VG Kassel: Erlaubnis zur Sonntagsarbeit bei Amazon war rechtswidrig

Die vom Regierungspräsidium Kassel für den 21.12.2014 zu Gunsten von Amazon erteilten Bewilligungen zur Beschäftigung von Arbeitnehmern an Sonntagen in zwei Logistikzentren in Bad Hersfeld waren rechtswidrig. Dies geht aus einem jetzt veröffentlichten Urteil des Verwaltungsgerichts Kassel hervor. Ein bloß wirtschaftliches Umsatzinteresse des Unternehmens und ein alltäglich zu befriedigendes Erwerbsinteresse potenzieller Kunden reichen nach Auffassung des Gerichts nicht aus, um die Sonntagsarbeit zu rechtfertigen (Az.: 3 K 2203/14.KS).

Beschäftigung von bis zu 900 Mitarbeitern bewilligt

Die Beigeladene betreibt am Standort Bad Hersfeld zwei Logistikzentren, in denen Bestellaufträge ausgeführt werden, die über die Internet-Seite www.amazon.de ausgelöst werden. Die Beigeladene ist ein Logistikdienstleister sowohl für das Unternehmen Amazon Deutschland als auch für zahlreiche andere Unternehmen, die Produkte über diese Internetseite verkaufen. Produktbestellungen sind über das Internet 24 Stunden am Tag und 7 Tage in der Woche möglich. Die Endkunden sind bei ihren Bestellungen über die Plattform www.amazon.de nicht an Laden-Öffnungszeiten gebunden. Durch zwei gesonderte Bescheide vom 10.12.2014 bewilligte das Regierungspräsidium Kassel auf Antrag von Amazon die Beschäftigung von bis zu 900 Beschäftigten für die Sonntage am 14. Und 21.12.2014. Hiergegen erhob die ver.di Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft e.V. am 19.12.2014 Klage.

Ausnahmen vom Beschäftigungsverbot erfordern besondere Verhältnisse

Das Gericht hat in seinem Urteil zur Begründung ausgeführt, dass gemäß § 9 Abs. 1 ArbZG Arbeitnehmer an Sonn- und gesetzlichen Feiertagen von 0 bis 24 Uhr nicht beschäftigt werden dürfen. Abweichend von diesem Grundsatz könne gemäß § 13 Abs. 3 Nr. 2 lit. b ArbZG bewilligt werden, Arbeitnehmer an bis zu fünf Sonn- und Feiertagen im Jahr zu beschäftigen, wenn besondere Verhältnisse zur Verhütung eines unverhältnismäßigen Schadens dies erfordern. Diese Voraussetzungen lagen nach Ansicht der Kammer im konkreten Fall nicht vor.

Zu erwartender Schaden nicht substantiiert dargelegt

Die Bewilligungen der Sonntagsarbeit seien im entschiedenen Fall jedenfalls nicht zur Verhütung eines unverhältnismäßigen Schadens im Sinne von § 13 Abs. 3 Nr. 2 lit. b ArbZG erforderlich gewesen. Unter Schaden im Sinne von § 13 Abs. 3 Nr. 2 lit. b ArbZG sei jeder Nachteil zu verstehen, den der Arbeitgeber infolge der besonderen Verhältnisse erleiden würde. Dies könnten insbesondere Schadensersatzansprüche von Kunden, Vertragsstrafen, entgangene Aufträge sowie der Verlust von Kunden sein. An einer substantiierten Darlegung des zu erwartenden Schadens und seiner Unverhältnismäßigkeit habe es jedoch gefehlt.

Pauschaler Vortrag nicht ausreichend

Die Beigeladene habe zum zu befürchtenden Schaden weder im Verwaltungs- noch im Klageverfahren belastbare Tatsachen vorgetragen. Nach Auffassung der Kammer könne es insoweit nicht schon genügen, wenn die Beigeladene in ihren Anträgen pauschal vorträgt, dass sie infolge ausbleibender Sonntagsbeschäftigung vertraglich gegenüber ihren Lieferanten für nicht angenommene Ware sowie ihren Kunden gegenüber für nicht rechtzeitig innerhalb des von ihnen gewünschten Zeitrahmens gelieferte Ware hafte.

Keine andere Bewertung im Hinblick auf Regressansprüche

Das gleiche müsse für die pauschalen Behauptungen gelten, dass es einerseits zu derzeit nicht bezifferbaren Regressansprüchen seitens Spediteuren, Logistikpartnern, Dienstleistungspartnern und Lieferanten komme und andererseits der Beigeladenen ein langfristiger Schaden durch den dauerhaften oder teilweisen Abfluss von Kunden, wegen möglicherweise verspäteter Lieferung ihrer Einkäufe, drohe. Dies gelte vor allen Dingen deshalb, weil die Beigeladene ihren eigenen Angaben zufolge lediglich als Logistikdienstleister tätig wird, dessen Aufgabe es ist, Waren auf eine Bestellung für den Amazon-Konzern oder dritte Anbieter hin versandfertig zu machen und zu versenden.

Bloß wirtschaftliches Umsatzinteresse nicht ausreichend

Zudem hätten Unternehmen bereits im Zuge der Festlegung ihres Geschäftskonzepts dem Gewicht des Sonn- und Feiertagsschutzes angemessen Rechnung zu tragen. Ein bloß wirtschaftliches Umsatzinteresse des Unternehmens und ein alltäglich zu befriedigendes Erwerbsinteresse potenzieller Kunden genügten grundsätzlich nicht, um Ausnahmen von dem verfassungsunmittelbar verankerten Schutz der Sonn- und Feiertage zu rechtfertigen. Ein Unternehmen dürfe sich außerdem durch Lieferversprechen nicht vom Sonntagsarbeitsverbot suspendieren können. Schließlich könne auch das wirtschaftliche Umsatzinteresse der Beigeladenen eine Ausnahme vom verfassungsrechtlich verankerten Schutz der Sonn- und Feiertage nicht rechtfertigen.

Sonntagsschutz genießt Vorrang

Die ausnahmsweise Beschäftigung von Arbeitnehmern an einem Sonntag sei zur Verhütung eines unverhältnismäßigen Schadens auch nicht erforderlich gewesen. Es wäre möglich gewesen, den Anstieg des Bestellvolumens durch eine Verteilung auf andere Logistikzentren – insbesondere auf neue Logistikzentren in Polen – abzufangen. Wenn Sonntagsarbeit aber durch zumutbare Vorkehrungen vermieden werden könne, genieße der Sonntagsschutz Vorrang.

VG Kassel - 3 K 2203/14

Redaktion beck-aktuell, 14. Juni 2017.