EGMR: Muslimische Mädchen müssen zum Schwimmunterricht

Muslimische Töchter sind zur Teilnahme am gemischten Schwimmunterricht verpflichtet. Die zuständigen Behörden dürfen der Schulpflicht und der Integration der Kinder Vorrang einräumen gegenüber dem religiös begründeten Wunsch der Eltern nach einer Befreiung. Dies hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg mit Urteil vom 10.01.2017 entschieden (Az.:29086/12).

EGMR verneint Verstoß gegen Religionsfreiheit

Geklagt hatten vorliegend ein Vater und eine Mutter aus Basel in der Schweiz. Ihnen waren Bußgelder auferlegt worden, weil sie sich geweigert hatten, ihre Töchter zum gemeinsamen Schwimmunterricht mit Jungen zu schicken. Die Straßburger Richter sahen in dem Bußgeldbescheid keinen Verstoß gegen die Religionsfreiheit. Sie argumentierten, die Schule spiele eine besondere Rolle bei der sozialen Integration, insbesondere von Kindern ausländischer Herkunft. Die Kläger kommen ursprünglich aus der Türkei, sie haben mittlerweile aber auch die Schweizer Staatsbürgerschaft.

Alter der Mädchen für EGMR nicht entscheidend

Außerdem sei der Sportunterricht wichtig für die Entwicklung und die Gesundheit der Kinder. Dabei gehe es nicht nur darum, das Schwimmen zu lernen, sondern vor allem auch darum, gemeinsam mit allen Schülern an einer Aktivität teilzunehmen - unabhängig von der Herkunft oder der religiösen Überzeugung der Eltern. Im Übrigen hätten die Behörden den Eltern angeboten, dass die Mädchen einen Ganzkörperbadeanzug «Burkini») tragen und sich getrennt von den Jungen umziehen können. Das Alter der Mädchen spielte für das Urteil der Straßburger Richter keine Rolle. Die Schweizer Justiz hatte eine Ausnahme von der Teilnahmepflicht noch mit der Begründung abgelehnt, dass die Mädchen die Pubertät noch nicht erreicht hatten.

Befreiung vom Schwimmunterricht auch Streitthema vor deutschen Gerichten

Auch in Deutschland ziehen immer wieder Eltern vor Gericht, die ihre Töchter und Söhne von den Stunden im Hallenbad befreien lassen möchten. 2013 lehnte das Bundesverwaltungsgericht die Klage einer Frankfurter Schülerin ab. Leicht bekleidete junge Männer seien in Deutschland im Sommer überall zu sehen. Der Anblick leicht bekleideter männlicher Schüler im Schwimmbad beinträchtige die 13-Jährige somit nur “geringfügig“ in ihrer Glaubensfreiheit. Der staatliche Bildungs- und Erziehungsauftrag überwiege. Im Übrigen sei ein Ganzkörperbadeanzug (“Burkini“) ein akzeptabler Kompromiss. Eine Verfassungsbeschwerde der Frankfurter Schülerin gegen das Urteil wurde 2016 nicht zur Entscheidung angenommen, sodass eine Einschätzung der Karlsruher Richter bislang aussteht.

Deutsche Richter stellen zum Teil auf das Einsetzen der Pubertät ab

Das Oberverwaltungsgericht Bremen hielt 2012 für einen Anspruch auf Befreiung vom Schwimmunterricht das Einsetzen der Pubertät für ausschlaggebend - auf jeden Fall aber die Vollendung des zwölften Lebensjahrs. Die Klage einer muslimischen Drittklässlerin lehnte es daher ab. 2009 gab das Oberverwaltungsgericht Münster einer Schulleiterin Recht, die einen Befreiungsantrag für eine elfjährige Muslimin abgelehnt hatte. Die Mutter hatte bei den Aufnahmegesprächen für das Düsseldorfer Gymnasium unterschrieben, dass sie mit der Teilnahme ihrer Tochter am Schwimmunterricht mit Jungen und auch an mehrtägigen Klassenfahrten einverstanden sei. Nicht die Tochter, sondern der Sohn sollte in einem weiteren Fall vom Schwimmunterricht befreit werden. Mit diesem Anliegen scheiterten die muslimischen Eltern 2005 vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf jedoch. Sie hatten argumentiert, ihr Sohn solle Schülerinnen in Badeanzügen und Bikinis weder sehen noch womöglich sogar berühren.

EGMR, Urteil vom 10.01.2017 - 29086/12

Redaktion beck-aktuell, 10. Januar 2017 (dpa).