Neonazi-Mammutprozess in Koblenz geplatzt – Neustart ungewiss

17 Angeklagte, 34 Verteidiger, fast 1.000 Seiten Anklage, 337 Verhandlungstage und ein Paukenschlag: Einer der umfangreichsten Neonazi-Prozesse Deutschlands ist geplatzt. Im Windschatten des später begonnenen Münchener Verfahrens um die NSU-Morde hatte sich die Hauptverhandlung vor dem Landgericht Koblenz fünf Jahre lang hingeschleppt - bis zum unrühmlichen Ende. Schuld am Prozessabbruch ist ein Ruhestand.

Vorsitzender Richter tritt in Ruhestand – Ergänzungsrichter kann nicht einspringen

So teilte Gerichtssprecherin Tanja Becher am 02.05.2017 mit, die Hauptverhandlung werde ausgesetzt, weil der Vorsitzende Richter Hans-Georg Göttgen mit Erreichen der Altersgrenze Ende Juni 2017 laut Gesetz aus dem Dienst scheiden müsse. Bis dahin sei aber ein Prozessende auszuschließen. Der ursprüngliche Ergänzungsrichter musste schon vor Längerem für einen anderen Pensionsfall der Staatsschutzkammer einspringen. 

Anklage richtet sich gegen mutmaßliche Neonazis des "Aktionsbüros Mittelrhein"

Die Anklage richtet sich gegen eine "kriminelle Vereinigung“ mutmaßlicher Neonazis des "Aktionsbüros Mittelrhein“, die sich regelmäßig in Bad Neuenahr-Ahrweiler in ihrem sogenannten Braunen Haus getroffen haben soll. Die Vorwürfe reichen von Gewalt gegen Linke etwa in Dresden über einen unangemeldeten Aufmarsch mit Fackeln in Düsseldorf und aufgesprühte Hakenkreuze bis hin zu versuchten Brandanschlägen auf Autos.

Verteidiger wittert politisch motiviertes Verfahren

Und nun? Der Verteidiger Günther Herzogenrath-Amelung sagt: "Der Prozess wird wieder neu losgehen bei einer anderen Kammer.“ Er wittert ein politisch motiviertes Verfahren im rot-gelb-grün regierten Rheinland-Pfalz, das woanders längst eingestellt worden wäre: "Da geht es um den Kampf gegen Rechts.“ Die Staatsanwaltschaft hat diesen Vorwurf schon früher zurückgewiesen. Gerichtssprecherin Becher teilt mit: "Ob das Verfahren von einer anderen Kammer gegen die verbliebenen 17 Angeklagten neu verhandelt werden wird, kann derzeit nicht beantwortet werden.“

Verschwendung von Steuergeldern moniert

Auch die Frage, ob Entschädigungen an Angeklagte gezahlt werden müssten, könne erst nach Abschluss des Verfahrens beantwortet werden, so die Gerichtssprecherin weiter. Verteidiger Herzogenrath-Amelung kritisiert derweil "eine Verschwendung von Steuergeldern“. Die Kosten des fünfjährigen Prozesses mit ursprünglich 26 Angeklagten und 52 Verteidigern gingen in den zweistelligen Millionenbereich: "Mein Betrag ist ja schon sechsstellig.“

Stinkbomben, Reime und Schokoladen-Nikoläuse

Die Staatsschutzkammer hat schon in den ersten Jahren des Mammutprozesses viel erlebt. Etwa Stinkbomben, die eine Saalräumung erzwangen. Oder eine anwaltliche Stellungnahme in Reimform. Oder einen Schöffen, der der Anklage vor Weihnachten Schokoladen-Nikoläuse auf den Tisch stellte – und sich dann wegen Befangenheit aus dem Verfahren verabschieden musste.

Redaktion beck-aktuell, Jens Albes, 3. Mai 2017 (dpa).