpraxis von BAG und EuGH hier letztlich führen wird.

Für die Praxis lässt das Urteil viele Fragen offen. Unklar ist insbesondere, ob die jetzt vorliegende Entscheidung bedeutet, dass auch solche Späteheklauseln zulässig sind, die auf ein geringeres Alter als 65 für die Eheschließung abstellen.

Redaktion beck-aktuell, 26. März 2018.