BSG: Krankengeld bei irrtümlichem Nichterstellen einer AU-Bescheinigung durch Vertragsarzt

Eine Krankenkasse darf Versicherten, die zur Feststellung ihrer fortbestehenden Arbeitsunfähigkeit (AU) zeitgerecht persönlich einen Vertragsarzt aufsuchten, Krankengeldzahlungen nicht verweigern, wenn der Arzt die Ausstellung einer AU-Bescheinigung irrtümlich aus nichtmedizinischen Gründen unterlässt. Das hat das Bundessozialgericht mit zwei Urteilen vom 11.05.2017 entschieden (Az. B 3 KR 22/15 R, B 3 KR 12/16 R).

Sachverhalt

In dem Verfahren (Az.: B 3 KR 22/15 R) meinte ein Hausarzt, der Klägerin brauche am letzten Tag der bisher bescheinigten AU-Dauer nicht erneut Arbeitsunfähigkeit (wegen einer vorliegenden depressiven Episode) attestiert zu werden, weil dies bei einem am Folgetag vereinbarten Termin durch eine Fachärztin ohnehin erfolgen werde. Im anderen Verfahren (Az.: B 3 KR 12/16 R) hatte der Arzt angegeben, es sei "leider ... verpasst" worden, eine AU-Bescheinigung auszustellen und bejahte nachträglich durchgehende Arbeitsunfähigkeit. In diesem Fall hat die beklagte Krankenkasse den Klageanspruch in der mündlichen Verhandlung anerkannt.

BSG: Krankengeldanspruch trotz nichtmedizinisch begründeter Fehleinschätzung des Arztes

Das Bundessozialgericht hat entschieden, dass eine Krankenkasse ausnahmsweise auch dann Krankengeld gewähren muss, wenn die Fehleinschätzung des Arztes über die Notwendigkeit einer AU-Bescheinigung auf nichtmedizinischen Gründen beruht. Dies gelte aber nur unter engen Voraussetzungen. Der Versicherte dürfe auch insoweit nicht auf - ungewisse - Regressansprüche gegen den Arzt verwiesen werden. Aufgrund der AU-Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA), die - anders als das Gesetz - eine rückwirkende AU-Attestierung erlauben, könne regelmäßig nicht angenommen werden, dass ein Vertragsarzt weiß, dass ein solches Attest aber zum Verlust langzeitiger Krankengeld-Ansprüche des Versicherten führe. Die Krankenkassen wirkten durch Vertreter an den Beschlüssen im GBA mit. Deshalb erscheine es treuwidrig, wenn sich die Krankenkassen bei dieser Sachlage trotz ihrer Mitverantwortung für die Richtlinien von ihrer Leistungspflicht befreien könnten.

BSG, Urteil vom 11.05.2017 - B 3 KR 22/15 R, B 3

Redaktion beck-aktuell, 11. Mai 2017.