BVerfG: NATO-Kapitalabfindungen auf Ruhegehalt von Bundeswehrangehörigen anrechenbar

Der Gesetzgeber darf Kapitalabfindungen aus einer Verwendung im öffentlichen Dienst einer zwischen- oder überstaatlichen Einrichtung (hier: NATO) auf das deutsche Ruhegehalt von Bundeswehrangehörigen anrechnen. Dies hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 23.05.2017 entschieden. Darin liege kein Verstoß gegen Art. 33 Abs. 5 GG (Az.: 2 BvL 10/11, 2 BvL 28/14).

Teilruhen des deutschen Ruhegehalts auch bei Kapitalabfindung

Das Gesetz über die Versorgung für die ehemaligen Soldaten der Bundeswehr (SVG) enthält - ebenso wie das Beamtenversorgungsgesetz - Ruhensvorschriften, die für das Zusammentreffen des Ruhegehalts mit anderen Versorgungsbezügen aus zwischenstaatlicher und überstaatlicher Verwendung gelten (§ 55b SVG). Die Ruhensvorschriften führen dazu, dass das den Bundeswehrangehörigen grundsätzlich zustehende Ruhegehalt teilweise nicht ausgezahlt wird. Dabei können auch einmalige Zahlungen in Form von Kapitalabfindungen im Zusammenhang mit einer Verwendung im öffentlichen Dienst einer zwischen- oder überstaatlichen Einrichtung zur Anwendung der Ruhensvorschriften führen.

Vorlagen: Wegen dauerhaften Teilruhens mögliches Übersteigen der Kapitalabfindung durch Ruhebetrag verfassungskonform?

Beide Vorlagen betreffen Bundeswehrangehörige, die für den Dienst in Einrichtungen der NATO beurlaubt waren und dort am Ende ihrer Dienstzeit zusätzlich zu ihren laufenden Bezügen eine Kapitalabfindung zur Altersversorgung erhalten hatten. Diese Abfindung hatte zur Folge, dass ein Teilbetrag der deutschen Versorgungsbezüge der Betroffenen nach ihrem Eintritt in den Ruhestand dauerhaft zum Ruhen gebracht wurde. Das Oberverwaltungsgericht Koblenz und das Verwaltungsgericht München setzten das jeweils dort anhängige Ausgangsverfahren aus, um die Entscheidung des BVerfG zur Verfassungsmäßigkeit der Vorschriften über die Auswirkungen von Kapitalabfindungen auf Ruhestandsbezüge zur Entscheidung einzuholen. Nach ihrer Ansicht sind die maßgeblichen Vorschriften verfassungswidrig, weil der Ruhensbetrag die gezahlte Kapitalabfindung übersteigen könne.

BVerfG: Zeitlich unbegrenztes Teilruhen mit Art. 33 Abs. 5 GG vereinbar

Das BVerfG hat die Vorlage des VG München bereits als unzulässig beurteilt. Die Vorlage des OVG Koblenz sei zwar zulässig, aber unbegründet. § 55b Abs. 3 Satz 1 SVG sei in den für die Vorlage maßgeblichen Fassungen von 1987 und 1989 mit dem Grundgesetz vereinbar. Maßstab der Prüfung seien dabei das Alimentations- und das Leistungsprinzip. Einen spezifischen hergebrachten Grundsatz des Berufsbeamtentums, der die Ruhegehaltfähigkeit von Zeiten im Dienste einer zwischen- oder überstaatlichen Einrichtung zwingend anordne oder untersage, oder einen solchen Grundsatz, nach dem sich der Umgang mit Kapitalabfindungen aus dem Dienst in zwischen- oder überstaatlichen Einrichtungen bestimme, gebe es hingegen nicht. Danach sei § 55b Abs. 3 Satz 1 SVG in beiden vorgelegten Fassungen nicht zu beanstanden. Laut BVerfG verletzt die Vorschrift insbesondere nicht den Grundsatz der amtsangemessenen lebenslangen Vollalimentierung.

Ruhensregeln sollen doppelte Berücksichtigung von Auslandsdienstzeiten als ruhegehaltfähig vermeiden

Wie das BVerfG ausführt, stufe das Soldatenversorgungsrecht in den für die Vorlage maßgeblichen Fassungen Zeiten im öffentlichen Dienst einer zwischen- oder überstaatlichen Einrichtung als ruhegehaltfähig ein. Diese die Kooperation der Bundeswehr mit zwischen- oder überstaatlichen Einrichtungen stärkende Einbeziehung von Auslandsdienstzeiten in die ruhegehaltfähige Dienstzeit führe für sich genommen zu einer Erhöhung der Bemessungsgrundlage für die späteren Ruhestandsbezüge und damit zu höheren Versorgungsleistungen von Seiten des deutschen Dienstherrn. Zur Vermeidung einer auf diese Weise typischerweise entstehenden Überversorgung durch die doppelte Berücksichtigung von Auslandsdienstzeiten als ruhegehaltfähig finde ein Ausgleich statt, wenn eine Verwendung im Dienst einer zwischen- oder überstaatlichen Einrichtung für den betroffenen Soldaten zu einem Anspruch auf Versorgungsleistungen durch diese Einrichtung geführt hat. Dieser Ausgleich werde dadurch herbeigeführt, dass das dem Soldaten zustehende deutsche Ruhegehalt teilweise zum Ruhen gebracht wird.

Ruhensbetrag bei laufender Versorgung auf diese beschränkt

Das BVerfG erläutert, dass zur Ermittlung des Ruhensbetrages zwischen einem Anspruch auf laufende Versorgung und dem Fall der Auszahlung einer Kapitalabfindung unterschieden werde: Sei eine im Auslandsdienst erworbene laufende Versorgung - die vom Eintritt in den Ruhestand an ausgezahlt werde - auszugleichen, so werde der monatliche Ruhensbetrag der deutschen Versorgungsbezüge auf den monatlichen Betrag der von der zwischen- oder überstaatlichen Einrichtung gewährten Versorgung beschränkt, so dass der Soldat insgesamt jedenfalls einen Betrag erhält, der den ihm nach deutschem Soldatenversorgungsrecht unter Einbeziehung der Auslandsdienstzeiten zustehenden Bezügen zu 100% entspricht.

Bei Kapitalabfindung kann Ruhensbetrag höher sein

Sei hingegen eine Versorgung in Form einer Kapitalabfindung auszugleichen, so würden die laufenden deutschen Versorgungsbezüge des Soldaten in einem Umfang zum Ruhen gebracht, der von der Länge der Auslandsverwendung abhänge. Das Ruhen werde in diesem Fall außerdem nach seiner Dauer und damit auch seinem betragsmäßigen Umfang jedoch nicht begrenzt. Dies könne dazu führen, dass der Ruhensbetrag im Lauf der Zeit den Nennbetrag oder auch einen dynamisierten Wert der erhaltenen Abfindung übersteigt. Dem Empfänger einer Kapitalabfindung stehe allerdings die Möglichkeit offen, die Abfindung an den Bund abzuführen und auf diese Weise das spätere Ruhen eines Teils seiner Versorgungsbezüge zu vermeiden.

Wechselwirkung zwischen Versorgung und Dienstleistung entfällt bei Dienst für überstaatliche Einrichtung

Das BVerfG fährt fort, dass Art. 33 Abs. 5 GG vorschreibe, dass Beamte über ein Nettoeinkommen verfügen müssten, das ihre rechtliche und wirtschaftliche Sicherheit und Unabhängigkeit gewährleiste und ihnen und ihren Familien über die Befriedigung der Grundbedürfnisse hinaus einen dem Amt angemessenen Lebenskomfort ermögliche. Dies gelte sowohl für das Gehalt während der aktiven Dienstzeit als auch für die Phase des Ruhestandes. Besoldung und Versorgung des Beamten und seiner Familie hätten ihre gemeinsame Wurzel im öffentlichen Dienst- und Treueverhältnis und müssten immer im Zusammenhang mit der Dienstverpflichtung und auch der Dienstleistung des Beamten oder Soldaten gesehen werden. Diese Wechselwirkung entfalle aber, wenn, wie vorliegend, als Folge einer Gewährung von Sonderurlaub ohne Dienstbezüge und Entsendung in ein fremdes Besoldungs-, Versorgungs- und Dienstleistungssystem eine unmittelbare Dienstleistung für den nationalen Dienstherrn nicht mehr erbracht wird, so dass den Gesetzgeber grundsätzlich keine verfassungsrechtlich zwingende Verpflichtung trifft, diese Zeiten überhaupt als ruhegehaltfähig einzustufen.

Gesetzgeber darf Ruhensvorschriften zur Vermeidung einer Doppel- oder Überversorgung erlassen

Zudem dürfe der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Besoldungs- und Versorgungssystems auch pauschalieren und typisieren, solange sich für die Gesamtregelung ein plausibler und sachlich vertretbarer Grund anführen lasse. Im Rahmen seines Gestaltungsspielraums dürfe der Gesetzgeber dabei durch Anrechnungs- und Ruhensvorschriften das Ziel verfolgen, eine Doppel- oder Überversorgung eines Beamten oder Soldaten zu vermeiden.

Grundsatz der amtsangemessenen lebenslangen Vollversorgung durch mögliche Nachteile bei Kapitalabfindung nicht verletzt

Laut BVerfG können sich der Empfang einer Kapitalabfindung von einer zwischen- oder überstaatlichen Einrichtung und das dadurch ausgelöste teilweise Ruhen der späteren deutschen Versorgung zwar wirtschaftlich nachteilig für die betroffenen Soldaten auswirken. Dennoch verletzten diese möglichen Konsequenzen einer ohne zeitliche Begrenzung ausgesprochenen Ruhensanordnung nicht den Grundsatz der amtsangemessenen lebenslangen Vollversorgung. Denn der Gesetzgeber habe davon ausgehen dürfen, dass eine am Ende der Auslandsdienstzeit ausgezahlte Kapitalabfindung im Hinblick auf die damit verbundenen vielfältigen Verwendungsmöglichkeiten für ihren Empfänger einen wirtschaftlichen Wert aufweisen oder erreichen kann, der bei typischem Verlauf die amtsangemessene Alimentation des Empfängers sicherstellt.

Wahlfreiheit hinsichtlich Abführung oder Einbehaltung der Kapitalabfindung nicht zu beanstanden

Zusätzlich habe der Betroffene die Wahl, die Abfindung an seinen Dienstherrn auszukehren und sich auf diese Weise einen ungekürzten Versorgunganspruch zu sichern. Er könne andererseits den Betrag vereinnahmen und verwenden, wenn seine persönlichen Lebensumstände und die wirtschaftliche Lage zum Zeitpunkt der Auszahlung die Prognose rechtfertigen, dass die spätere Verkürzung seiner Versorgungsbezüge durch eine Ruhensanordnung hinter den mit der Kapitalabfindung verbundenen positiven Effekten zurückbleiben wird. Dass er damit auch wirtschaftliche Risiken übernehme, liege auf der Hand und löse deshalb keine besonderen Aufklärungs- oder sonstigen Fürsorgepflichten des Dienstherrn aus. Die Eröffnung der Möglichkeit für den Soldaten oder Beamten, selbst über die Einbehaltung oder Abführung der Kapitalabfindung zu entscheiden, sei verfassungsrechtlich unbedenklich. Der Einwand, die zur Überprüfung gestellte Regelung sei schon deshalb verfassungswidrig, weil sie die Wahl zwischen einer verfassungskonformen und einer verfassungswidrigen Handlungsalternative eröffne, greife nicht durch, da beide zur Wahl stehenden Alternativen je für sich genommen verfassungsgemäß sind.

Keine gesetzgeberische Pflicht zur Einstufung von Dienstzeiten für überstaatliche Einrichtungen als ruhegehaltsfähig

Schließlich sei der Gesetzgeber nicht verpflichtet, die für eine zwischen- oder überstaatliche Einrichtung geleistete Dienstzeit überhaupt als ruhgehaltsfähig einzustufen, so das BVerfG weiter. Das Leistungsprinzip erfordere zwar, dass die beamtenrechtliche Versorgung die im Dienst erbrachte Lebensleistung des Beamten oder Soldaten und sein zuletzt erreichtes Statusamt widerspiegelt. Eine verfassungsrechtliche Pflicht zur versorgungsrechtlichen Berücksichtigung geleisteter Dienstzeiten treffe den Gesetzgeber dabei aber nur im Hinblick auf diejenigen Dienstzeiten, in denen der Soldat oder Beamte dem deutschen Dienstherrn gegenüber einen systemgerechten Versorgungsanspruch "erdient" habe. Das sei bei Zeiten im Dienste der NATO indes nicht der Fall.

Ungleichbehandlung von laufender Versorgung und Kapitalabfindung gerechtfertigt

Das BVerfG sieht auch keinen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Die Empfänger einer laufenden Versorgung aus dem über- oder zwischenstaatlichen Dienst und diejenigen, die nach ihrem über- oder zwischenstaatlichen Dienst eine Abfindung erhielten und nicht abgeliefert hätten, würden zwar unterschiedlich behandelt. Diese Ungleichbehandlung sei jedoch durch Sachgründe gerechtfertigt. Während der Empfänger einer laufenden Versorgung aus dem Dienst in einer über- oder zwischenstaatlichen Einrichtung vor dem Eintritt in den Ruhestand keine Möglichkeit habe, mit Hilfe dieser Versorgung wirtschaftliche Erträge zu erzielen, gelte dies für den Empfänger einer Kapitalabfindung nicht. Ihm stehe das Nutzungspotenzial der Abfindung während des gesamten Zeitraums vom Ende der Auslandsdienstzeit bis zum Eintritt in den Ruhestand zur Verfügung. Der Gesetzgeber habe für die Rechtfertigung der von ihm bei der pauschalierenden Unterscheidung zwischen laufender Versorgung und Kapitalabfindung in Kauf genommenen Ungleichbehandlung davon ausgehen dürfen, dass der wirtschaftliche und damit wertprägende Vorteil der Abfindung gerade in ihrer Vielseitigkeit und in der Möglichkeit einer typischerweise langfristigen Nutzung besteht, die eine dauerhafte Sicherung eigener Art ermögliche.

BVerfG, Beschluss vom 23.05.2017 - 2 BvL 10/11

Redaktion beck-aktuell, 22. Juni 2017.