BAG: Ersatz eines Steuerschadens wegen Zahlung der Abfindung vor Fälligkeit

BGB §§ 133, 157, 271 II, 280 I

Will ein Arbeitnehmer aus steuerlichen Gründen eine Abfindung erst zu einem bestimmten Zeitpunkt erhalten, so muss er dies mit dem Arbeitgeber verbindlich vereinbaren.

BAG, Urteil vom 23.06.2016 - 8 AZR 757/14 (LAG München), BeckRS 2016, 73935

Anmerkung von 
Rechtsanwalt Dr. Frank Merten, Gleiss Lutz, Stuttgart

Aus beck-fachdienst Arbeitsrecht 47/2015 vom 1.12.2016

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Sachverhalt

Die Beklagte hatte das Arbeitsverhältnis des Klägers gekündigt. Im anschließenden Rechtsstreit schlossen die Parteien am 19.04.2011 einen Vergleich, der regelte, dass das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des 31.12.2011 enden wird. Dem Kläger war vorbehalten, das Arbeitsverhältnis vorzeitig zu beenden; in diesem Fall sollte sich die Abfindung um die frei werdenden Vergütungszahlungen erhöhen. Gezahlt werden sollte die Abfindung „mit dem regulären Gehaltslauf des auf den Beendigungsmonat folgenden Kalendermonats“. Der Kläger schied zum 31.12.2011 aus dem Arbeitsverhältnis aus. Die Beklagte rechnete die Abfindung zusammen mit dem Entgelt für den Monat Dezember 2011 ab und überwies den Nettobetrag auf das Konto des Klägers, dem es am 30.12.2011 gutgeschrieben wurde. Der Kläger verlangt von der Beklagten den Ersatz eines Steuerschadens und meint, dass die Beklagte die Abfindung entsprechend der im Vergleich getroffenen Vereinbarung erst im Januar 2012 hätte auszahlen dürfen. Das ArbG hat die Klage abgewiesen, das LAG die Berufung des Klägers zurückgewiesen.

Entscheidung

Das BAG hat die Revision des Klägers als unbegründet zurückgewiesen. Zur Begründung führt es aus, dem Kläger stehe kein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte zu, da diese ihre Pflichten aus dem Vergleich nicht verletzt habe, sondern berechtigt war, die Abfindung bereits im Dezember 2011 an den Kläger auszuzahlen. Das LAG habe den Vergleich gem. § 271 II BGB zutreffend dahin ausgelegt, dass zwar der Kläger die Abfindung nicht vor Ablauf des 31.12.2011 verlangen, die Beklagte sie aber vorher bewirken konnte (Rn. 16). Nach § 271 II BGB sei, sofern eine Leistungszeit nicht bestimmt ist, im Zweifel anzunehmen, dass der Gläubiger die Leistung nicht vor dieser Zeit verlangen, der Schuldner sie aber vorher bewirken kann. Die Parteien hätten keine Vereinbarung des Inhalts geschlossen, dass die Beklagte nicht berechtigt sein sollte, die Abfindung vor deren Fälligkeit zu zahlen. Der Wortlaut des Vergleichs sei insoweit nicht eindeutig, da er nicht bestimme, ob die Zahlung der Abfindung „erst“ bzw. „frühestens“ oder „spätestens“ mit dem regulären Gehaltslauf des auf den Beendigungsmonat folgenden Kalendermonats erfolgen durfte (Rn. 20). Das LAG sei auch zutreffend davon ausgegangen, dass die Interessenlage bzw. die (einseitigen) Vorstellungen einer Partei im Rahmen der Auslegung nach §§ 133, 157 BGB nur dann maßgeblich sein können, wenn sie für die andere Vertragspartei bei Vertragsschluss erkennbar waren. Der Kläger habe aber nicht vorgetragen, die Beklagte bei Vergleichsschluss auf sein Interesse hingewiesen zu haben, die Abfindung jedenfalls bei einem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis mit Ablauf des 31.12.2011 erst im Steuerjahr 2012 zu erhalten (Rn. 22). Zudem sei es für die Anwendbarkeit der in § 271 II BGB bestimmten Auslegungsregelung nicht entscheidend, ob mehr oder weniger für die Annahme einer reinen Fälligkeitsabrede spricht. Vielmehr würde eine Anwendung von § 271 II BGB nur dann ausscheiden, wenn die Parteien im Prozessvergleich vereinbart hätten, dass die Beklagte nicht berechtigt sein sollte, die Abfindung vor Fälligkeit zu zahlen (Rn. 23). Das LAG habe schließlich auch zu Recht angenommen, dass sich auch aus den Umständen nicht ergeben habe, dass § 271 II BGB nicht anwendbar sein sollte. Eine Verkehrssitte, wonach eine Abfindung im Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum Ende eines Jahres aus steuerlichen Gründen stets erst im Folgejahr gezahlt wird, bestehe nicht. Welcher Zuflusszeitpunkt sich für den Arbeitnehmer aus steuerlichen Gründen als günstiger erweist, ließe sich nicht im Voraus für alle Fälle gleich beantworten, sondern hänge von individuellen Faktoren ab, u.a. von den (zu erwartenden) Einkommen des Arbeitnehmers in den jeweiligen Steuerjahren und könne deshalb erst im Nachhinein beurteilt werden (Rn. 27).

Praxishinweis

Mit seiner Entscheidung knüpft das BAG an die Rechtsprechung des BGH zu § 271 II BGB an (vgl. BGH, BeckRS 2007, 02732). Das BAG bestätigt, dass Vereinbarungen zum Auszahlungszeitpunkt einer Abfindung grundsätzlich bloße Fälligkeitsabreden darstellen, nicht aber die Vereinbarung eines fixen Zahlungszeitpunktes. Will der Arbeitnehmer ausschließen, dass der Arbeitgeber bereits vor Fälligkeit zahlen darf, so muss in die Vereinbarung eine Klausel aufgenommen werden, die ausdrücklich bestimmt, dass die Zahlung nicht vor einem bestimmten Datum vorgenommen werden darf.

Redaktion beck-aktuell, 2. Dezember 2016.