BAG: Konsum «harter» Drogen rechtfertigt außerordentliche Kündigung eines Berufskraftfahrers auch ohne konkrete Beeinträchtigung seiner Fahrtüchtigkeit

BGB §§ 241 II, 626 I, II 1, 2

Die Einnahme von Amphetamin und Methamphetamin kann die außerordentliche Kündigung eines Berufskraftfahrers auch dann rechtfertigen, wenn nicht feststeht, dass die Fahrtüchtigkeit bei von ihm durchgeführten Fahrten konkret beeinträchtigt war.

BAG, Urteil vom 20.10.2016 - 6 AZR 471/15 (LAG Nürnberg), BeckRS 2016, 74469

Anmerkung von 
Rechtsanwalt Dr. Stefan Lingemann, Gleiss Lutz, Berlin

Aus beck-fachdienst Arbeitsrecht 01/2017 vom 12.01.2017

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Sachverhalt

Der Kläger war bei dem Beklagten als Berufskraftfahrer beschäftigt. Der Beklagte betreibt mit weniger als 10 Arbeitnehmern ein Transportunternehmen, mit dem er für seinen einzigen Kunden, einen Automobilhersteller, mit schweren Lastkraftwagen „Just-in-time“-Lieferungen durchführt.

Am Samstag, 11.10.2014, nahm der Kläger Amphetamin und Metamphetaim („Crystal Meth“), also „harte“ Drogen, ein. Am Montag, 13.10.2014, ab 4 Uhr führte er planmäßig Fahrten durch. Am 14.10.2014 wurde er mit seinem privaten PKW von der Polizei kontrolliert und einem „Drogenwischtest“ unterzogen, der positiv ausfiel. Am selben Tag teilte er dem Beklagten mit, dass er die Frühschicht ab 4 Uhr am kommenden Tag nicht fahren könne, da er seinen Führerschein nicht finde und die Polizei ihm gesagt habe, er dürfe daher nicht fahren. Auf dringende Bitte des Beklagten führte der Kläger die Tour schließlich doch durch.

Zwölf Tage sprach der Beklagte den Kläger auf das Telefonat vom 14.10.2014 an und erklärte, es könne nicht sein, dass die Polizei ein Fahrverbot ausspreche, nur weil man seinen Führerschein nicht vorlegen könne. Daraufhin räumte der Kläger den positiven Drogenwischtest vom 14.10.2014 ein. Am Folgetag kündigte der Beklagte dem Kläger fristlos insbesondere wegen des illegalen Betäubungsmittelkonsum sowie dem Versuch, die entsprechenden Umstände vor dem Beklagten zu verheimlichen.

Der Kläger begehrt die Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch fristlose Kündigung beendet worden ist. Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben.

Entscheidung

Die Revision des Beklagten hatte Erfolg. Die fristlose Kündigung war gem. § 626 I BGB begründet:

Bei auch nur einmaliger Einnahme „harter“ Drogen ist eine Person gem. Nr. 9.1 der Anlage 4 zu den §§ 13, 14 FeV unabhängig von der Häufigkeit des Konsums, von der Höhe der Betäubungsmittelkonzentration, von einer Teilnahme am Straßenverkehr in berauschtem Zustand und vom Vorliegen konkreter Ausfallerscheinungen nicht mehr zum Führen von Fahrzeugen geeignet; ihr ist dann zwingend die Fahrerlaubnis zu entziehen, § 1 I 1 StVG, § 46 III, §§ 11-14 FeV. Amphetamin und Metamphetamin zählen zu diesen Drogen. Durch deren Einnahme, so der 6. Senat, verletzt der Berufskraftfahrer daher auch gravierend seine arbeitsvertragliche Nebenpflicht aus § 241 II BGB, seine Fähigkeit zur sicheren Erbringung der Arbeitsleistung durch eigenes, auch außerhalb der Arbeitszeit liegendes, Verhalten nicht einzuschränken. Das begründe einen wichtigen Kündigungsgrund „an sich“ i.S.v. § 626 I BGB. Die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch nur bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist sei dem Beklagten nicht mehr zumutbar gewesen. Zu berücksichtigen sei auch der mögliche Verlust seines gesetzlichen Unfallversicherungsschutzes sowie ein möglicher Verlust der Aufträge seines einzigen Kunden. Zugunsten des Klägers spreche nicht, dass es keinen Unfall gegeben habe, da dies ein eher zufälliger Umstand sei.

Auch liege ein wichtiger Grund „an sich“ darin, dass der Kläger gegenüber dem Beklagten den positiven Drogenwischtest verschwiegen und ihn damit entgegen seiner Pflicht aus § 241 II BGB nicht über voraussehbare Gefahren unterrichtet habe.

Jedenfalls bei einer Gesamtbetrachtung liege ein wichtiger Grund i.S.v. § 626 I BGB vor.

Eine vorherige Abmahnung sei aufgrund der Schwere der Pflichtverstöße in beiden Fällen entbehrlich gewesen.

Die Interessenabwägung führe bei einer nur einjährigen Betriebszugehörigkeit zu keiner abweichenden Bewertung.

Praxishinweis

Das Straßenverkehrsrecht sieht im Konsum harter Drogen zutreffend eine massive abstrakte Gefahr für die Sicherheit des Straßenverkehrs. Dass der Senat diese Wertung auf das Arbeitsverhältnis überträgt, ist nur konsequent, denn dort bestehen aufgrund der vertraglichen Bindung sogar gesteigerte Nebenpflichten zur Vermeidung solcher Risiken.

Redaktion beck-aktuell, 16. Januar 2017.