BGH befragt EuGH zum Umfang des urheberrechtlichen Zitatrechts der Presse

Im Streit zwischen dem Grünen-Politiker Volker Beck und dem Nachrichtenportal "Spiegel Online" um die Verlinkung auf ein kontroverses Manuskript soll jetzt der Gerichtshof der Europäischen Union entscheiden. Mit Beschluss vom 27.07.2017 hat der Bundesgerichtshof dem EuGH Fragen zur Abwägung zwischen dem Urheberrecht und den Grundrechten auf Informations- und Pressefreiheit sowie zum urheberrechtlichen Zitatrecht der Presse und zur Schutzschranke der Berichterstattung über Tagesereignisse vorgelegt (Az.: I ZR 228/15 – Reformistischer Aufbruch).

Beck sieht seine Aussagen durch Herausgeber verfälscht

Der Kläger ist seit 1994 Mitglied des Bundestages. Er ist Verfasser eines Manuskripts, in dem er sich gegen die radikale Forderung einer vollständigen Abschaffung des Sexualstrafrechts wandte, aber für eine teilweise Entkriminalisierung gewaltfreier sexueller Handlungen Erwachsener mit Kindern eintrat. Der Text erschien 1988 als Buchbeitrag. Im Mai 1988 beanstandete der Kläger gegenüber dem Herausgeber des Buchs, dieser habe ohne seine Zustimmung Änderungen bei den Überschriften vorgenommen, und forderte ihn auf, dies bei der Auslieferung des Buchs kenntlich zu machen. In den Folgejahren erklärte der Kläger auf kritische Resonanzen, der Herausgeber habe die zentrale Aussage seines Beitrags eigenmächtig wegredigiert und ihn dadurch im Sinn verfälscht.

Beck übermittelte Manuskript 2013 an mehrere Zeitungsredaktionen

Im Jahr 2013 wurde in einem Archiv das Originalmanuskript des Klägers aufgefunden und ihm wenige Tage vor der Bundestagswahl zur Verfügung gestellt. Der Kläger übermittelte das Manuskript an mehrere Zeitungsredaktionen als Beleg dafür, dass es seinerzeit für den Buchbeitrag verändert worden sei. Einer Veröffentlichung der Texte durch die Redaktionen stimmte er nicht zu. Er stellte allerdings auf seiner Internetseite das Manuskript und den Buchbeitrag mit dem Hinweis ein, er distanziere sich von dem Beitrag. Mit einer Verlinkung seiner Internetseite durch die Presse war er einverstanden.

Beklagte macht Manuskript und Buchbeitrag über Link zugänglich

Vor der Bundestagswahl veröffentlichte die Beklagte in ihrem Internetportal einen Pressebericht, in dem die Autorin die Ansicht vertrat, der Kläger habe die Öffentlichkeit jahrelang hinters Licht geführt. Die Originaldokumente belegten, dass das Manuskript nahezu identisch mit dem Buchbeitrag und die zentrale Aussage des Klägers keineswegs im Sinn verfälscht worden sei. Die Internetnutzer konnten das Manuskript und den Buchbeitrag über einen elektronischen Verweis herunterladen. Die Internetseite des Klägers war nicht verlinkt. Der Kläger sieht in der Veröffentlichung der Texte eine Verletzung seines Urheberrechts. Er hat die Beklagte auf Unterlassung und Schadenersatz in Anspruch genommen.

Klage in ersten beiden Instanzen erfolgreich

Das Landgericht gab der Klage statt. Die Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben. Das Oberlandesgericht hat angenommen, die Veröffentlichung der urheberrechtlich geschützten Texte des Klägers ohne seine Zustimmung sei auch unter Berücksichtigung der Meinungs- und Pressefreiheit der Beklagten weder unter dem Gesichtspunkt der Berichterstattung über Tagesereignisse (§ 50 UrhG) noch durch das gesetzliche Zitatrecht (§ 51 UrhG) gerechtfertigt.

BGH: EuGH soll Fragen zu Schutzschranken der Berichterstattung über Tagesereignisse klären

Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Der BGH hat das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH Fragen zur Auslegung der Richtlinie 2001/29/EG vorgelegt. Zum einen seien im Streitfall die Fragen entscheidungserheblich, die der Senat bereits in der Sache "Afghanistan Papiere" zum Gegenstand eines Vorlagebeschlusses gemacht hat (BeckRS 2017, 116420). Darüber hinaus umfasse der Vorlagebeschluss Fragen zu den Voraussetzungen der Schutzschranken der Berichterstattung über Tagesereignisse und des Zitatrechts. So möchte der BGH vom EuGH wissen, ob die öffentliche Zugänglichmachung urheberrechtlich geschützter Werke im Internetportal eines Presseunternehmens bereits deshalb nicht als erlaubnisfreie Berichterstattung über Tagesereignisse gemäß Art. 5 Abs. 3 Buchst. c Fall 2 der Richtlinie 2001/29/EG anzusehen ist, weil es dem Presseunternehmen möglich und zumutbar war, vor der öffentlichen Zugänglichmachung der Werke des Urhebers seine Zustimmung einzuholen.

Veröffentlichung zum Zwecke des Zitats fraglich

Nach Ansicht des BGH stellt sich im Streitfall weiter die Frage, ob es an einer Veröffentlichung zum Zwecke des Zitats gemäß Art. 5 Abs. 3 Buchst. d der Richtlinie 2001/29/EG fehlt, wenn zitierte Textwerke oder Teile davon nicht – beispielsweise durch Einrückungen oder Fußnoten – untrennbar in den neuen Text eingebunden werden, sondern im Internet im Wege der Verlinkung als selbstständig abrufbare pdf-Dateien öffentlich zugänglich gemacht und unabhängig von der Berichterstattung der Beklagten wahrnehmbar werden. Der BGH hat dem EuGH ferner die Frage vorgelegt, wann Werke im Sinne von Art. 5 Abs. 3 Buchst. d der Richtlinie 2001/29/EG der Öffentlichkeit rechtmäßig zugänglich gemacht wurden und ob darauf abzustellen ist, dass die Werke in ihrer konkreten Gestalt bereits zuvor mit Zustimmung des Urhebers veröffentlicht waren. Das sei vorliegend fraglich, weil der Buchbeitrag des Klägers im Sammelband in einer veränderten Fassung erschienen und das Manuskript des Klägers auf seiner Internetseite mit den Distanzierungsvermerken veröffentlicht ist.

BGH, Beschluss vom 27.07.2017 - I ZR 228/15

Redaktion beck-aktuell, 27. Juli 2017.