BVerfG: Richter nicht wegen Vorbeteiligung an angegriffener Verfassungsbeschwerdeentscheidung von Verfahren auszuschließen

Bei einer (unmittelbaren) Verfassungsbeschwerde gegen eine Verfassungsbeschwerdeentscheidung ist ein Bundesverfassungsrichter, der an letzterer beteiligt war, nicht wegen richterlicher Vorbefassung gesetzlich von der Mitwirkung am Verfahren ausgeschlossen. Dies hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 13.04.2017 entschieden und eine Verfassungsbeschwerde zur Frage der Beitragserhebung auf Kapitalleistungen der betrieblichen Altersversorgung nicht zur Entscheidung angenommen (Az.: 1 BvR 610/17).

Sachverhalt

Der Beschwerdeführer griff mit seiner Verfassungsbeschwerde auch frühere Entscheidungen des BVerfG an, die zwar inhaltlich vergleichbare Probleme, aber ganz andere Beschwerdeführer betrafen und an denen BVerfG-Vizepräsident Ferdinand Kirchhof und BVerfG-Richter Wilhelm Schluckebier beteiligt waren.

BVerfG: Gesetzlicher Mitwirkungsausschluss wegen richterlicher Vorbefassung eng auszulegen

Das BVerfG hat über die Verfassungsbeschwerde unter Mitwirkung von Vizepräsident Kirchhof und Richter Schluckebier entschieden. Beide seien weder von Gesetzes wegen noch auf Grund des vom Beschwerdeführer gestellten Befangenheitsantrags von der Mitwirkung ausgeschlossen gewesen. Die Mitwirkung an unanfechtbaren Entscheidungen des BVerfG führe nicht zu einem gesetzlichen Mitwirkungsausschluss wegen richterlicher Vorbefassung. Die Ausschlussregelung wegen der Beteiligung eines Richters an der Sache oder einer vorangegangenen Tätigkeit in derselben Sache sei als Ausnahmetatbestand gefasst und deshalb eng auszulegen.

Kein Ausschluss wegen Mitwirkung an angegriffener Verfassungsbeschwerdeentscheidung

Laut BVerfG kann deshalb regelmäßig nur eine Tätigkeit in dem jeweiligen Verfahren selbst oder einem diesem unmittelbar vorausgegangenen und ihm sachlich zugeordneten Verfahren zu einem Ausschluss führen. So könne verhindert werden, dass ein Richter eine in einem früheren Verfahrensstadium von ihm selbst verantwortete Entscheidung zu überprüfen habe, um damit eine unparteiische und unbefangene inhaltliche Prüfung zu gewährleisten. Bestehe aber von vornherein kein Raum für eine inhaltliche Prüfung der früheren Entscheidung, weil eine Verfassungsbeschwerde gegen eine Verfassungsbeschwerdeentscheidung ersichtlich unstatthaft sei, bestehe auch kein Anlass, die Richter, die an der ersten Entscheidung mitgewirkt haben, von der Ausübung des Richteramtes auszuschließen. Die beiden Richter könnten zudem aus den genannten Gründen auch an der Entscheidung über die Frage des Mitwirkungsausschlusses selbst mitwirken, da die Tätigkeit in den früheren Verfassungsbeschwerdeverfahren von vornherein nicht geeignet sei, einen Mitwirkungsausschluss zu begründen.

BVerfG, Beschluss vom 13.04.2017 - 1 BvR 610/17

Redaktion beck-aktuell, 18. Mai 2017.