BVerwG: Auch anerkannte Flüchtlinge können unter Umständen ausgewiesen werden

Auch ein anerkannter Flüchtling darf (hier: wegen Unterstützung der PKK) ausgewiesen werden. Dabei ist allerdings der besondere Ausweisungsschutz von Flüchtlingen zu beachten. Führt die Ausweisung wegen der dem Ausländer im Herkunftsland drohenden Gefahren nicht zu einer Aufenthaltsbeendigung, kann er sich weiterhin auf die einem Flüchtling nach dem Unionsrecht zustehenden Rechte berufen. Das hat am 22.02.2017 der 1. Revisionssenat des Bundesverwaltungsgerichts entschieden (Az.: 1 C 3.16).

Türkischer Flüchtling wurde wegen PKK-Unterstützung ausgewiesen

Der Entscheidung lag der Fall eines türkischen Staatsangehörigen kurdischer Volkszugehörigkeit zugrunde, der seit 20 Jahren mit seiner Frau und seinen sieben Kindern in Deutschland lebt. Dem Kläger wurde im Oktober 1997 wegen seines prokurdischen Engagements in der Türkei die Flüchtlingseigenschaft nach dem damaligen § 51 Abs. 1 Ausländergesetz zuerkannt und es wurde zu seinen Gunsten ein Abschiebungsverbot wegen drohender Verletzung seiner Rechte nach der EMRK festgestellt. Im Dezember 2009 wurde ihm eine Niederlassungserlaubnis erteilt. Im Januar 2012 wurde er wegen Unterstützung der terroristischen Vereinigung PKK ausgewiesen. Zugleich wurde er verpflichtet, sich zweimal wöchentlich bei der zuständigen Polizeidienststelle zu melden. Sein Aufenthalt wurde auf den Bereich der Stadt Mannheim beschränkt. Die hiergegen erhobene Klage hatte in den Vorinstanzen nur insoweit Erfolg, als das Verwaltungsgericht die Ausländerbehörde dazu verpflichtete, das mit der Ausweisung kraft Gesetzes eingetretene Einreise- und Aufenthaltsverbot auf acht Jahre zu befristen.

BVerwG: Behördliche Ermessensentscheidung zu Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots erforderlich

Das BVerwG hat die Ausländerbehörde verpflichtet, eine eigene Ermessensentscheidung zur Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots zu treffen, und die Revision des Klägers im Übrigen zurückgewiesen. Der 1. Revisionssenat hat die Ausweisung des Klägers an dem seit 01.01.2016 geltenden neuen Ausweisungsrecht gemessen. Dieses stehe im Einklang mit der Stillhalteklausel des Assoziationsrechts EWG-Türkei, weil es in der gebotenen Gesamtschau auch unter Berücksichtigung des Systemwechsels von einer Ermessensentscheidung zu einer gebundenen Entscheidung für türkische Staatsangehörige nicht zu einer Verschlechterung führe.

Besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse gegeben

Im Fall des Klägers liege aufgrund der Tatsachenfeststellungen des Verwaltungsgerichtshofs ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinn des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vor, weil er die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährde. Er unterstütze seit mehr als zehn Jahren durch Aktivitäten in Deutschland die in der Türkei agierende Kurdenpartei PKK, eine terroristische Vereinigung. Der Kläger habe sich als Vorstandsmitglied in PKK-nahen Vereinen sowie als Versammlungsleiter und Redner auf entsprechenden Veranstaltungen engagiert. Das lasse nach den Feststellungen des VGH erkennen, dass er sich den Zielen der PKK verpflichtet fühlt und deren als terroristisch zu qualifizierendes Handeln zumindest billigt.

Abschiebung nicht zu befürchten

Die Ausweisung sei trotz der Anerkennung des Klägers als Flüchtling und weiterer zu seinen Gunsten sprechender Belange verhältnismäßig, zumal eine tatsächliche Beendigung seines Aufenthalts wegen eines zwingenden Abschiebungsverbotes (Art. 3 EMRK) nicht in Frage komme, so das BVerwG weiter. Die Ausweisung führe lediglich zum Erlöschen des Aufenthaltstitels.

Auch nach EuGH-Rechtsprechung Aufenthaltstitel entziehbar

Die Ausweisung habe auch trotz des besonderen Schutzes ergehen dürfen, den ein anerkannter Flüchtling genießt (§ 53 Abs. 3 AufenthG). Auch die Richtlinie 2011/95/EU (EU-Anerkennungsrichtlinie) stehe der Ausweisung des Klägers ohne Aufenthaltsbeendigung nicht entgegen. Die Ausweisung führe zwar kraft Gesetzes zum Erlöschen seines Aufenthaltstitels. Nach einem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 24.06.2015 (BeckRS 2015, 80822) dürfe einem Flüchtling der Aufenthaltstitel aber entzogen werden, wenn – wie hier – zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung vorliegen (Art. 24 EU-Anerkennungsrichtlinie). Nach diesem Urteil blieben dem Ausländer aber – solange er den Flüchtlingsstatus besitzt – die ihm nach dem Unionsrecht als Flüchtling zustehenden Rechte erhalten. Dazu gehörten unter anderem das Recht auf Ausübung einer Erwerbstätigkeit, der Zugang zu Bildung und zu weiteren sozialen Rechten. Diese Rechte dürften, auch soweit sie nach nationalem Recht an den Besitz eines Aufenthaltstitels anknüpfen, von den zuständigen Behörden daher nicht mit der Begründung versagt werden, dass der Aufenthalt des Flüchtlings infolge der Ausweisung rechtswidrig geworden ist.

Aufenthalt darf räumlich beschränkt werden

Allerdings dürften nach Art. 33 EU-Anerkennungsrichtlinie zusammen mit der Ausweisung der Aufenthalt räumlich beschränkt und Meldeauflagen verfügt werden, weil derartige Maßnahmen aus Gründen der öffentlichen Sicherheit auch gegenüber sich rechtmäßig in Deutschland aufhaltenden Ausländern zulässig seien (§ 12 Abs. 2 Satz 2 AufenthG).

Ausländerbehörde muss Ermessensentscheidung treffen

Da über die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach aktueller Rechtslage von der Ausländerbehörde nach Ermessen zu entscheiden sei, sei die vom VG ausgesprochene Befristungsentscheidung aufzuheben und der Beklagte zur Bescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des BVerwG zu verpflichten, so das BVerwG abschließend.

BVerwG, Urteil vom 22.02.2017 - 1 C 3.16

Redaktion beck-aktuell, 23. Februar 2017.