VG Chemnitz verneint subsidiären Schutz für Asylbewerber aus Libyen

Asylbewerber aus Libyen haben keinen Anspruch auf subsidiären Schutz. Dies geht aus zwei Urteilen des Verwaltungsgerichts Chemnitz vom 11.05.2017 hervor. Unabhängig von der Frage, inwieweit in Libyen noch flächendeckend ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt anzunehmen ist, geht die Kammer davon aus, dass für Zivilpersonen ohne das Hinzutreten besonderer persönlicher gefahrerhöhender Gründe zumindest für den Großraum Tripolis derzeit keine ernsthafte und individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt vorliegt, so dass hier auch für Personen aus anderen Landesteilen eine innerstaatliche Fluchtalternative besteht (Az.: 7 K 3769/16.A und 7 K 2874/16.A).

Ernsthafter Schaden als Voraussetzung

Ausgangspunkt der vom VG Chemnitz getroffenen Entscheidungen ist § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Ziffer 3. AsylG. Demnach ist ein Ausländer, soweit er nicht bereits als Asylberechtigter beziehungsweise Flüchtling im Sinne des § 3 AsylG anzuerkennen ist, subsidiär schutzberechtigt, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorbringen kann, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt dabei eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.

Permanente Gefährdung der Bevölkerung nicht ausreichend

Für eine solche ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit als Zivilperson sei es nicht ausreichend, wenn der innerstaatliche bewaffnete Konflikt zu einer permanenten Gefährdung der Bevölkerung führt. Gefahren, denen die Bevölkerung oder eine Bevölkerungsgruppe eines Landes allgemein ausgesetzt ist, würden grundsätzlich keine individuelle Bedrohung darstellen. Habe jedoch der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr in das betreffende Land oder die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit Gefahr liefe, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein, könne auch ohne individuelle gefahrerhöhende Umstände eine ernsthafte individuelle Bedrohung von Leib oder Leben bestehen.

Gericht verneint erforderliche Gefahrendichte

Eine solche besondere Gefahrendichte konnte die Kammer auf der Basis der zur Verfügung stehenden Daten jedoch nicht festzustellen. So würden sich ausweislich der Dokumentation bekannter Vorfälle des Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (ACCORD) für das gesamte Land für das Jahr 2015 1.255 Vorfälle und 2.705 Todesopfer ergeben. Im ersten Halbjahr 2016 habe ACCORD insgesamt 496 Vorfälle und 1.294 Todesopfer (Zahlen veröffentlicht in Home Office, Country Policy and Information Note, Libya: Security and humanitarian situation, Januar 2017) dokumentiert. Diesem stehe eine Gesamteinwohnerzahl für das Land von rund 6,2 Millionen gegenüber. Konkret für die Stadt Tripolis mit rund 1,6 Millionen Einwohnern seien für 2015 168 Vorfälle und 111 Todesopfer sowie für das erste Halbjahr 2016 87 Vorfälle und 103 Todesopfer erfasst worden. Auch die Dokumentationen anderer Organisationen würden für die Ansprüche der Kläger kein günstigeres Bild ergeben.

Geringes Risiko getötet oder verletzt zu werden

Selbst wenn zur Berücksichtigung der bei den Vorfällen zwar nicht getöteten, wohl aber verletzten Personen, sowie zur Berücksichtigung möglicher nicht bekannt gewordener Vorfälle die angegebenen Opferzahlen vervierfacht würden, wäre das Risiko binnen eines Jahres im Großraum Tripolis aufgrund eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts getötet oder verletzt zu werden, mit weniger als 1:1900 auszuweisen.

VG Chemnitz, Urteil vom 11.05.2017 - 7 K 3769/16.A

Redaktion beck-aktuell, 19. Mai 2017.