SG Berlin: Krankenkasse muss Kosten für Sondenentwöhnung per "Netcoaching" nicht erstatten

Die Krankenkasse ist nicht verpflichtet, der Mutter eines Säuglings die Behandlungskosten für eine telemedizinische Therapie zur Entwöhnung von der Ernährung durch eine Sonde zu erstatten, da ein solches “Netcoaching“ eine neuartige noch nicht allgemein anerkannte Behandlungsmethode darstelle. Dies hat das Sozialgericht Berlin mit Urteil vom 11.07.2017 entschieden (Az.:S 81 KR 719/17, BeckRS 2017, 123331).

Mutter ließ Säugling per “Netcoaching“ von Ernährungssonde entwöhnen

Der im September 2015 geborene Kläger wurde mit einer Fehlbildung der Speiseröhre geboren, die nach mehreren komplizierten Operationen erfolgreich behandelt werden konnte. In diesem Zusammenhang war er über längere Zeit mittels einer Sonde ernährt worden. Auf die Umstellung zu normaler Nahrungsaufnahme reagierte er mit Würgereiz und Erbrechen. Ab November 2016 führte die Mutter mit dem Kläger ein von der Universität Graz entwickeltes telemedizinisches Sonden-Entwöhnungsprogramm durch. Inhalt dieses “Netcoaching“ ist eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung der betroffenen Familien durch ein Team aus Ärzten und Therapeuten auf telemedizinischem Weg. Der Patient bleibt dabei zuhause, die Betreuung erfolgt durch Videoanalysen, tägliche Cybervisiten und Beratungen per email. Die beklagte Krankenkasse lehnte die Übernahme der Kosten ab, da der Gemeinsame Bundesausschuss für diese Behandlungsmethode noch keine positive Empfehlung ausgesprochen habe und es andere, bereits anerkannte Behandlungsmethoden gebe.

SG: Krankenkasse muss Kosten für telemedizinische Behandlung nicht übernehmen

Das Sozialgericht hat die dagegen gerichtete Klage abgewiesen. Die gesetzlichen Krankenversicherungen seien nicht schon dann leistungspflichtig, wenn eine begehrte Therapie nach Einschätzung des Versicherten oder eines Arztes zu befürworten ist. Vielmehr müsse die Therapie Teil des Leistungskataloges der Versicherung sein. Die Aufgabe, den Nutzen und die Risiken einer neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode zu bewerten und gegeneinander abzuwägen, sei dabei vom Gesetzgeber allein dem Gemeinsamen Bundesausschuss zugewiesen worden. Bei dem vorliegend umstrittenen “Netcoaching" handele es sich um eine neue Behandlungsmethode, für die die erforderliche Anerkennung noch nicht vorliege. Prägend für das “Netcoaching“ sei, dass die eigentliche Behandlung (die Sondenentwöhnung) durch die Eltern durchgeführt werde und von Ärzten und anderem medizinischen Fachpersonal nur unter Einsatz moderner Kommunikationsmittel angeleitet und überwacht werde.

Kläger hätte anerkannte Behandlungsalternative zur Verfügung gestanden

Dies habe zwar den Vorteil, dass die Behandlung im häuslichen Umfeld erfolge und sicher auch deutlich preiswerter sei als ein Krankenhausaufenthalt, gestand das Gericht zu. Andererseits gebe es Risiken, weil die Ärzte den Patienten nicht selbst untersuchten und bei etwaigen Komplikationen auch nicht sofort einschreiten könnten. Einer der Fälle, in denen eine positive Empfehlung des Bundesausschusses ausnahmsweise nicht erforderlich sei, habe nicht vorgelegen. So gebe es keine Anhaltspunkte dafür, dass die fehlende Anerkennung auf einem Systemversagen beruhe, etwa weil das Zulassungsverfahren nicht ordnungsgemäß betrieben worden sei. Es habe sich auch nicht um eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung des Klägers gehandelt. Mit der stationären Sonden-Entwöhnung habe zudem eine allgemein anerkannte Behandlungsalternative zur Verfügung gestanden.

SG Berlin, Urteil vom 11.07.2017 - S 81 KR 719/17

Redaktion beck-aktuell, 7. September 2017.