BVerfG: "Gefährder" scheitert mit Verfassungsbeschwerde gegen Abschiebungsanordnung

§ 58a AufenthG, der die Abschiebung so genannter Gefährder regelt, ist mit dem Grundgesetz vereinbar. Dies hat das Bundesverfassungsgericht entschieden und mit Beschluss vom 24.07.2017 die Verfassungsbeschwerde eines algerischen Staatsangehörigen gegen eine auf diese Vorschrift gestützte Abschiebeanordnung nicht zur Entscheidung angenommen (Az.: 2 BvR 1487/17).

Abschiebung wegen vom Beschwerdeführer ausgehender Terrorgefahr

Der Beschwerdeführer, ein algerischer Staatsangehöriger, reiste erstmals Anfang 2003 in das Bundesgebiet ein. Im März 2017 ordnete der Senator für Inneres der Freien Hansestadt Bremen gemäß § 58a AufenthG seine Abschiebung nach Algerien an, verbunden mit einem unbefristeten Einreise- und Aufenthaltsverbot. Zur Begründung führte der Innensenator an, vom Beschwerdeführer gehe die Gefahr eines terroristischen Anschlags aus.

Beschwerdeführer hält § 58a AufenthG für verfassungswidrig

Das Bundesverwaltungsgericht lehnte den Antrag des Beschwerdeführers gegen die Abschiebungsanordnung mit der Maßgabe ab, dass er erst nach Erlangung einer Zusicherung einer algerischen Regierungsstelle, dass ihm in Algerien keine menschenrechtswidrige Behandlung drohe, abgeschoben werden dürfe. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügte der Beschwerdeführer vornehmlich die formelle und materielle Verfassungswidrigkeit des § 58a AufenthG. Insbesondere habe der Vermittlungsausschuss diese Norm in seinen Einigungsvorschlag aufgenommen, ohne dass sie zuvor Gegenstand parlamentarischer Beratung gewesen sei.

BVerfG: Vorschrift formell ordnungsgemäß

Nach Auffassung des BVerfG ist § 58a AufenthG in formeller Hinsicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Die Kompetenz des Vermittlungsausschusses beschränke sich darauf, mit dem Beschlussvorschlag eine Brücke zwischen Regelungsalternativen zu schlagen, die bereits zuvor in den Gesetzgebungsorganen erörtert worden oder jedenfalls erkennbar geworden sind. Der Vermittlungsausschuss dürfe mit seinem Vorschlag weder ein ihm nicht zustehendes Gesetzesinitiativrecht beanspruchen noch das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren verkürzen und der öffentlichen Aufmerksamkeit entziehen. Die Reichweite eines Vermittlungsvorschlags sei deshalb durch diejenigen Regelungsgegenstände begrenzt, die bis zur letzten Lesung im Bundestag in das jeweilige Gesetzgebungsverfahren eingeführt waren.

Grenzen des Vermittlungsauftrages nicht überschritten

Nach diesen Maßstäben habe der Vermittlungsausschuss die Grenzen seines Vermittlungsauftrages bei Einführung des § 58a AufenthG nicht überschritten. Denn im parlamentarischen Verfahren komme die Forderung nach einer effektiven Abwehr terroristischer Aktivitäten unter anderem durch den Vorschlag lebenslanger Einreisesperren, die Erweiterung der Ausweisungstatbestände sowie die Reduzierung von gesetzlichen Abschiebungsverboten zum Ausdruck. Gemeinsamer Ausgangspunkt dieser Änderungsanträge sei es, entsprechende Regelungen bereits für den Fall des Terrorismusverdachts vorzusehen. Dass entsprechende Änderungsanträge bereits im Innenausschuss abgelehnt und im (ersten) Gesetzesbeschluss des Bundestages unberücksichtigt geblieben sind, sei unschädlich.

Bestimmtheitsgebot nicht verletzt

§ 58a AufenthG sei auch mit dem Bestimmtheitsgebot des GG vereinbar. Danach müsse eine gesetzliche Ermächtigung der Exekutive zur Vornahme von Verwaltungsakten nach Inhalt, Zweck und Ausmaß hinreichend bestimmt und begrenzt sein. Die von der Norm Betroffenen müssten die Rechtslage erkennen und ihr Verhalten danach einrichten können. Sie müssten in zumutbarer Weise feststellen können, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für die Rechtsfolge vorliegen. Gemessen hieran bestünden gegen § 58a AufenthG keine Bedenken. Denn die Vorschrift normiere mit der Anknüpfung an eine besondere Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland beziehungsweise an eine terroristische Gefahr Tatbestandsmerkmale, die jedenfalls hinreichend bestimmbar sind. Zudem habe das BVerwG die Tatbestandsvoraussetzungen konkretisiert und herausgearbeitet, worin die Unterschiede zwischen § 58a AufenthG und den allgemeinen Ausweisungstatbeständen liegen. Es habe dabei insbesondere in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise auf die besonderen von terroristischen Straftaten ausgehenden Gefahren abgestellt, die sich jederzeit und ohne großen Vorbereitungsaufwand realisieren können.

Bewertung im vorliegenden Einzelfall war rechtens

Auch die Handhabung der Vorschrift im vorliegenden Einzelfall begegne im Ergebnis keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Insbesondere habe das BVerwG die vom Beschwerdeführer ausgehende terroristische Gefahr nicht allein aus seiner ideologischen Überzeugung abgeleitet, sondern seine Überzeugung in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise als einen Baustein eines besonderen Gefährdungspotentials bewertet. Ferner sei die Bejahung einer in relevantem Umfang erhöhten Bereitschaft des Beschwerdeführers, seine religiös motivierten Ziele durch gewaltsame oder terroristische Methoden zu erreichen, auf der Grundlage der ausgewerteten umfangreichen Erkenntnismittel nicht zu beanstanden.

Erfordernis der Zusicherung nicht zu beanstanden

Die Entscheidung des BVerwG sei auch insofern verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, als sie die Abschiebung des Beschwerdeführers von einer von den algerischen Behörden zuvor einzuholenden Zusicherung abhängig macht. Welche konkreten Anforderungen an eine solche Zusicherung zu stellen sind, lasse sich nicht abstrakt beantworten, sondern hänge insbesondere von den Bedingungen im Abschiebezielstaat und den Umständen des Einzelfalles ab. Im vorliegenden Fall sei es von Verfassungs wegen erforderlich, dass die Zusicherung mit spezifischen Garantien verbunden ist, die eine Überprüfung der (eventuellen) Haftbedingungen des Beschwerdeführers im Fall von dessen Inhaftierung und insbesondere den ungehinderten Zugang zu seinen Prozessbevollmächtigten erlaubt. Zudem müsse der Beschwerdeführer vor seiner Abschiebung Gelegenheit haben, die Zusicherung zur Kenntnis zu nehmen und gegebenenfalls um Rechtsschutz nachzusuchen.

BVerfG, Beschluss vom 24.07.2017 - 2 BvR 1487/17

Redaktion beck-aktuell, 27. Juli 2017.