BAG: Unangemessene Benachteiligung des Arbeitnehmers aufgrund dreijähriger Kündigungsfrist in AGB

BGB § 307 I 1, 622 VI; TzBfG § 15 IV

Wird die gesetzliche Kündigungsfrist für den Arbeitnehmer in AGB erheblich verlängert, kann die Klausel wegen unangemessener Benachteiligung entgegen den Geboten von Treu und Glauben gem. § 307 I 1 BGB unwirksam sein, auch wenn die Kündigungsfrist für den Arbeitgeber in gleicher Weise verlängert wird.

BAG, Urteil vom 26.10.2017 - 6 AZR 158/16 (LAG Sachsen)

Anmerkung von
Rechtsanwalt Dr. Stefan Lingemann, Gleiss Lutz, Berlin

Aus beck-fachdienst Arbeitsrecht 45/2017 vom 16.11.2017

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Sachverhalt

Die Klägerin beschäftigte den Beklagten seit Dezember 2009 in ihrer Leipziger Niederlassung als Speditionskaufmann. Im Juni 2012 unterzeichneten die Parteien eine Zusatzvereinbarung, die vorsah, dass sich die gesetzliche Kündigungsfrist für beide Seiten auf drei Jahre zum Monatsende verlängert. Außerdem sah sie eine Erhöhung des monatlichen Bruttogehalts von 1.400 EUR auf 2.400 EUR vor. Das Entgelt sollte im Übrigen bis zum 30.5.2015 nicht weiter erhöht werden und bei späteren Neufestsetzungen wieder mindestens 2 Jahre unverändert bleiben.

Nachdem ein Kollege des Beklagten festgestellt hatte, dass auf den Computern der Niederlassung im Hintergrund das zur Überwachung des Arbeitsverhaltens geeignete Programm „PC Agent“ installiert war, kündigte der Beklagte am 24.12.2014 das Arbeitsverhältnis zum 31.01.2015. Die Klägerin beantragt die gerichtliche Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis bis zum 31.12.2017 fortbesteht. Das LAG hat die Klage abgewiesen.

Entscheidung

Die Revision der Klägerin hatte keinen Erfolg. Das Arbeitsverhältnis der Parteien besteht nicht bis zum 31.12.2017 fort.

Bei der Verlängerung der Kündigungsfrist handele es sich um eine Allgemeine Geschäftsbedingung. Diese benachteilige den Beklagten entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen. Die Klausel sei deshalb nach § 307 I 1 BGB unwirksam.

Bei einer vom Arbeitgeber vorformulierten Kündigungsfrist, die die Grenzen des § 622 VI BGB und des § 15 IV TzBfG einhält, aber wesentlich länger ist als die gesetzliche Regelfrist des § 622 I BGB, sei nach Abwägung aller Umstände des Einzelfalls unter Beachtung von Art. 12 I GG zu prüfen, ob die verlängerte Frist eine unangemessene Beschränkung der beruflichen Bewegungsfreiheit darstelle. Trotz der beiderseitigen Verlängerung sei hier eine derartige unausgewogene Gestaltung zu bejahen: Der Nachteil für den beklagten Arbeitnehmer werde nicht durch die Gehaltserhöhung aufgewogen, zumal hierdurch das Vergütungsniveau jeweils langfristig eingefroren werde.

Mit der Entscheidung, die bisher nur als  Pressemitteilung vorliegt (FD-ArbR 2017, 395822), schließt sich der 6. Senat im Ergebnis der Vorinstanz an. Das LAG (BeckRS 2016, 069251) hatte argumentiert, dass die dreijährige Kündigungsfrist den Arbeitnehmer bei der Arbeitsplatzsuche erheblich einschränke. Die Einstellungstermine lägen regelmäßig nur geringfügig in der Zukunft, sodass eine sinnvolle Nutzung einer über ein Jahr hinausgehenden Kündigungsfrist für Bewerbungen bei einer Eigenkündigung ausscheide. In der Praxis führe eine dreijährige Kündigungsfrist dazu, dass der Arbeitnehmer einen nahtlosen Übergang in ein neues Arbeitsverhältnis nicht planen könne.

Eine weitere Beeinträchtigung der Interessen des Arbeitnehmers ergebe sich daraus, dass der Arbeitgeber die Möglichkeit hatte, den Arbeitnehmer ab Zugang der Kündigung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist unter Fortzahlung der Vergütung von der Arbeitsleistung freizustellen. Eine mögliche dreijährige Untätigkeit verschlechtere zusätzlich die Vermittlungschancen auf dem Arbeitsmarkt. Die Klausel benachteilige den Arbeitnehmer daher unangemessen gem. § 307 II Nr. 1 BGB. Es bleibt abzuwarten, ob sich das BAG auch in der Argumentation dem LAG anschließt.

Praxishinweis

Kündigungsfristen sollen dem Arbeitnehmer Zeit gewähren, damit er einen neuen Arbeitsplatz finden kann. Ist  eine lange Kündigungsfrist für den Arbeitnehmer bei einer Arbeitgeberkündigung i.d.R. vorteilhaft, kann sie bei einer Eigenkündigung in der Tat ins Gegenteil umschlagen, umso mehr, wenn der Arbeitnehmer freigestellt werden kann.

Die Balance zwischen dem Vorteil bei der Arbeitgeberkündigung und dem Nachteil bei der Eigenkündigung zu finden ist nicht einfach: Die vom LAG angesprochene Jahresgrenze erscheint – jedenfalls außerhalb von Führungskräften und Organen – vernünftig. Es wäre zu begrüßen, wenn die Urteilsgründe sich auch dazu verhalten, ob sie als Richtwert dienen kann.

Redaktion beck-aktuell, 20. November 2017.