BVerfG: Verfassungsbeschwerde von Krankenhausbetreibern gegen Mindestmenge bei Behandlung Frühgeborener unzulässig

Mehrere Krankenhausbetreiber sind mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen die Einführung einer Mindestmenge von Versorgungsfällen bei der Krankenhausbehandlung von Früh- und Neugeborenen mit höchstem Risiko als Mittel der Qualitätssicherung gescheitert. Das Bundesverfassungsgericht hat die Beschwerde mit Beschluss vom 06.10.2016 für unzulässig erachtet und nicht zur Entscheidung angenommen. Die Krankenhausbetreiber, die eine Verbesserung der Versorgungsqualität durch die Neuregelung in Frage stellten, hätten ihre Verfassungsbeschwerde nicht ausreichend begründet (Az.: 1 BvR 292/16).

Krankenhausbetreiber rügten Mindestmenge für Frühgeborene

Die Beschwerdeführer sind Betreiber von Krankenhäusern mit sogenannten Level-1-Perinatalzentren, die teils in kirchlicher, teils in kommunaler Trägerschaft stehen. Allein Krankenhäuser mit Perinatalzentren des Level 1 sind nach einem vom Gemeinsamen Bundesausschuss vorgesehenen Konzept für die Krankenhausbehandlung von Früh- und Neugeborenen mit höchstem Risiko zuständig (insbesondere für Frühgeborene mit einem geschätzten Geburtsgewicht von unter 1250 Gramm oder einem Alter von weniger als der 29. Schwangerschaftswoche). Zur Qualitätssicherung bei der Krankenhausbehandlung kann der Gemeinsame Bundesausschuss im Beschlusswege für zugelassene Krankenhäuser unmittelbar verbindliche Regelungen erlassen. 2010 legte der Gemeinsame Bundesausschuss für Level-1-Zentren eine verbindliche Mindestmenge von 14 Level-1-Geburten pro Jahr fest. Wird die festgelegte Mindestmenge voraussichtlich nicht erreicht, dürfen die Krankenhäuser entsprechende Leistungen nicht bewirken. Tun sie es dennoch, steht ihnen kein Vergütungsanspruch zu. Die Beschwerdeführer klagten ohne Erfolg gegen die Einführung der Mindestmenge. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügten sie insbesondere die Verletzung der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) sowie des Rechts auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG). 

BVerfG: Beschwerdebefugnis in Bezug auf Berufsfreiheit nicht dargetan

Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Sie sei unzulässig. Die Beschwerdeführer hätten, soweit es nicht um den behaupteten Verstoß gegen das Recht auf den gesetzlichen Richter gehe, nicht hinreichend konkret dargetan, dass sie beschwerdebefugt sind. Für die Beschwerdeführer in kommunaler Trägerschaft ergebe sich die fehlende Beschwerdebefugnis bereits daraus, dass sie sich überwiegend in öffentlicher Hand befinden und daher nicht grundrechtsfähig sind.

Gegenwärtige Betroffenheit nicht hinreichend dargelegt

Vor allem aber sei nicht hinreichend dargelegt, dass die Beschwerdeführer durch die Festsetzung der Mindestmenge von jährlich 14 Level-1-Geburten gegenwärtig in ihren materiellen Grundrechten verletzt sein könnten. Zur Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde gehöre, dass die Beschwerdeführer ihre gegenwärtige und unmittelbare Betroffenheit in eigenen Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten ausreichend darlegen. Gegenwärtig sei die Betroffenheit, wenn die angegriffene Vorschrift auf die Rechtsstellung der Beschwerdeführer aktuell und nicht nur virtuell einwirke, wenn die Norm ihre Adressaten mit Blick auf ihre künftig eintretenden Wirkungen zu später nicht mehr korrigierbaren Entscheidungen zwinge oder wenn klar abzusehen sei, dass und wie die Beschwerdeführer in der Zukunft von der Regelung betroffen sein werden. Allein die vage Aussicht, dass einer der Beschwerdeführer irgendwann einmal in Zukunft von der Norm und ihren Auswirkungen betroffen sein könnte, genüge hingegen nicht.

Mögliches Absinken der Level-1-Geburten auf unter 14 pro Jahr nicht dargetan

Laut BVerfG wird die Begründung der Verfassungsbeschwerde diesen Maßstäben nicht gerecht. Da die Beschwerdeführer nicht geltend gemacht hätten, durch die Mindestmengenfestsetzung bislang einen konkreten Nachteil erlitten zu haben, hätten sie substantiiert darlegen müssen, dass aufgrund der Zahl der von ihnen betreuten Level-1-Geburten und deren Entwicklung absehbar sei, dass sie von der angegriffenen Regelung nachteilig betroffen sein werden. Das sei der Begründung der Verfassungsbeschwerde nicht zu entnehmen. Alle beschwerdeführenden Kliniken in kirchlicher Trägerschaft wiesen sogar Fallzahlen von im Schnitt über 20 Level-1-Geburten jährlich aus, so dass jedenfalls für diese Beschwerdeführer in Ermangelung näherer Darlegungen nicht nachvollziehbar sei, ob und welcher Beschwerdeführer ein Absinken der Level-1-Geburten auf unter 14 pro Jahr konkret zu befürchten hätte.

Ausnahme vom Erbringungsverbot nicht erörtert

Das BVerfG weist weiter darauf hin, dass die für die Krankenhausplanung zuständigen Landesbehörden Leistungen bestimmen könnten, bei denen die Anwendung der Mindestmengenregelung die Sicherstellung der Versorgung gefährden könnte, und dass sie auf dieser Grundlage das Erbringungsverbot und den Wegfall des Vergütungsanspruchs für nicht anwendbar erklären könnten. Auch mit diesem Aspekt hätten sich die Beschwerdeführer in ihrer Verfassungsbeschwerde auseinandersetzen müssen, moniert das BVerfG.

Auseinandersetzung mit neuer Härteklausel fehlt

Schließlich beanstandet das BVerfG, dass die Verfassungsbeschwerde nicht auf eine zwischenzeitlich eingeführte Neuregelung eingehe, wonach der Gemeinsame Bundesausschuss bei den Mindestmengenfestlegungen Ausnahmetatbestände und Übergangsregelungen vorsehen solle, um unbillige Härten insbesondere bei nachgewiesener hoher Qualität unterhalb der festgelegten Mindestmenge zu vermeiden. Eine Auseinandersetzung mit dieser Neuregelung wäre notwendig gewesen. Dies gelte umso mehr, als die bisherige, nunmehr aber in nicht unerheblichem Maße zugunsten der Krankenhäuser geänderte Rechtslage offenbar nicht zu konkret nachteiligen Folgen für die Beschwerdeführer geführt habe. Nach allem sei eine Auseinandersetzung mit den inhaltlichen Argumenten der Beschwerdeführer, vor allem mit den durchaus gewichtigen Zweifeln an der demokratischen Legitimation des Gemeinsamen Bundesausschusses als Institution nicht veranlasst.

Verletzung des Rechts auf gesetzlichen Richter nicht ausreichend dargelegt

Eine Verletzung im grundrechtsgleichen Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) durch die angegriffenen Entscheidungen ist laut BVerfG ebenfalls nicht hinreichend substantiiert dargetan. Die Beschwerdeführer machten nicht deutlich, warum in der Feststellung von Tatsachen durch das Bundessozialgericht ein Verstoß gegen dieses Recht liegen solle. Sie setzten sich weder näher mit dem Begriff der generellen Tatsache, die das Revisionsgericht zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung anerkanntermaßen selbst feststellen könne, noch damit auseinander, warum im konkreten Fall die Willkürgrenze überschritten sein könnte. Zudem sei weder die Rüge, ein Verstoß gegen das Recht auf den gesetzlichen Richter ergebe sich aus der fehlenden Vorlage an den Großen Senat des Bundessozialgerichts, noch der Vorwurf, das Landessozialgericht habe gegen das Recht auf den gesetzlichen Richter verstoßen, hinreichend substantiiert dargetan.

BVerfG, Beschluss vom 06.10.2016 - 1 BvR 292/16

Redaktion beck-aktuell, 7. Dezember 2016.