Kolumne
Erfurter Gesinnungsjudikatur
© Nicola Quarz

Demokratische Prozesse werden mitunter als Hindernis für effektiven Umwelt- und Klimaschutz beklagt. Von Gerichten wird hier ohne Rücksicht auf kleinliche Bedenken etwa in Bezug auf Gewaltenteilung Abhilfe erwartet. 

2. Sep 2024

Sehr viel weiter geht das LG Erfurt, wenn es in seinem Urteil vom 2.8.2024 (8 O 1373/21, BeckRS 2024, 19541) im stolzen Bewusstsein richterlicher Gestaltungsmacht es als „rechtsdogmatisch gerechtfertigt“ sieht, „richterrechtlich Eigenrechten der Natur Wirkmacht zu verleihen“, nach dem Beispiel „kolumbianischer oder peruanischer Gerichte“, die dies „auch ohne einschlägige Gesetzgebung“ aus einer „Gesamtschau ihrer Rechtsordnung“ abgeleitet hätten – es bleibt bei der Behauptung. Auf Belege verzichtet das LG, das sich bewusst ist, damit nicht in der Wissenschaft, aber doch in der Rechtsprechung Neuland zu betreten. Das Urteil erging übrigens in einem Dieselprozess, in dem die besondere Schwere des Rechtsverstoßes der Beklagten aus Eigenrechten der Natur begründet wurde. Diese werden in einem kühnen Zirkelschluss aus der Grundrechtecharta als „Schatten“ des Unionsrechts abgeleitet. Die Grundrechte der Charta – genannt werden Art. 2 (Recht auf Leben und Verbot der Todesstrafe), Art. 3 I (Recht auf körperliche und geistige Unversehrtheit) seien „ihrem Wesen nach“ auch auf „ökologische Personen“ anwendbar – ob auf die Natur „als solche“ oder einzelne Ökosysteme, wird offengelassen. Ehe aber die Geltung der Grundrechte für die „ökologischen Personen“ behauptet wird, müsste zunächst dargelegt werden, dass es diese überhaupt gibt. Damit hält sich das Gericht in seinem Furor ebensowenig auf, wie damit, dass der Grundrechtekonvent derartige Rechte nicht in den Blick genommen hatte. Die Charta sei ein „living instrument“, und der „Originalism“ in Europa kein maßgeblicher Auslegungstopos. Der Wortlaut ist dies schon. Doch stören sich die Linguistiker des Gerichts nicht am Wort „Mensch“ – in zahlreichen anderen Sprachfassungen werde der deutungsoffene Begriff „Person“ („personne“) verwendet, dem das englische „everyone“ gleichgestellt sei. Rechtsvergleichend sieht das Gericht sich durch zahlreiche Rechtsordnungen, „vor allem im globalen Süden“, bestätigt, wo Eigenrechte der Natur verfassungsrechtlich, gesetzlich oder richterrechtlich anerkannt seien. All dies wird nicht belegt.

Nicht beantwortet wird die entscheidende Frage, wer diese Rechte geltend machen soll. Da die Wald- oder Flussgottheiten der antiken Mythologien nicht zur Verfügung stehen, wird die Klageindustrie der wohl schon mit den Hufen scharrenden Umweltverbände gefordert sein. Ob all dies Umwelt und Klima hilft, sei dahingestellt, nicht aber, was es für den demokratischen Rechtsstaat bedeutet, wenn Gerichte in exzessiver Inanspruchnahme ihrer Kompetenzen, oft auf Veranlassung demokratisch nicht legitimierter NGOs, Umweltpolitik betreiben und sich in ihrem Sendungsbewusstsein zu rechtsmethodisch und argumentativ so fragwürdigen Entscheidungen wie der des LG Erfurt hinreißen lassen. 

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Prof. Dr. Christoph Degenhart ist Professor für Staats- und Verfassungsrecht sowie Medienrecht an der Universität Leipzig.