BVerfG lehnt NPD-Verbot ab: Die ausführlichen Urteilsgründe

Der Versuch, die rechtsextreme NPD verbieten zu lassen, ist auch im zweiten Anlauf gescheitert. Das Bundesverfassungsgericht hat den Verbotsantrag des Bundesrats mit Urteil vom 17.01.2017 zurückgewiesen. Zwar verfolge die NPD verfassungsfeindliche Ziele, ihr fehle (zurzeit) aber das Potential, diese Ziele zu verwirklichen (Az.: 2 BvB 1/13).

BVerfG: NPD verfolgt verfassungsfeindliche Ziele

Der Bundesrat wollte gemäß Art. 21 Abs. 2 GG in Verbindung mit §§ 43 ff. BVerfGG die Verfassungswidrigkeit der NPD festgestellt wissen, weil die Partei nach ihren Zielen oder dem Verhalten ihrer Anhänger darauf aus sei, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen. Das BVerfG hat den Verbotsantrag zurückgewiesen. Das politische Konzept der NPD hielt das Gericht für auf die Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gerichtet, zu deren Kernelementen die Garantie der Menschenwürde und das Demokratieprinzip gehören.

Politisches Konzept der NPD verletzt Menschenwürde

Das BVerfG betont, dass das politische Konzept der NPD die Menschenwürde verletze, da die Partei die bestehende Verfassungsordnung durch einen an der ethnisch definierten "Volksgemeinschaft" ausgerichteten autoritären Nationalstaat ersetzen wolle. Der Volksbegriff der NPD negiere den Achtungsanspruch der Person und führe zur Verweigerung elementarer Rechtsgleichheit für alle, die nicht der ethnisch definierten "Volksgemeinschaft" im Sinn der NPD angehören. Das Politikkonzept der NPD sei auf die Ausgrenzung, Verächtlichmachung und weitgehende Rechtlosstellung von gesellschaftlichen Gruppen wie Ausländern, Migranten sowie religiösen und sonstigen Minderheiten gerichtet.

NPD-Ziele verstoßen gegen Demokratieprinzip

Darüber hinaus verstießen die Ziele der NPD auch gegen das Demokratieprinzip, so das BVerfG weiter. In einem durch die "Einheit von Volk und Staat" geprägten Nationalstaat im Sinne der NPD sei für eine Beteiligung ethnischer Nichtdeutscher an der politischen Willensbildung grundsätzlich kein Raum. Dieses Konzept widerspreche dem im menschenrechtlichen Kern des Demokratieprinzips wurzelnden Anspruch auf gleichberechtigte Teilhabe aller Staatsangehörigen an der politischen Willensbildung. Außerdem trete die NPD für die Abschaffung des bestehenden parlamentarisch-repräsentativen Systems und seine Ersetzung durch einen am Prinzip der "Volksgemeinschaft" orientierten Nationalstaat ein.

NPD mit Nationalsozialismus wesensverwandt

Zudem sieht das BVerfG die verfassungsfeindliche Gesinnung der NPD durch ihre Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus bestätigt. Das Konzept der "Volksgemeinschaft", die antisemitische Grundhaltung und die Verächtlichmachung der bestehenden demokratischen Ordnung ließen deutliche Parallelen zum Nationalsozialismus erkennen. Hinzu kämen das Bekenntnis zu Führungspersönlichkeiten der NSDAP, der punktuelle Rückgriff auf Vokabular, Texte, Liedgut und Symbolik des Nationalsozialismus sowie geschichtsrevisionistische Äußerungen, die eine Verbundenheit zumindest relevanter Teile der NPD mit der Vorstellungswelt des Nationalsozialismus dokumentierten.

Aber: Potential zur Umsetzung der verfassungsfeindlichen Ziele fehlt

Das BVerfG lehnt ein Verbot der NPD aber ab, weil das Tatbestandsmerkmal des "Darauf Ausgehens" im Sinne von Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG nicht erfüllt sei. Dafür genüge die verfassungsfeindliche Gesinnung der NPD nicht. Vielmehr müsse die Partei darüber hinaus die Grenze zum Bekämpfen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung überschreiten. Dies setze voraus, dass sie sich durch aktives und planvolles Handeln für ihre Ziele einsetzt und auf die Beeinträchtigung oder Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung hinwirkt. Dabei fordert das BVerfG abweichend vom KPD-Urteil, dass konkrete Anhaltspunkte von Gewicht dafür vorliegen, dass die Partei das Potential hat, ihre verfassungsfeindliche Absicht zu realisieren. Anderenfalls sei ein Parteiverbot nicht erforderlich. Laut BVerfG stellt sich das Handeln der NPD zwar als qualifizierte Vorbereitung der von ihr angestrebten Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung dar. Es fehle jedoch an konkreten Anhaltspunkten von Gewicht, die eine Durchsetzung der von ihr verfolgten verfassungsfeindlichen Ziele möglich erscheinen lassen.

NPD hat kaum politischen Einfluss

Das BVerfG hält es für ausgeschlossen, dass die NPD ihre verfassungswidrigen Ziele mit parlamentarischen oder außerparlamentarischen demokratischen Mitteln erreichen könne. Das BVerfG schließt dies aus der geringen Bedeutung der NPD. Die NPD sei auf überregionaler Ebene gegenwärtig nur mit einem Abgeordneten im Europäischen Parlament vertreten. Die Wahlergebnisse bei Europa- und Bundestagswahlen stagnierten auf niedrigem Niveau. Die NPD habe es in den mehr als fünf Jahrzehnten ihres Bestehens nicht vermocht, dauerhaft in einem Landesparlament vertreten zu sein. Anhaltspunkte für eine künftige Veränderung dieser Entwicklung fehlten. In den Kommunalparlamenten sei ebenfalls weder ein bestimmender Einfluss der NPD auf die politische Willensbildung gegeben noch zukünftig zu erwarten.

Gesellschaftlicher Einfluss ebenfalls gering

Einer nachhaltigen Beeinflussung der außerparlamentarischen politischen Willensbildung durch die NPD steht laut BVerfG entgegen, dass die NPD weniger als 6.000 Mitglieder habe und ihre Aktionsmöglichkeiten damit erheblich eingeschränkt seien. Es sei nicht ersichtlich, dass sie ihre strukturellen Defizite und ihre geringe Wirkkraft durch ihre Öffentlichkeitsarbeit oder die Umsetzung der "Kümmerer-Strategie" im Wege "national-revolutionärer Graswurzelarbeit" kompensieren könnte. Auch fehlten Belege, dass es der NPD gelingt, mit ihren asyl- und ausländerpolitischen Aktivitäten zusätzliche Unterstützung für ihre verfassungsfeindlichen Absichten in relevantem Umfang zu gewinnen. Ebenso habe sie es nicht vermocht - abgesehen von punktuellen Kooperationen - ihre Wirkkraft in die Gesellschaft durch die Schaffung rechtsextremer Netzwerke unter ihrer Führung zu erhöhen.

Grundtendenz der NPD zu Gewalt nicht feststellbar

Ferner sei eine Grundtendenz der NPD, ihre verfassungsfeindlichen Absichten mit Gewalt oder durch die Begehung von Straftaten durchzusetzen, den im Verfahren geschilderten Einzelfällen (noch) nicht zu entnehmen. Der Kleinstort Jamel stelle einen Sonderfall dar, der nicht verallgemeinerungsfähig sei. Sonstige Beispiele erfolgreicher Umsetzung räumlicher Dominanzansprüche seien nicht ersichtlich. Konkrete Anhaltspunkte von Gewicht, die darauf hindeuteten, dass die NPD die Grenzen des zulässigen politischen Meinungskampfes in einer das Tatbestandsmerkmal des "Darauf Ausgehens" erfüllenden Weise überschreite, lägen daher ebenfalls nicht vor.

Einschüchterndes und kriminelles Verhalten mit polizei- und strafrechtlichen Mittel zu unterbinden

Schließlich sieht das BVerfG auch keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Schaffung einer Atmosphäre der Angst, die zu einer spürbaren Beeinträchtigung der Freiheit des Prozesses der politischen Willensbildung führe oder führen könnte. Der Umstand, dass die NPD durch einschüchterndes oder kriminelles Verhalten von Mitgliedern und Anhängern punktuell eine nachvollziehbare Besorgnis um die Freiheit des politischen Prozesses oder gar Angst vor gewalttätigen Übergriffen auslösen könne, sei zwar nicht zu verkennen, erreiche aber die durch Art. 21 Abs. 2 GG markierte Schwelle nicht. Auf Einschüchterung und Bedrohung sowie den Aufbau von Gewaltpotentialen müsse mit den Mitteln des präventiven Polizeirechts und des repressiven Strafrechts rechtzeitig und umfassend reagiert werden, um die Freiheit des politischen Prozesses ebenso wie einzelne vom Verhalten der NPD Betroffene wirkungsvoll zu schützen.

Voraussetzungen für Parteiverbot mit EGMR-Vorgaben vereinbar

Das BVerfG sieht die von ihm aufgestellten Anforderungen an die Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer Partei auch im Einklang mit den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte.

BVerfG, Urteil vom 17.01.2017 - 2 BvB 1/13

Redaktion beck-aktuell, 17. Januar 2017.