AfD-Ausschussvorsitzender bleibt vorerst abgesetzt
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© Bernd von Jutrczenka / dpa

Die AfD ist beim Bundesverfassungsgericht mit dem Eilantrag gescheitert, ihren Abgeordneten Stephan Brandner wieder als Vorsitzenden des Bundestags-Rechtsausschusses einzusetzen. Dessen Mitglieder hatten ihn im November 2019 nach umstrittenen Äußerungen abgewählt. Der Zweite Senat befasste sich allerdings inhaltlich noch nicht vertieft mit dem Organstreitverfahren: Im Rahmen einer Folgenabwägung gälten strenge Maßstäbe, die hier den Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht als dringend geboten erscheinen ließen.

Provozierender "Feld-, Wald- und Wiesenanwalt"

Brandner liebt es zu provozieren - schon im Thüringer Landtag war er Spitzenreiter bei Ordnungsrufen, die vor allem die Vizepräsidentin des Erfurter Parlaments von der Linken gegen ihn verhängt hatte. Der Jurist, der sich gegenüber der NJW einst selbst als "Feld-, Wald- und Wiesenanwalt" bezeichnet hat, war in dem Bundesland auch zwölf Jahre lang Vorstandsmitglied der Anwaltskammer (Zuständigkeit: Gebührenrecht). Geboren im nordrhein-westfälischen Herten, hatte das frühere CDU- (und während des Studiums in Regensburg auch CSU-) Mitglied nach der Wende in Gera zusammen mit einem Partner eine Kanzlei eröffnet. Einen Teil seiner Mandanten bekam er von Fahrlehrern vermittelt, an deren juristischer Ausbildung er beteiligt war. Der Staatsdienst kam dagegen nicht in Frage, wie er dem Reporter damals selbst sagte: "Zum einen hätte die Punktzahl, jedenfalls in Bayern, nicht gereicht; zum anderen hätte die strenge Hierarchie in der Staatsanwaltschaft nicht meinem Naturell entsprochen."

Nach zwei Jahren war das Maß voll

Dass die von den übrigen Parteien äußerst kritisch gesehene AfD überhaupt den Vorsitz im honorigen Rechtsausschuss erhielt, verdankte sie dem sogenannten Zugriffsverfahren: Der Ältestenrat des Bundestags hatte ihr als drittgrößter Fraktion und zahlenmäßiger Oppositionsführerin diesen Posten zugeteilt. Doch nach knapp zwei Jahren war das Maß voll. Brandner hatte im Plenum beim 70-jährigen Jubiläum des Grundgesetzes den auf der Gästetribüne sitzenden Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier attackiert. Im Kurznachrichtendienst Twitter hatte er zudem einen Beitrag eines anderen Nutzers weitergeleitet, der die Toten des antisemitisch motivierten Terroranschlags von Halle als "eine Deutsche, die gern Volksmusik hörte" und einen "Bio-Deutschen" bezeichnete: "Warum lungern Politiker mit Kerzen in Moscheen und Synagogen rum?"

Den jüdischen Publizisten Michel Friedman beschimpfte er auf Twitter unter anderem als "Koksnase", nachdem der in einem ZDF-Interview gegen die Partei gewettert hatte. Und die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an den Rocksänger Udo Lindenberg nannte Brandner im Internet einen "Judaslohn". Schon zuvor hatte ihm etwa der damalige Präsident des Deutschen Anwaltvereins, Ulrich Schellenberg, bei einem Empfang öffentlich die Leviten gelesen - ein höchst ungewöhnlicher Vorgang bei den geradezu zeremoniellen Zusammenkünften von Rechtspolitikern mit den Lobbyvereinigungen aus Justiz und Anwaltschaft.

Geschäftsordnung nicht eindeutig

Weil dies nirgendwo ausdrücklich geregelt ist, beriet zunächst der Geschäftsordnungsausschuss des Bundestags darüber, ob eine Abwahl überhaupt möglich ist. Das sei sie, befanden dessen Mitglieder schließlich. Die damalige SPD-Vizefraktionschefin Eva Högl (SPD) - inzwischen Wehrbeauftragte - erklärte: "Herr Brandner hat weder menschlich noch politisch die notwendige Eignung für den Vorsitz im Rechtsausschuss." Das sahen auch die dortigen Vertreter aller anderen Parteien so und setzten ihn ab, maßgeblich vorangetrieben von dem SPD-Rechtspolitiker Johannes Fechner. Seither leitet der stellvertretende Vorsitzende, der CDU-Parlamentarier Heribert Hirte, kommissarisch das auch für den Verbraucherschutz zuständige Gremium. Die AfD pocht hingegen weiterhin darauf, dass ihr der Posten zustehe, und bot dementsprechend auch keinen anderen Kandidaten auf. Besondere Befugnisse sind mit dieser Rolle freilich ohnehin nicht verbunden: Neben der Vorbereitung der Sitzungen gilt es vor allem, die erste Staatsgewalt zu repräsentieren, wo immer es um Gesetzgebung und Justiz geht.

Strenger Maßstab im Eilverfahren

Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts schmetterte nun in seinem am 29.05. veröffentlichten Beschluss das Begehren der AfD ab, Brandner wieder ins Amt zu setzen. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung im Organstreitverfahren bedeute einen erheblichen Eingriff in Autonomie und originäre Zuständigkeit anderer Verfassungsorgane, heißt es darin. Deshalb sei grundsätzlich ein strenger Maßstab anzulegen. Die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Maßnahme vorgetragen würden, hätten somit außer Betracht zu bleiben (sofern der in der Hauptsache gestellte Antrag sich nicht von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet erweise). Da der Vorsitz grundsätzlich der Antragstellerin zustehe, so die Karlsruher Richter weiter, erscheine zwar ein "verfassungsrechtliches Teilhaberecht" nach Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG nicht ausgeschlossen.

Auch dürfe eine Opposition nicht auf das Wohlwollen der Parlamentsmehrheit angewiesen sein. Aber: Würden die Richter die beantragte Anordnung erlassen, würde der Ausschuss bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens von einer Person geleitet, die offensichtlich nicht das Vertrauen seiner Mehrheit besitze. So aber könne die AfD-Fraktion ihre derzeitige Beeinträchtigung durch Benennung eines anderen Kandidaten bis zu einem endgültigen Urteil aus Karlsruhe selbst verringern. Und das erschien den höchsten Richtern dann doch als das kleinere Übel, bis sie irgendwann inhaltlich über den Rechtsstreit entscheiden.

"Die Würde zurückgegeben"

Brandner kommentierte auf Twitter: "Eilantrag (leider) abgelehnt, aber in der Hauptsache ist der Verfahrensausgang offen! Das ist wie ein kleiner Sieg, mehr war - zunächst - nicht zu erwarten..." Der CDU-Rechtspolitiker Jan-Marco Luczak schrieb hingegen auf dem Kurznachrichtendienst: "Kein Platz für #Hass u Hetze im #Rechtsausschuss-mit Abberufung haben wir Amt des Vorsitzenden die #Würde zurückgegeben."

Redaktion beck-aktuell, Prof. Dr. Joachim Jahn, 29. Mai 2020.