BAG: Heimarbeit auch bei qualifizierter Tätigkeit

HAG § 2 I; HAG i.d.F. vom 14.03.1951 (a.F.) § 2 I; GewO § 106; BGB §§ 662, 665; ZPO § 256

1. Der Arbeitnehmerstatus eines Programmierers im Home Office hängt davon ab, ob er seine Tätigkeit im Wesentlichen frei bestimmen und seine Arbeitszeit gestalten kann.

2. Auch eine qualifizierte Tätigkeit kann sich als Heimarbeitsverhältnis i.S.d. § 2 I HAG darstellen. Heimarbeit ist nicht auf gewerbliche oder diesen vergleichbare Tätigkeiten beschränkt.

BAG, Urteil vom 14.06.2016 - 9 AZR 305/15 (LAG Hessen), BeckRS 2016, 74175

Anmerkung von 
Rechtsanwalt Dr. Stefan Lingemann, Gleiss Lutz, Berlin

Aus beck-fachdienst Arbeitsrecht 49/2015 vom 15.12.2016

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Sachverhalt

Der Kläger ist Programmierer im Bereich Bauwesen. Zwischen 1989 und 1992 war er als Arbeitnehmer bei der Beklagten beschäftigt. Im Zuge eines Umzugs kündigte der Kläger das Arbeitsverhältnis. Die Parteien setzten die Zusammenarbeit aber auf der Grundlage eines freien Dienstvertrages fort. Der Kläger arbeitete nunmehr gegen eine Stundenvergütung von zu Hause aus. Bei seiner Tätigkeit nutzte der Kläger seine eigene Hardware und griff lediglich auf das Betriebssystem der Beklagten zurück. Der Kläger hatte in regelmäßigen Abständen Tätigkeitsberichte an die Beklagte zu senden. Zudem bestand für den Kläger die Möglichkeit, unentgeltlich an Fortbildungsveranstaltungen der Beklagten teilzunehmen.

Mit Schreiben vom 12.08.2013 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass sie ihren Betrieb zum Ende des Jahres einstellen werde. Der Kläger müsse daher damit rechnen, zukünftig keine Aufträge mehr zu erhalten. Der Kläger erhob Klage auf Feststellung eines Arbeitsverhältnisses und Kündigungsschutzklage sowie hilfsweise Klage auf Feststellung eines Heimarbeitsverhältnisses und darauf bezogene Kündigungsschutzklage. Das ArbG wies die Klage ab. Das LAG gab der Berufung des Klägers statt. Die Revision der Beklagten hatte nur teilweise Erfolg.

Entscheidung

Das BAG hob das Berufungsurteil auf, soweit dieses festgestellt hatte, dass zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis bestanden habe. Zwischen den Parteien habe kein Arbeitsverhältnis bestanden, da der Kläger nicht in persönlicher Abhängigkeit tätig geworden sei.

Die Beklagte habe dem Kläger zu keinem Zeitpunkt fachliche Weisungen erteilt. Auch eine zeitliche und örtliche Weisungsgebundenheit sei nicht feststellbar, der Kläger habe frei über den Umfang seiner Tätigkeit bestimmen können und auch im Falle einer Abwesenheit nicht der Zustimmung der Beklagten bedurft. Ein Abzug für Pausenzeiten falle demgegenüber nicht ins Gewicht, weil er auf freiwilliger Basis erfolgt sei. Unerheblich sei auch, dass der Kläger Berichte an die Beklagte habe senden müssen; derartige Auskunftspflichten bestünden auch in freien Dienstverhältnissen und seien daher gerade kein Charakteristikum des Arbeitsverhältnisses. Zudem habe der Kläger Aufträge der Beklagten auch ablehnen können. Es fehle auch an einer Eingliederung des Klägers; dass er sich mit den Mitarbeitern der Beklagten habe absprechen müsse, spreche nicht zwingend für eine Eingliederung. Unerheblich sei, ob der Kläger unentgeltlich an Fortbildungen der Beklagten habe teilnehmen können, denn eine Teilnahmepflicht habe nicht bestanden.

Zwischen den Parteien habe aber ein Heimarbeitsverhältnis i.S.d. § 2 HAG bestanden. Die Tätigkeit des Klägers sei auf Dauer angelegt gewesen, habe zu dessen Lebensunterhalt beigetragen und sei ausschließlich im wirtschaftlichen Interesse der Beklagten erfolgt. Dass es sich hierbei um eine höherwertige Tätigkeit gehandelt habe, die der Kläger mithilfe eigener Betriebsmittel ausgeführt habe, stehe einem Heimarbeitsverhältnis nicht entgegen. Anders als die Vorgängervorschrift des § 2 I HAG 1951 setze § 2 I HAG nämlich nicht mehr eine „gewerbliche“ Tätigkeit, sondern nur noch eine „erwerbmäßige“ voraus.  Auch sei eine besondere Schutzbedürftigkeit des Heimarbeitnehmers für ein Heimarbeitsverhältnis nicht erforderlich. Eine Beschränkung auf einfache Tätigkeiten sei weder dem Gesetz noch den Gesetzesmaterialien zu entnehmen. Unerheblich seien auch der zeitliche Umfang der Tätigkeit, die Höhe des Verdienstes, die fehlende Gewerbeanmeldung und die Möglichkeit, eigene Mitarbeiter einzusetzen, solange der Kläger seine Tätigkeit tatsächlich persönlich erbracht habe. Zudem sei der Kläger nicht für den allgemeinen Absatzmarkt tätig gewesen.

Das Heimarbeitsverhältnis sei allerdings nicht durch das Schreiben vom 12.08.2013 beendet worden. Denn die bloße Mitteilung, den Betrieb zu einem bestimmten Zeitpunkt stillzulegen, bringe nicht eindeutig zum Ausdruck, das Vertragsverhältnis für die Zukunft lösen zu wollen. Sie reiche daher als Kündigung nicht aus.

Praxishinweis

Die Entscheidung schafft Klarheit, was genau die Voraussetzungen für ein Heimarbeitsverhältnis nach neuerer Rechtslage sind. Dabei neigt der Senat zu einem weiten Anwendungsbereich.

Redaktion beck-aktuell, 15. Dezember 2016.