OLG Hamm: Grundstückseigentümer müssen von Wisenten ausgehende Störungen nicht immer dulden

Eigentümer von Waldgrundstücken können aus dem Naturschutzrecht dazu verpflichtet sein, die von ausgewilderten Wisenten für ihre Grundstücke ausgehenden Störungen zu dulden. Dies gilt laut Oberlandesgericht Hamm allerdings nicht, wenn die zuständige Naturschutzbehörde eine Ausnahmegenehmigung zur Verfolgung der Wisente erteilt hat. Die beiden Urteile vom 29.05.2017 (Az.: 5 U 153/15 und 5 U 156/165) sind noch nicht rechtskräftig, nachdem das OLG jeweils die Revision zum Bundesgerichtshof zugelassen hat.

Forstwirte mit Klage gegen Wisenten-Verein zum Teil erfolgreich

In den Rechtsstreitigkeiten hatten zwei Forstwirte aus Schmallenberg gegen einen zum Zwecke der Auswilderung und Erhaltung von Wisenten im Rothaargebirge gegründeten Verein geklagt. In beiden Fällen hat das OLG den beklagten Verein dazu verurteilt, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um zu verhindern, dass die freigelassenen Wisente und deren Abkömmlinge die auf den klägerischen Waldgrundstücken wachsenden Bäume – insbesondere Buchen – durch Schälen der Baumrinde oder auf andere Weise beschädigen. Die Verurteilung hat das Gericht zugleich unter den Vorbehalt gestellt, dass dem beklagten Verein für die von ihm beabsichtigten Maßnahmen zur Störungsbeseitigung die nach § 45 Abs. 7 Bundesnaturschutzgesetz erforderlichen Ausnahmegenehmigungen durch die nach Landesrecht für Naturschutz und Landschaftspflege zuständigen Behörden erteilt werden. In einem Fall hat das OLG zudem die Verpflichtung des Vereins festgestellt, dem Kläger bis zum Ende der Freisetzungsphase die ihm durch die Wisente an den Bäumen seines Grundbesitzes zugefügten Schäden zu ersetzen. Die weitergehenden, unter anderem auf eine vorbehaltlose Verurteilung des Vereins gerichteten Klagebegehren sind erfolglos geblieben.

OLG bejaht Eigentumsbeeinträchtigungen

Der Anspruch der Kläger ergebe sich aus § 1004 Abs. 1 BGB, erläutert das OLG seine Urteile. Indem die Wisente die Grundstücke der Kläger betreten und dort die Buchen schälen, beeinträchtigten sie das Eigentum der Kläger. Insoweit bestehe Wiederholungsgefahr. Für die Beeinträchtigung sei der beklagte Verein als Störer verantwortlich. Er habe die Wisente ausgewildert, ihre Vermehrung gefördert und sei in der Lage, die Tiere einzufangen und zu immobilisieren, was künftige Beeinträchtigungen verhindern könne.

Eigentumsstörungen nach Naturschutzrecht zu dulden

Allerdings seien die Kläger verpflichtet, die von den Wisenten ausgehenden Störungen zu dulden, sofern dem beklagten Verein keine – nach naturschutzrechtlichen Bestimmungen zu beurteilende – Ausnahmegenehmigung für die zu treffenden Maßnahmen erteilt werde. Die grundsätzliche Duldungspflicht der Kläger ergebe sich aus dem Naturschutzrecht. Einschlägig sei die Vorschrift des § 44 Abs. 1 Nr. 1 Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG), die es dem beklagten Verein (vorbehaltlich einer Ausnahmegenehmigung) verbiete, wild lebenden Tieren besonders geschützter Arten nachzustellen, sie zu fangen, zu verletzen oder zu töten, woraus auch die Duldungspflicht der Kläger folge.

Wisente unter besonderen Schutz gestellt

Die genannte Vorschrift des Bundesnaturschutzgesetzes verdränge als das speziellere Recht das landesrechtlich geregelte Jagdrecht. Auch der beklagte Verein könne sich auf die Vorschrift des Bundesnaturschutzgesetzes berufen. Abgesehen vom Nachstellen und Fangen gebe es keine anderen geeigneten Maßnahmen zur Verhinderung der infrage stehenden Eigentumsbeeinträchtigungen, die ihrerseits nicht gegen das BNatSchG oder andere Normen verstießen. § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG schütze die ausgewilderten Wisente. Sie seien eine besonders geschützte Art und auch wild lebend im Sinne der Vorschrift. Dass zunächst gezüchtete Tiere freigelassen worden seien, stehe dem nicht entgegen. Gezüchtete Exemplare wild lebender Arten könnten herrenlos werden, die Freiheit und mit ihr als wild lebend den Naturschutz erlangen. Die freigelassenen Wisente und auch ihre späteren Abkömmlinge seien heute herrenlos und wild lebend. Das folge aus den für diese rechtliche Beurteilung maßgeblichen tatsächlichen Verhältnissen.

Ausnahmen von Duldungspflicht generell möglich

In den vorliegenden Fällen kämen jedoch Ausnahmen von der Duldungspflicht in Betracht, so das OLG weiter. Es bestehe die Möglichkeit, dass eine zur Verfolgung der Wisente gemäß § 45 Abs. 7 BNatSchG erteilt werde. Ausgehend hiervon könne sich der beklagte Verein nicht auf das Verbot des § 44 Abs. 1 BNatSchG berufen, wenn öffentlich-rechtliche Ausnahmen zugelassen werden könnten, die er mit Aussicht auf Erfolg beantragen könne. Deswegen erfolge seine zivilrechtliche Verurteilung zur Verhinderung der infrage stehenden Eigentumsbeeinträchtigungen unter dem Vorbehalt einer zuvor erteilten Ausnahmegenehmigung. Über die Ausnahmegenehmigung selbst könne nicht das Zivilgericht, sondern nur die zuständige Naturschutzbehörde entscheiden.

Erteilung einer Ausnahmegenehmigung konkret möglich

In den zu entscheidenden Fällen hält das OLG – was im Zivilprozess zu prüfen sei – eine Ausnahmegenehmigung im Sinne von § 45 Abs. 7 BNatSchG für möglich. Um deren Erteilung habe der beklagte Verein daher die zuständige Behörde zu ersuchen. Das Bundesnaturschutzgesetz lasse die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung unter anderem zu, wenn erhebliche forstwirtschaftliche Schäden drohten, was beim Kläger der Fall sein könne. Im insoweit durchzuführenden Genehmigungsverfahren sei diese Frage abschließend zu prüfen und zu beurteilen.

OLG Hamm, Urteil vom 29.05.2017 - 5 U 153/15

Redaktion beck-aktuell, 29. Mai 2017.