NJW: Wissen Sie, wie viele Gerichtstermine beim BVerfG und beim BGH Sie mittlerweile fotografiert haben?
Deck: Das ist schwierig abzuschätzen. Exakt gezählt habe ich es natürlich noch nicht. Ich würde aber mal davon ausgehen, dass es in den letzten 30 Jahren insgesamt knapp um die 600 Termine gewesen sein dürften. Manchmal bezeichne ich das Bundesverfassungsgericht auch als mein zweites Wohnzimmer.
NJW: Welche Verfahren sind Ihnen besonders in Erinnerung geblieben und warum?
Deck: Was die Inhalte der Verfahren oder Urteile angeht, so möchte ich mich enthalten. Das mögen lieber Juristen beurteilen. Natürlich ist mir aber noch mein erster Termin am BVerfG in Erinnerung. Das war 1993, als der Senat die Reform von § 218 StGB zu Schwangerschaftsabbrüchen kippte und den Schutz für ungeborenes Leben betonte. Damals war ich für die "Badischen Neuesten Nachrichten" (BNN) dort. Einen meiner ersten Aufträge von der dpa bekam ich 1994: die Amtseinführung von Jutta Limbach als Präsidentin des Gerichts, die das Amt von dem neu ernannten Bundespräsidenten Roman Herzog übernahm. Allein schon deshalb ist dieser Termin für mich im Gedächtnis verankert. Zwanzig Jahre später, im Jahr 2014, hatte ich dann sogar die Gelegenheit, Limbach und Herzog während einer Feierstunde im Gericht nochmals zusammen zu fotografieren. Beim BGH ist mir besonders der "Mordfall Weimar" im Gedächtnis, als im Jahr 1998 die Mutter, die ihre Töchter getötet haben soll, überraschend an dem Prozess teilnahm. Dass sie kommt, wusste vorher niemand. Und so war ich der einzige Fotograf vor Ort. Das waren damals noch ganz andere Zeiten: Da musste ich schnell die Filme zur Post bringen, damit die Negative nach Frankfurt kommen. Dort saß die dpa-Bildzentrale. Ansonsten bleiben mir Gerichtstermine auch dann in Erinnerung, wenn meine Fotos auf sehr vielen Titelseiten auch überregionaler Zeitungen wie "FAZ", "Süddeutsche" und "Welt" veröffentlicht sind.
NJW: Was zeichnet ein gutes Bild von einer Verhandlung oder Verkündung aus?
Deck: Soweit wie möglich den besonderen Blick zu zeigen und die wesentlichen inhaltlichen Aspekte mit abzubilden. Bei der Urteilsverkündung zur Wahlrechtsreform hatte ich zum Beispiel das Glück, dass sich die Rollos wegen der Lichtverhältnisse an einer Glasscheibe vor dem Sitzungssaal spiegelten. So ergab sich eine Struktur, die wie ein Kreuz aussah. In einem Spalt konnte man dann ungehindert die Senatsvorsitzende Doris König sehen. Beim Urteil zu Informationspflichten der Bundesregierung gegenüber dem Bundestag in EU-Fragen, bei dem es um einen Militäreinsatz ging, hatte einer der anwesenden Soldaten sein Barett auf den Stuhl gelegt. Daneben lag zufällig eine kleine Ausgabe des Grundgesetzes – das passte natürlich inhaltlich dann super zum Thema. Ein ganz anderes Beispiel: Vergangenes Jahr baumelten in der Adventszeit an einem Weihnachtsbaum im Gericht neben roten Kugeln Miniaturausgaben des Grundgesetzes – sowas kann man nicht alle Tage fotografieren.
NJW: Ich habe den Eindruck, dass Ihre Motive zuletzt etwas mutiger, kreativer, sogar künstlerischer geworden sind. Zwei davon bilden wir hier zum Interview ab: das erste ist das von Ihnen gerade erwähnte Motiv von der Verkündung des Wahlrechtsurteils, das auch auf der FAZ-Titelseite erschien. Ist dieser Eindruck zutreffend?
Deck: Das würde ich so nicht sagen. Mutig und kreativ zu sein, ist schon immer mein höchster Anspruch. Dass viele das mitbekommen, setzt aber natürlich voraus, dass die Publikationen auch mutig genug sind, um diese Fotos zu verwenden. Das hat gerade in den beiden genannten Fällen wunderbar funktioniert.
© picture-alliance/dpa | Uli Deck
NJW: Ihre Bilder sind auch oft in den Hauptnachrichten zu sehen. Freut Sie das noch, oder ist das inzwischen Routine?
Deck: Das ist auf keinen Fall Routine. Ich freue mich jedes Mal, wenn mir gute Fotos gelingen – und umso mehr, wenn ich diese dann in veröffentlichter Form sehe. Das bestätigt meine Arbeit.
NJW: Von Ihnen stammen auch oft die Bilder, wenn Tatverdächtige mit dem Hubschrauber zum Ermittlungsrichter beim BGH geflogen werden, wie zuletzt am vorvergangenen Sonntag der mutmaßliche Attentäter von Solingen. Sind solche Termine aufregender als Bilder aus dem Gerichtssaal?
Deck: Das kann man schwer vergleichen. Solche Vorführungen beim Haftrichter am BGH kommen überraschend. Das findet alles sehr spontan statt. Man weiß im Vorhinein nicht, was einen erwartet, muss schnell das richtige und allumfassende Equipment einpacken, springt ad hoc ins Auto und fährt los. Im Gegensatz dazu sind Termine bei den Gerichten viel planbarer, aber je nach Themenstellung nicht weniger aufregend.
NJW: Ich gehe davon aus, dass Sie beim BVerfG und beim BGH gleichsam zum Inventar gehören. Erleichtert es die Arbeit, wenn man sich vor Ort so gut aus- und die Beteiligten kennt? Entstehen dadurch gegebenenfalls bessere Bilder?
Deck: Es ist richtig, dass mich in den meisten Fällen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an den Gerichten kennen. Privilegien gibt es aber dadurch selbstverständlich nicht. Ich muss mich wie jede andere Person streng an die Regularien und Abläufe halten. Manche Dinge sind aber vermutlich deshalb einfacher, weil ich aus der langjährigen Erfahrung schöpfen kann. Und wenn die Menschen, die an den Gerichten arbeiten, einen kennen, vertrauen sie einem vermutlich eher. Wohl auch deshalb wurde ich schon mal ins Beratungszimmer hinter dem Sitzungssaal gelassen, wo vor einer Verhandlung oder Urteilsverkündung die roten Roben vorbereitet liegen.
© picture-alliance/dpa | Uli Deck
NJW: Sie haben auch schon George Clooney und den Papst fotografiert. Das ist aufregender, als einen Senat abzulichten, oder?
Deck: Das kann man so nicht sagen. Okay, eine Privataudienz beim Papst direkt im Vatikan zu fotografieren, das war schon mehr als besonders. Das werde ich wohl auch nicht mehr wiederholen können und ist somit für mich einmalig. Generell muss man aber wissen, wo seine Wurzeln sind – und gerade das zu schätzen wissen, um auf dem Boden zu bleiben. Und auch nach Hunderten Terminen an den Bundesgerichten kommt hier kein Alltag auf. Es gibt stets eine neue Aufgabenstellung. Und diese gilt es, bestmöglich mit neuem Blick umzusetzen.
NJW: Aber Hand aufs Herz: Für einen Fotografen aus Leidenschaft wie Sie sind Bilder aus Gerichtsverfahren eher lästige Pflicht, Ihre Passion für die Fotografie leben Sie mit anderen Bildern aus, oder?
Deck: Ein ganz klares „Nein“. Gerade beim BVerfG ist es jedes Mal eine Herausforderung, wenn man mal etwas anders machen möchte. Acht Richterinnen und Richter nebeneinander sind es ja meistens. Aber nicht immer spiegelt sich zum Beispiel das Gerichtsgebäude in einer Pfütze. Auch solche außergewöhnlichen Momente und Motive versuche ich zu finden. Das klappt nicht immer – aber wenn doch, ist man umso glücklicher. Die aktuellen Veröffentlichungen sind gute Beispiele dafür.
Uli Deck fotografiert seit 1990 freiberuflich für Presse, Firmen- und Geschäftskunden. Im Medienbereich gehören neben der Deutschen Presse-Agentur (dpa) Tageszeitungen und Magazine zu seinen Auftraggebern. Fotos von ihm wurden mehrfach als dpa-Bilder des Jahres ausgezeichnet: 2014 ein Motiv des Dirigenten Simon Rattle, 2019 ein Bild des Halle-Attentäters Stephan B. sowie 2021 Fotos von einem Superrechner am KIT (Kategorie Illustration) und von einem Hundeschwimmen (Kategorie Feature). Diese und weitere Bilder findet man unter artis-foto.de.
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