BVerfG: Grüne scheitern mit Eilanträgen auf Beschlussfassung des Rechtsausschusses über Ehe für gleichgeschlechtliche Paare

Die Bundestagsfraktion der Grünen ist mit ihren Eilanträgen auf eine zügige Beschlussfassung des Bundestagsrechtsausschusses über mehrere Gesetzentwürfe zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für gleichgeschlechtliche Paare (BT-Drs. 18/5098, 18/8 und 18/6665) gescheitert. Das Bundesverfassungsgericht hat die Anträge mit Beschluss vom 14.06.2017 abgelehnt, da die Hauptsache jedenfalls offensichtlich unbegründet wäre. Eine willkürliche Verschleppung der Beschlussfassung und damit eine missbräuchliche Handhabung des Gesetzesinitiativrechts sei nicht festzustellen (Az.: 2 BvQ 29/17).

Rechtsausschuss soll zügig über Gesetzentwürfe zur Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare beschließen

Die Bundestagsfraktion der Grünen (Antragstellerin) begehrt, den Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestages (Antragsgegner) im Weg der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, über drei weitgehend inhaltsgleiche Gesetzentwürfe der Antragstellerin (BT-Drs. 18/5098), der Bundestagsfraktion der Linken (BT-Drs. 18/8) und des Bundesrates (BT-Drs. 18/6665) zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für gleichgeschlechtliche Paare so zeitnah, spätestens aber am 28.06.2017, zu beschließen, dass eine Beschlussfassung des 18. Deutschen Bundestages hierüber in seiner letzten planmäßigen Sitzung am 30.06.2017 möglich ist. Die Gesetzentwürfe liegen dem Antragsgegner als federführendem Ausschuss seit Dezember 2013, Juni 2015 beziehungsweise November 2016 vor. Danach wurde die Behandlung der Gesetzentwürfe in den Sitzungen des Antragsgegners bis Mai 2017 in einer Vielzahl von Fällen vertagt.

BVerfG: Anträge wären im Hauptsacheverfahren offensichtlich unbegründet

Das BVerfG hat die Eilanträge abgelehnt. Dabei könne dahinstehen, ob ein noch einzuleitendes Hauptsacheverfahren überhaupt zulässig wäre. Laut BVerfG wären die Anträge jedenfalls offensichtlich unbegründet. Nach dem derzeitigen Verfahrensstand könne weder eine willkürliche Verschleppung der Beschlussfassung über die streitgegenständlichen Gesetzesvorlagen noch eine Entleerung des Gesetzesinitiativrechts der Antragstellerin festgestellt werden.

Verletzung des Befassungsanspruchs bei grundloser Beschlussverweigerung

Das BVerfG erläutert, aus dem Gesetzesinitiativrecht (Art. 76 Abs. 1 GG) folge das Recht des Initianten, dass das Gesetzgebungsorgan sich mit seinem Vorschlag beschäftigt. Es müsse darüber beraten und Beschluss fassen. Von einer Verletzung des Befassungsanspruchs sei auszugehen, wenn die Beratung und Beschlussfassung eines Gesetzentwurfs ohne sachlichen Grund gänzlich oder auf unbestimmte Zeit verweigert wird. In zeitlicher Hinsicht beinhalte das Befassungsrecht des Gesetzesinitianten die Pflicht des Gesetzgebungsorgans, über Vorlagen "in angemessener Frist" zu beraten und Beschluss zu fassen. Allerdings enthielten weder das Grundgesetz noch die Geschäftsordnung des Bundestages konkrete Vorgaben zur Bestimmung der Angemessenheit der Dauer einer Gesetzesberatung. Dies sei Konsequenz des Umstandes, dass letztlich eine abstrakte Bestimmung der Angemessenheit der Dauer einer konkreten Gesetzesberatung nicht möglich ist.

Angemessene Dauer einer Gesetzesberatung anhand des Einzelfalls zu beurteilen

Stattdessen bedürfe es einer Berücksichtigung sämtlicher Umstände des jeweiligen Einzelfalles sowohl hinsichtlich des konkreten Gesetzentwurfs als auch hinsichtlich weiterer die Arbeitsabläufe des Parlaments beeinflussender Faktoren. Dabei sei es grundsätzlich dem Parlament vorbehalten, die Prioritäten bei der Bearbeitung der ihm vorliegenden Angelegenheiten selbst zu bestimmen. Insbesondere folge aus dem Befassungsanspruch des Gesetzesinitianten keine Pflicht des Ausschusses oder des Bundestages, über sämtliche vorliegenden Gesetzesvorhaben innerhalb einer Legislaturperiode abschließend zu entscheiden. Vielmehr sei es hinzunehmen, dass vorliegende Gesetzentwürfe mit dem Ende der Legislaturperiode der Diskontinuität anheimfallen können.

Verletzung des Befassungsanspruchs kommt nur ausnahmsweise in Betracht

Laut BVerfG wird eine Verletzung des Anspruchs des Initianten auf Beratung und Beschlussfassung über seinen Gesetzentwurf daher allenfalls in Ausnahmefällen in Betracht kommen. Denkbar sei dies, wenn die Behandlung eines Gesetzentwurfs erkennbar ohne jeden sachlichen Grund verschleppt und auf diese Weise versucht wird, das Gesetzesinitiativrecht zu entleeren. Wann über ein Gesetzesvorhaben abzustimmen sei, bestimme sich allerdings - wie der vorliegende Fall zeige - gerade in politisch und gesellschaftlich umstrittenen Zusammenhängen auch nach Gesichtspunkten, die in stärkerem Maße das Ergebnis einer politischen Mehrheitsbildung als dasjenige einer rechtlich strukturierten und gerichtlich überprüfbaren Entscheidung seien.

Hier keine willkürliche Verschleppung der Beschlussfassung

Unter Anlegung dieser Maßstäbe kommt das BVerfG zu dem Ergebnis, dass das Gesetzesinitiativrecht im vorliegenden Fall nicht verletzt ist. Gegen die Annahme einer willkürlichen Verschleppung der Beschlussfassung über die streitgegenständlichen Gesetzentwürfe ohne jeden sachlichen Grund spreche, dass auch nach der Darstellung der Antragstellerin die regelmäßige Vertagung der Beratung und Beschlussfassung der vorgelegten Gesetzentwürfe durch den Antragsgegner Teil eines nicht abgeschlossenen politischen Meinungsbildungs- und Abstimmungsprozesses gewesen sein könnte. So trage die Antragstellerin selbst vor, sie habe bis März 2017 nicht von einer Blockade ihrer Gesetzesvorlage ausgehen können, zumal auch in der mehrheitlich ablehnenden Unionsfraktion unterschiedliche Positionen erkennbar gewesen seien. Vor diesem Hintergrund erscheine es denkbar, dass der Verzicht auf die Beschlussfassung über die streitgegenständlichen Gesetzentwürfe mit dem Ziel der Herstellung oder Verbreiterung einer mehrheitlichen Unterstützung für das Projekt der gleichgeschlechtlichen Ehe und damit nicht ohne sachlichen Grund erfolgt sei.

Gesetzentwürfe wurden auch im Bundestagsplenum intensiv beraten

Einer Verletzung des Gesetzesinitiativrechts stehe ferner entgegen, dass die streitgegenständlichen Gesetzentwürfe Gegenstand mehrfacher und ausführlicher Beratungen im Plenum des Deutschen Bundestages waren, so das BVerfG weiter. Selbst nach Einschätzung der Antragstellerin sei der Inhalt der Gesetzentwürfe damit "bis zum Überdruss aller Beteiligten" erörtert worden. Angesichts dieser Abläufe sei aber für die Annahme eines "Leerlaufens" des Gesetzesinitiativrechts im vorliegenden Fall kein Raum. Der Bundestag habe sich mit den Gesetzentwürfen mehrfach intensiv befasst. Die Gesetzesinitianten hätten die Möglichkeit gehabt, öffentlich die Inhalte der von ihnen vorgelegten Gesetzentwürfe vorzutragen und zu begründen und dadurch auf die politische Willensbildung Einfluss zu nehmen. Zugleich seien die übrigen im Bundestag vertretenen Parteien gezwungen gewesen, sich zu den vorgelegten Gesetzentwürfen zu positionieren. Allein der Umstand, dass es bisher nicht zu einer abschließenden Beschlussfassung über die Gesetzentwürfe gekommen sei, könne die Annahme einer Entleerung des Gesetzesinitiativrechts nicht rechtfertigen.

BVerfG, Beschluss vom 14.06.2017 - 2 BvQ 29/17

Redaktion beck-aktuell, 20. Juni 2017.