BVerwG: Zeitlich begrenzte Fortgeltung der Rechtsschutzbeschränkung in § 35 Abs. 5 TKG mit EU-Recht vereinbar

Die vom Bundesverfassungsgericht (BeckRS 2016, 55864) angeordnete zeitlich begrenzte Fortgeltung der inzwischen verfassungswidrig gewordenen Rechtsschutzbeschränkung in § 35 Abs. 5 Satz 2 und 3 TKG ist nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts mit EU-Recht vereinbar. Dies geht aus einem Urteil vom 29.03.2017 hervor, wonach die Genehmigung von Entgelten für Leistungen im Zusammenhang mit Interconnection-Anschlüssen, die die Bundesnetzagentur (BNetzA) der Telekom Deutschland GmbH für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 30.11.2016 erteilt hatte, teilweise rechtswidrig war (Az.: 6 C 1.16).

Rechtsschutzbeschränkung erstmals nach BVerfG-Entscheidung angewendet

Die BNetzA habe ihren Beurteilungsspielraum für die Auswahl der Methode zur Berechnung des Anlagevermögens im Rahmen der Ermittlung der Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung rechtsfehlerhaft ausgefüllt, so das BVerwG. Die über diese Rechtsfrage hinausgehende Bedeutung des Urteils bestehe darin, dass das BVerwG zum ersten Mal die in § 35 Abs. 5 Satz 2 und 3 TKG enthaltene Regelung anwenden musste, nachdem das BVerfG auf Vorlage des BVerwG über deren Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz entschieden hatte. Wie das BVerwG erläutert, schränkt die Regelung den gerichtlichen Rechtsschutz gegen Entgeltgenehmigungen der BNetzA insoweit ein, als eine rückwirkende Korrektur zu niedrig festgesetzter Entgelte nur möglich ist, wenn – was hier nicht der Fall gewesen sei – bereits ein Eilantrag des regulierten Unternehmens auf vorläufige Anordnung eines höheren Entgelts erfolgreich war.

Rückwirkende Korrektur wegen angeordneter Fortgeltung der Rechtsschutzbeschränkung ausgeschlossen

Das BVerfG habe entschieden, dass die Regelung ursprünglich mit der Garantie effektiven Rechtsschutzes in Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG vereinbar gewesen, jedoch verfassungswidrig geworden sei, weil das mit ihr verfolgte Ziel der Förderung des Wettbewerbs die differenzierungslose Rechtsschutzbeschränkung mittlerweile nicht mehr trage. Es habe dem Gesetzgeber aufgegeben, bis spätestens zum 31.07.2018 zu ermitteln, ob eine Wettbewerbsförderung in Gestalt einer Rechtsschutzbeschränkung weiterhin erforderlich sei und gegebenenfalls eine differenzierende Regelung zu erlassen, wobei es einer rückwirkenden Umgestaltung der Rechtslage nicht bedürfe. Das BVerfG habe die Fortgeltung des § 35 Abs. 5 Satz 2 und 3 TKG mit einer entsprechenden zeitlichen Beschränkung angeordnet. Das BVerwG sah sich daher gehindert, die BNetzA zur rückwirkenden Neubescheidung des Entgeltantrags der Klägerin zu verpflichten. Es habe nur die Rechtswidrigkeit der erteilten Entgeltgenehmigung feststellen können.

Zeitlich begrenzte Fortgeltung der Rechtsschutzbeschränkung mit EU-Recht vereinbar

Laut BVerwG ist es offenkundig, dass die zeitlich begrenzte Fortgeltung der verfassungswidrig gewordenen Regelung in § 35 Abs. 5 Satz 2 und 3 TKG auch mit dem in Art. 4 Abs. 1 der Rahmenrichtlinie 2002/21/EG gewährleisteten Grundsatz eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes vereinbar ist. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs könnten die Mitgliedstaaten die entsprechenden Regeln unter Beachtung der Anforderungen, die sich aus den Grundsätzen der Äquivalenz und der Effektivität ergäben, im Rahmen ihrer Verfahrensautonomie treffen. Diese Grundsätze würden durch die vorübergehende Fortgeltung von § 35 Abs. 5 Satz 2 und 3 TKG, die dem schonenden Übergang von der verfassungswidrig gewordenen zu einer verfassungsmäßigen Rechtslage diene, nicht verletzt. Das BVerwG betont in diesem Zusammenhang, dass das Verwaltungsgericht, das mit einem Eilantrag eines regulierten Unternehmens auf Anordnung eines höheren Entgelts nach § 123 VwGO in Verbindung mit § 35 Abs. 5 Satz 2 TKG befasst sei, nur eine Wahrscheinlichkeitsprognose treffen und dabei die gravierende Erschwerung des Rechtsschutzes, die dem Unternehmen ansonsten drohe, vor Augen haben müsse.

BVerwG, Urteil vom 29.03.2017 - 6 C 1.16

Redaktion beck-aktuell, 30. März 2017.