Deutscher Richterbund kritisiert Verordnungsvorschlag der EU-Kommission zur Vermögensabschöpfung

Der Deutsche Richterbund bezweifelt in seiner Stellungnahme vom April 2017 zum Verordnungsentwurf der Europäischen Kommission über die gegenseitige Anerkennung von Sicherstellungs- und Einziehungsentscheidungen, ob die deutschen, zivilrechtlich ausgestalteten Einziehungsentscheidungen unter die künftige Verordnung fallen werden. Denn nach seiner Ansicht bietet Art. 82 Abs. 1 AEUV, der sich auf "Strafsachen" bezieht, insoweit keine ausreichende Rechtsgrundlage für eine Verordnung.

Keine ausreichende Rechtsgrundlage für Erlass einer Verordnung

Der Deutsche Richterbund bezweifelt, dass die angestrebte weitere Harmonisierung des Rechts der grenzüberschreitenden Vermögensabschöpfung im Rahmen einer Verordnung umgesetzt werden kann. Aus seiner Sicht fehlt dafür eine entsprechende Kompetenz der EU. Art. 82 Abs. 1 AEUV, auf den sich die Kommission stütze, biete eine Rechtsgrundlage für den Erlass von Maßnahmen "in Strafsachen". Nach Ansicht des Verbandes können davon aber nur solche Verfahren umfasst sein, die zu einem Strafübel führen. Es genüge nicht, wenn eine Entscheidung lediglich einen Bezug zu einer Straftat habe. Maßnahmen zur gegenseitigen Anerkennung von Entscheidungen aus zivil- und verwaltungsrechtlichen Ansprüchen seien daher nicht von Art. 82 Abs. 1 AEUV gedeckt, selbst wenn sie im Rahmen eines Strafverfahrens festgesetzt werden. Einziehungsentscheidungen nach deutschem Recht fielen deshalb nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung. Denn das deutsche Recht sehe in der Vermögensabschöpfung kein Strafübel, sondern billige der Einziehung einen quasi-konditionellen (bereicherungsrechtlichen) Charakter zu. Für den Opferschutz gebe zudem Art. 82 Abs. 2 lit. c AEUV als einzig mögliches Rechtsinstrument zwingend die Richtlinie vor. Daher sei die gegenseitige Anerkennung von Entscheidungen, die dem Opferschutz dienten, über die vorgelegte Verordnung primärrechtlich nicht zulässig.

Reform des deutschen Rechts der Vermögensabschöpfung wird Justiz bereits erheblich belasten

Außerdem lehnt der Richterbund eine weitere Harmonisierung des Rechts der grenzüberschreitenden Vermögensabschöpfung mit Blick auf die Reform des deutschen Rechts der Vermögensabschöpfung zum gegenwärtigen Zeitpunkt ab. Dieses stehe vor wesentlichen Änderungen. Die Opferentschädigung werde auf Staatsanwaltschaften und Insolvenzverwalter übertragen, die materiellen Vorgaben zur Einziehung würden teilweise geändert. Der Aufbau von Abschöpfungseinheiten bei den Staatsanwaltschaften und das Führen von Musterverfahren, um Rechtsklarheit hinsichtlich der Neuregelungen zu schaffen, würden die deutsche Strafjustiz in den nächsten Jahren erheblich fordern. Eine weitere Belastung durch grenzüberschreitende Abschöpfung mit dem Auftrag, die Vermögenswerte im Vollstreckungsmitgliedstaat Deutschland festzustellen und einzuziehen, würde die hiesige Justiz noch weiter fordern. Das Bundesjustizministerium solle daher in den Beratungen darauf hinwirken, dass die neuen von der Kommission angestrebten Regelungen erst dann in Kraft treten, wenn die Reform der Vermögensabschöpfung in Deutschland umgesetzt wurde und erste belastbare Erfahrungen mit dieser Neuregelung gesammelt werden konnten.

Klassische Rechtshilfe effektiv – Geltung der EU-Beschuldigtenrechte im Einziehungsverfahren zu klären

Ferner weist der Deutsche Richterbund darauf hin, dass eine erfolgreiche Vermögensabschöpfung eine gute Ausstattung von Staatsanwaltschaften und Gerichten sowie spezialisierte Einheiten der Polizei mit qualifiziertem Personal voraussetze. Der von der EU-Kommission gesehene Mangel an grenzüberschreitender Vermögensabschöpfung sei daher nur zu einem geringen Teil auf fehlende gesetzliche Grundlagen zurückzuführen, sondern zumeist auf die fehlende personelle Ausstattung der Justiz. Grenzüberschreitende Abschöpfung funktioniere auch dann, wenn sie über die klassische Rechtshilfe läuft, so der Verband. Geklärt werden muss nach seiner Auffassung darüber hinaus, inwieweit die europäischen Beschuldigtenrechte im Strafverfahren und die Grundrechte der Charta, insbesondere das "ne bis in idem" des Art. 50, für das Einziehungsverfahren gelten, auch wenn die Basis der Entscheidungen zivil- oder verwaltungsrechtlicher Natur sei.

Redaktion beck-aktuell, 18. April 2017.