DAV kritisiert EGMR für Umgang mit Verfahren aus der Türkei

Der Deutsche Anwaltverein (DAV) fordert, die Hürden für Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu senken, soweit Fälle aus der Türkei betroffen sind. Von einem funktionierenden Rechtsstaat in der Türkei könne nicht gesprochen werden, so der DAV. Die staatlichen Repressionen hätten nun endgültig auch die Anwaltschaft in der Türkei erreicht. Dies zeigten die jüngsten Verhaftungen von Rechtsanwälten. Der EGMR dürfe sich vor diesem Hintergrund nicht hinter Formalien verstecken.

Abkommen stellt Bedeutung freier Anwaltschaft heraus

Aufgrund dieser Entwicklungen hätten Vertreter des DAV und der Union der türkischen Rechtsanwaltskammern ein Freundschaftsabkommen in Ankara unterschrieben. In dem vom Präsidenten der Union der türkischen Rechtsanwaltskammern Metin Feyzioğlu und dem DAV-Präsidenten Ulrich Schellenberg unterzeichneten Abkommen stellen beide Seiten die Bedeutung einer freien Anwaltschaft für den Rechtsstaat heraus. So heißt es in dem Abkommen unter anderem, dass es Waffengleichheit zwischen Bürger und Staat nur geben kann, wenn das Recht auf ungehinderte Ausübung der anwaltlichen Tätigkeit garantiert wird. Auch unterstehe das Verhältnis zwischen Mandanten und Rechtsanwälten dem besonderen staatlichen Schutz und sei frei von staatlicher Einflussnahme.

Schellenberg: EGMR darf sich nicht hinter Formalien verstecken

In Ankara forderte Schellenberg zudem, die formellen Anforderungen an türkische Verfahren vor dem EGMR nicht über Gebühr zu strapazieren. "Der Europäische Gerichtshof für Menschenrecht sollte sich im Fall der Türkei nicht hinter formellen Anforderungen wie der Rechtswegerschöpfung verstecken“, sagte Schellenberg. Wenn die Verfahren vor dem EGMR immer wieder mit der Begründung verworfen würden, in der Türkei hätten die Betroffenen nicht alle Instanzen ausgeschöpft, so sei das ein fatales Zeichen.

Rechtlicher Hintergrund

Eine Beschwerde wegen Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention ist beim EGMR nur zulässig, wenn der Beschwerdeführer bestimmte Voraussetzungen erfüllt. Hierzu zählt, dass zunächst der nationale Rechtsweg erschöpft werden muss. Allerdings muss der nationale Rechtsweg ausnahmsweise nicht erschöpft werden, wenn das unzumutbar erscheint.

Schellenberg: Türkei nicht mit anderen europäischen Ländern vergleichbar

"Die Türkei ist aus rechtsstaatlicher Sicht nicht mit anderen Ländern in Europa zu vergleichen“, sagte Schellenberg. Dies müsse auch beim EGMR berücksichtigt werden. "Wenn in einem Land innerhalb kürzester Zeit fast ein Drittel aller Richter und Staatsanwälte verhaftet werden und eine freie Anwaltschaft aufgrund von Repressionen faktisch nicht existiert, dann steht die Frage der Unzumutbarkeit des Rechtsweges in einem anderen Lichte", so der DAV-Präsident. Die Betroffenen kämen so einfach nicht zu ihrem Recht.

Redaktion beck-aktuell, 19. Juni 2017.