Reaktion auf Vertragsverletzungsverfahren
Wie die Koalitionsfraktionen in ihrem Änderungsantrag zu dem Gesetzentwurf (BT-Drs. 20/3708) ausführen, erfolgt die Änderung aufgrund eines von der EU-Kommission im Dezember 2021 angestrengten Vertragsverletzungsverfahrens. Die Kommission habe gerügt, dass Deutschland den "Rahmenbeschlusses 2008/913/JI des Rates vom 28. November 2008 zur strafrechtlichen Bekämpfung bestimmter Formen und Ausdrucksweisen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit" insbesondere bezüglich der öffentlichen Leugnung und gröblichen Verharmlosung unzureichend umgesetzt habe. Wie die Fraktionen schreiben, sind diese beiden Handlungen – außer beim Bezug auf Taten unter der Herrschaft des Nationalsozialismus (§ 130 Abs. 3 StGB) – bisher nicht explizit in einer Strafvorschrift genannt. "In aller Regel dürften solche Handlungen vom Tatbestand der Volksverhetzung nach § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB erfasst werden", schreiben die Fraktionen. Mit der Änderung solle nun klargestellt werden, dass die öffentliche Billigung, Leugnung und gröbliche Verharmlosung "ausdrücklich pönalisiert" werden.
§ 130 StGB erhält neuen Absatz 5
Nach dem neuen Absatz 5 in § 130 StGB sollen diese Taten mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder Geldstrafe belegt werden können. Voraussetzung ist, dass sich die öffentliche Billigung, Leugnung beziehungsweise gröbliche Verharmlosung von Völkerstraftaten (§§ 6 bis 12 Völkerstrafgesetzbuch) auf die in Absatz 1 Nummer 1 des Paragrafen genannten Personenmehrheiten bezieht "oder gegen einen Einzelnen wegen dessen Zugehörigkeit zu einer dieser Personenmehrheiten". In Absatz 1 werden die Personenmehrheiten als "eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe" und "Teile der Bevölkerung" benannt. Ferner muss die Billigung, Leugnung beziehungsweise gröbliche Verharmlosung in einer Weise erfolgen, "die geeignet ist, zu Hass oder Gewalt gegen eine solche Person oder Personenmehrheit aufzustacheln und den öffentlichen Frieden zu stören".
Höhere Anforderungen und geringere Strafandrohung als bei Holocaust-Verharmlosung
Wie die Koalitionsfraktionen ausführen, weicht die neue Strafvorschrift in zwei Aspekten von der Strafvorschrift zur Billigung, Leugnung und Verharmlosung des Völkermords unter der Herrschaft des Nationalsozialismus ab. So ist mit der neuen Strafvorschrift zum einen nur die "gröbliche Verharmlosung" strafbar. Die im Vergleich erhöhten Anforderungen begründen die Fraktionen damit, dass es vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte gerechtfertigt sei, "dass der Bereich strafbarer Äußerungen in Bezug auf die Verharmlosung des Holocausts in § 130 Absatz 3 StGB etwas weiter gesteckt ist als derjenige für verharmlosende Äußerungen zu anderen Völkerrechtsverbrechen". Ähnlich wird im Änderungsantrag die höhere Strafandrohung für die Verharmlosung des Holocaust von fünf Jahren Freiheitsstrafe begründet: "Wegen der Einzigartigkeit des Holocausts müssen für dessen Billigung, Leugnung und Verharmlosung im Einzelfall höhere Strafen möglich sein als für vergleichbare Äußerungen betreffend andere Völkerrechtsverbrechen."
Strafbarkeit nicht von gerichtlicher Feststellung des Völkerrechtsverbrechens abhängig
Ferner führen die Koalitionsfraktionen aus, dass durch die Einbeziehung von Äußerungen in einer Versammlung die neue Vorschrift "geringfügig über die Mindestanforderungen des Rahmenbeschlusses" hinausgehe. Dies sei "zur Vermeidung von systematischen Widersprüchen geboten". Zudem wurde nach Darstellung der Fraktion kein Gebrauch von der Möglichkeit gemacht, die Strafbarkeit der Leugnung und der gröblichen Verharmlosung nur auf solche Völkerstraftaten zu beschränken, die von einem nationalen oder internationalen Gericht endgültig festgestellt wurden. "Es wäre nicht zu rechtfertigen, dass ein Völkerrechtsverbrechen im Falle des Leugnens und gröblichen Verharmlosens gerichtlich endgültig festgestellt sein muss, während es bei einem Billigen desselben tatsächlichen Geschehens auf eine solche gerichtliche Feststellung nicht ankommen soll", heißt es zur Begründung. Die zweite und dritte Lesung des Gesetzentwurfs im Bundestag ist für morgen geplant.